Weltweit werden unzählige Menschen Opfer von Verschwindenlassen: Sie werden verschleppt und an geheimen Orten gefangen gehalten, gefoltert, oft auch getötet. Häufig geschieht dies im Auftrag, mit Unterstützung oder Duldung des jeweiligen Staates. Denken die meisten beim Thema Verschwindenlassen an die Militärdiktaturen der 1970er Jahre, etwa in Chile oder Argentinien, gibt es heute besonders viele Fälle in Mexiko, im Irak, in Syrien und in Sri Lanka. Das Verschwindenlassen dient der politischen Unterdrückung und soll verhindern, dass Menschenrechtsverbrechen strafrechtlich verfolgt werden. Zu den Opfern gehören zunehmend Migrant*innen und Flüchtende, in diesen Fällen wird die Suche, Aufklärung und Strafverfolgung über Grenzen hinweg noch schwieriger.
Familien oder Freunde, die nach einer verschwundenen Person suchen, erhalten meist keinerlei Informationen darüber, was mit ihr geschehen ist, wo sie sich befindet, ob sie überhaupt noch lebt und wer für das Verbrechen verantwortlich ist. Die Folgen des Verschwindenlassens sind für die betroffenen Familien erheblich: Die oft jahrelange Ungewissheit über das Schicksal ihrer Angehörigen zermürbt sie; suchende Angehörige werden häufig selbst bedroht oder angegriffen; wenn die verschwundene Person wesentlich zum Lebensunterhalt beitrug, können Familien in Armut geraten. Auswirkungen hat das Verschwindenlassen auch für die gesamte Gesellschaft eines Landes, weil sich Unsicherheit ausbreitet und Vertrauen in (rechts)staatliche Institutionen verloren geht.
Die Mehrheit der direkten Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen sind Männer. Und so organisieren sich vor allem Frauen − Ehefrauen, Mütter und Schwestern −, um Aufklärung und Entschädigung zu fordern, Öffentlichkeit herzustellen und über Monate oder gar Jahre hinweg gegen bürokratische Hürden und das Schweigen staatlicher Stellen anzukämpfen.
Internationales Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen
Das 2010 in Kraft getretene Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (International Convention for the Protection of all Persons from Enforced Disappearance, ICPPED) wurde von 72 Staaten ratifiziert (Stand: Sep. 2023). Von den EU-Mitgliedstaaten haben lediglich 18 die Konvention ratifiziert, darunter Deutschland. Das Übereinkommen verpflichtet die Vertragsstaaten, nach verschwundenen Personen zu suchen, die Umstände des Verschwindens zu ermitteln und die Verantwortlichen angemessen zu bestrafen. Außerdem müssen die Staaten Maßnahmen treffen, um das Verschwindenlassen möglichst zu verhindern. Besonders ausführlich sind die Rechte der Opfer geregelt, zu denen die Konvention nicht nur die verschwundene Person selbst zählt, sondern „jede natürliche Person, die als unmittelbare Folge eines Verschwindenlassens geschädigt worden ist“, wie etwa Angehörige oder enge Freund*innen.
Die Einhaltung des Übereinkommens überprüft der Ausschuss gegen das Verschwindenlassen (Committee on Enforced Disappearances, CED). Er besteht aus zehn unabhängigen und ehrenamtlichen Expert*innen, die für vier Jahre gewählt werden, mit der Option einer einmaligen Wiederwahl. Sie prüfen – wie andere Vertragsausschüsse der Vereinten Nationen – Staatenberichte und sprechen Empfehlungen an die Staaten aus (Abschließende Bemerkungen), entscheiden über Individualbeschwerden und können unter bestimmten Voraussetzungen Besuche vor Ort durchführen.
Was macht das Deutsche Institut für Menschenrechte?
Das Institut trägt mit Veranstaltungen und Publikationen dazu bei, die Öffentlichkeit für den Kampf gegen das Verschwindenlassen zu sensibilisieren. Es informiert politische Entscheidungsträger*innen über die notwendigen Maßnahmen, um Menschen besser vor dem Verschwindenlassen schützen zu können. Noch mehr Staaten sollen dazu motiviert werden, der Konvention gegen das Verschwindenlassen beizutreten.
In einer Studie für den Ausschuss untersuchte das Deutsche Institut für Menschenrechte, welche möglichen Verpflichtungen aus der Konvention sich im Kontext von Migration und Flucht ergeben. Jedes Jahr verschwinden Tausende Migrant*innen und Flüchtende auf ihrem Weg. Auch wenn nicht alle von ihnen Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen sind, steigt das Risiko, denn ihre Situation macht sie besonders verletzlich. Die Angehörigen stoßen bei einer grenzüberschreitenden Suche auf erhebliche Schwierigkeiten.