Menschenrechte erweitern die politische Bildung um neue Perspektiven. Zum Beispiel kann eine Lernumgebung, die auf Menschenrechten basiert, inklusive Bildungsprozesse fördern. Menschenrechte zu thematisieren, kann aber auch eine Herausforderung sein, da Lernende sie häufig als komplex wahrnehmen oder ihre mangelnde Durchsetzungskraft beklagen. Die dritte Veranstaltung des Projekts „Mit Menschenrechten Brücken bauen“ des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR), gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung und in Kooperation mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung widmete sich genau diesem Spannungsfeld: Unter dem Titel „Menschenrechte als Herausforderung und Chance für diskriminierungskritische politische Bildung“ diskutierten am 10. Oktober 2023 Bildungsexpert*innen über verschiedene Aspekte einer menschenrechtsorientierten und diskriminierungskritischen Bildungsarbeit. Die Tagung fand hybrid statt: Rund 30 Teilnehmer*innen fanden sich in den Räumlichkeiten der Landeszentrale für politische Bildung Berlin (LpB) ein und etwas über 30 Interessierte schalteten sich online dazu. Die Veranstaltung wurde von je einem Awareness-Team vor Ort und online begleitet.
Sensibilisierung, Empowerment und Strukturveränderung als „Marker“
Nach der Begrüßung von Thomas Gill, Leiter der Berliner Landeszentrale für politische Bildung, und Sandra Reitz vom DIMR folgte eine Podiumsdiskussion mit den folgenden vier Teilnehmer*innen:
- Simone Danz, Professorin für Bildung und soziale Inklusion (Hochschule Rhein-Main)
- Makda Isak, Bildungsreferentin bei Each One Teach One (EOTO)
- Judy Gummich, u.a. Trainerin und Ausbilderin mit Fokus auf Menschenrechte, Inklusion und Diversity
- Thomas Kugler, Bildungsreferent bei QUEERFORMAT Fachstelle Queere Bildung
Auf die Eingangsfrage der Moderatorin Sandra Reitz, was diskriminierungskritische Bildung im jeweiligen pädagogischen Kontext der Podiumsteilnehmer*innen bedeute, fielen die Antworten erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Für Studierende sei der Schutz vor Diskriminierung innerhalb der Institution ein wichtiges Thema und umfasse zum Beispiel Teilhabe für alle, gemeinsames Lernen und die Kultivierung einer fehlerfreundlichen Haltung. Andere Bildungskontexte der Podiumsteilnehmer*innen umfassten Erwachsenenbildung etwa im frühkindlichen Bereich, allgemeine Organisationsentwicklung und offene Bildungsangebote sowie Workshops speziell zu anti-schwarzem Rassismus bei EOTO. Als „Marker“ für eine diskriminierungskritische Bildungsarbeit wurden Sensibilisierung/Selbstreflexion, Empowerment und Verbesserung struktureller Rahmenbedingungen genannt. Diskriminierungsschutz in der Bildung und entsprechende diskriminierungskritische Sichtweisen seien aber auch notwendig, um das Recht auf Bildung umfassend zu gewährleisten und Bildungsprozesse bei marginalisierten Gruppen wie etwa schwarzen jungen Menschen überhaupt erst zu ermöglichen. Dabei sei das Sprechen über Diskriminierung mit Emotionen gekoppelt. In Lernräumen werde