Zahlreiche nationale und internationale Wahlen im Jahr 2024 haben rechte und rechtsextreme Parteien gestärkt und gezeigt, dass menschenverachtende Ideologien und Narrative weiter zunehmen. Gleichzeitig setzten sich viele Menschen und zivilgesellschaftliche Organisationen öffentlichkeitswirksam für Freiheit und Demokratie ein und verteidigten die Menschenrechte. Die Abschlussveranstaltung des Projekts „Mit Menschenrechten Brücken bauen“ vom 28. November 2024 widmete sich den Gefahren, Herausforderungen und Erfolgen für Demokratie und Menschenrechte und setzte sie in Bezug zur Bildungspraxis. Darüber hinaus blickten die Projektverantwortlichen und die Critical Friends auf die vergangenen zwei Jahre zurück und zogen zum Projektende Bilanz.
Nach einführenden Worten von Sandra Reitz begann die OnlineVeranstaltung, moderiert von Ceren Türkmen, Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Erinnerungskultur, Menschenrechte und Demokratie in Duisburg, mit einem Input von İbrahim Arslan. Er ist Überlebender des rassistischen Brandanschlags am 23. November 1992 in Mölln, engagiert sich heute in der antirassistischen Bildungsarbeit und führt unter anderem Workshops in Schulen durch. Darüber hinaus setzt sich Arslan für die Vernetzung von Betroffenen rassistischer Gewalt ein und macht sich stark für eine Gedenkkultur, gestaltet von Opfern bzw. Überlebenden.
Gesamtgesellschaftliche Empörung über rassistische Gewalt fehlt
In seinem Kurzvortrag sprach Arslan insbesondere davon, wie wichtig es sei, Opfern und Überlebenden von rassistischer Gewalt eine Stimme zu geben, die auch in der breiten Öffentlichkeit gehört werde. Bis dahin sei es allerdings noch ein weiter Weg: „Für die Gesellschaft ist es einfacher, in einem formalen Rahmen zu gedenken, als sich wirklich mit der Sichtweise und Lage der Betroffenen auseinanderzusetzen“, so der langjährige Bildungsaktivist. „Denn dann muss sich jede*r fragen, was haben wir eigentlich getan, um diese Menschen zu schützen? Und das ist unbequem.“
Die jährlich am 23. November stattfindende Möllner Rede im Exil (dieses Jahr im Staatstheater Mannheim) sei deshalb keine reine Gedenkveranstaltung, sondern ein politischer Anlass, der die Gesellschaft aufrütteln solle. Denn nach wie vor würden Institutionen in Deutschland People of Color nicht ausreichend vor rassistischer Gewalt schützen, kritisierte Arslan. Und noch immer bleibe eine gesamtgesellschaftliche Empörung über rassistische Gewalt aus.
Immerhin hätten Politiker*innen, Behörden und Institutionen inzwischen verstanden, dass man Überlebende rechter Gewalttaten fragen sollte, was sie brauchten; dass man ihnen zum Beispiel eine Plattform geben müsse, damit ihre Stimmen gehört würden und sie aktiv und selbstermächtigt wirken könnten. „Die Betroffenen mussten diese Veränderungen aktiv und unermüdlich erkämpfen“, machte Arslan klar.
„Das Leid des Schweigens“
Auf die Frage von Türkmen, welche Rolle Menschenrechte in Arslans politischer Bildungsarbeit an Schulen spielten, erwiderte dieser, dass sie „das Wichtigste“ seien: „Viele Schüler*innen haben ein großes Bedürfnis, im Diskriminierungs- und Rassismuskontext über ihre Rechte zu sprechen. Sie wollen sich über Erfahrungen austauschen, von uns lernen und ihre Geschichten mit uns teilen.“ Obwohl Schüler*innen diesen Austausch einforderten und alle Beteiligten von den Begegnungen lernten, verwies Arslan auf eine große Lücke beim Angebot: Diese Arbeit müsse meist rein ehrenamtlich geleistet werden. Arslan bedauerte dies auch vor dem Hintergrund, dass es für Betroffene von rassistischer Gewalt wichtig sei, über das Erlebte zu sprechen und so „das Leid des Schweigens“ abgeben zu können. Die starke mediale und gesellschaftliche Sichtbarkeit heutzutage von anderen Betroffenen rechter Gewalt, wie beispielsweise die Initiativen an die Opfer und Betroffenen von dem rassistischen und rechtsterroristischen Anschlag in Hanau, sei eng mit der Vorarbeit verbunden, die Überlebende und Betroffenen früherer Ereignisse geleistet haben.
In der anschließenden Panel-Diskussion stand die Projektarbeit der vergangenen zwei Jahre im Fokus. Es sprachen die folgenden Gäste:
- Simone Danz, Critical Friend und Professorin für inklusive Kinder- und Jugendhilfe an der Frankfurt University of Applied Sciences
- Thomas Gill, Critical Friend und Leiter der Berliner Landeszentrale für politische Bildung
- Judy Gummich, Critical Friend, Trainerin und Ausbilderin mit Fokus auf Menschenrechte, Inklusion und Diversity
- Sandra Reitz und Josephine Akinyosoye, Projektteam, Deutsches Institut für Menschenrechte
Sandra Reitz bekräftigte, dass das Hauptziel des Projekts, menschenrechtliche Perspektiven zu stärken in Debatten zu gesellschaftlichen Transformationsprozessen, erreicht worden sei. Allerdings sei es in den insgesamt zehn Veranstaltungen nicht immer gleich gut gelungen, neue Akteur*innen der Bildungsarbeit zu erreichen. Die Blase aus vornehmlich weißen Institutionen zu verlassen und noch mehr in den Austausch mit anderen Stimmen zu kommen, bleibe deshalb eine wichtige Aufgabe.
Thomas Gill skizzierte seine Beweggründe zur Projektkooperation vor zwei Jahren. Ihm sei es ein Anliegen, Menschenrechte stärker mit einem politischen Auftrag und einem Bildungsauftrag zu verbinden. Und dabei zu verstehen und zu vermitteln, dass auch andere Menschenrechtsinstrumente wie zum Beispiel die UN-Behindertenrechtskonvention oder die Antirassismus-Konvention erheblichen politischen Gehalt hätten, sowohl in der Entstehung als auch in ihrer Durchsetzung.
Josephine Akinyosoye hob die Vielfalt der eingeladenen Panelgäste und Workshopleitenden hervor. Die Diversität habe zeigen können, dass auch Erinnerungskultur, Empowermentprozesse oder Aktivismus zur politischen Bildung gehörten. Gemeinsam mit Aktivist*innen und Vertreter*innen von Initiativen, Stiftungen und Selbstorganisationen sei es eine spannende Herausforderung gewesen, über neue Ansätze und Formen von politischer Bildung zu sprechen. Mit dem Erstarken rechter und demokratiefeindlicher Bewegungen entstanden auch immer neue Projekte und widerständige Bildungsinitiativen, die sich aktiv für Antirassismus, Gerechtigkeit und Demokratie einsetzen. Es war für Akinyosoye ein Highlight, diese Arbeit sichtbar zu machen und sie im Rahmen unserer Veranstaltungen zu würdigen.
Für Akinyosoye war eine Herausforderung, dass sich vielversprechenden Denkprozesse zu gesellschaftlichen Transformationen sowie zu neuen Ansätzen und Formen politischer Bildung teilweise erst im Verlauf der Planung der Veranstaltungen entwickelten. Gleichzeitig war es notwendig, bereits parallel die nächste Veranstaltung zu konzipieren, was den Reflexionsprozess erschwerte.
Judy Gummich betonte die Wichtigkeit, in der politischen Bildungsarbeit zu vermitteln, dass Menschenrechte das Fundament seien, auf dem alles aufbaue. Zu oft würden Menschenrechte als etwas Getrenntes wahrgenommen, obwohl sie in allen Aspekten der Gesellschaft und des Lebens eine Rolle spielten. Darüber hinaus sprach sich Gummich dafür aus, den Genussfaktor von Menschenrechten mehr ins Licht zu rücken. Ein positiver, lustvoller Umgang mit Menschenrechten helfe, Allianzen und Verbindungen zu stärken.
Simone Danz erinnerte daran, dass Menschenrechte auch Menschenpflichten im Gepäck hätten. Dies dürfe nicht vergessen gehen. Partizipation oder Inklusion funktionierten nur, wenn Menschen auch Platz machten. In diesem Zusammenhang müsse Bildung Werte wie Solidarität schulen und den Blick für die unterschiedlichen Bedarfe von Menschen schärfen. Das komme heutzutage häufig noch zu kurz.
Am Nachmittag wurden vier Workshops zu folgenden Themen angeboten:
a) Politische Bildung im ländlichen Raum (Cathleen Hoffmann, Miteinander e.V.):
In diesem Workshop wurden Herausforderungen für die politische Bildung in ländlichen Räumen vorgestellt. Die Teilnehmenden tauschten sich über Formate, Erfahrungen und Ideen aus und sprachen über Rechtsextremismusprävention und die daraus resultierenden Besonderheiten im Rahmen der politischen Bildungsarbeit in ländlichen Räumen.
b) Politische Bildung und Embodiment (Sebastian Fleary, Theaterpädagoge und Streetworker und Aki Krishnamurthy, Theater- und Tanzpädagogin):
In der politischen Bildungsarbeit werde der Körper oft vernachlässigt – und dass, obwohl unsere Körper eine zentrale Rolle bei der (Re-)Produktion und Transformation von Machtverhältnissen und gesellschaftlichen Strukturen spielen. Die Teilnehmenden sprachen über das Potenzial von politischer Theaterarbeit und somatischen Ansätzen und diskutierten, wie Menschenrechte und Menschenwürde damit in Verbindung stehen.
c) Bildungsmaterialien zur Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus einer nicht-eurozentristischen Perspektive (Imke Rath, Zwischentöne, Georg-Eckert-Institut für Schulbuchforschung):
In diesem Workshop wurden Lehrmaterialien zur Geschichte der Menschenrechtserklärung vorgestellt, die vor allem postkoloniale Perspektiven berücksichtigen (siehe auch Zwischentöne: Materialien für Vielfalt im Klassenzimmer). Im Anschluss erprobten die Teilnehmenden Übungen aus den Materialien und diskutierten über die Erfahrungen.
d) Antisemitismus, Rassismus und der Blick auf den Nahen Osten – Konstruktiver Umgang mit Spannungsfeldern in Bildung und Zivilgesellschaft (Iven Saadi und Susanna Harms, Bildungsbausteine.org):
Im Fokus stand das seit Anfang 2023 laufende Projekt „Zusammen_denken, zusammen handeln“. Die Teilnehmenden diskutierten, wie man sich konstruktiv und verbündend mit den Spannungsfeldern von antisemitismus- und rassismuskritischer Bildung befassen könne. Hierfür wurde eine Methode vorgestellt, die dabei unterstützen soll, sowohl Rassismus als auch Antisemitismus im Sprechen über den Israel-Palästina-Konflikt zu identifizieren. Des weiteren befassten sie sich mit den Chancen und Herausforderungen verbindender Ansätze für die Menschenrechtsbildung.
Im Anschluss folgte die Möglichkeit zur weiteren Vernetzung und Austauschrunden in Breakout-Räumen, bevor die Veranstaltung um 16:45 Uhr endete.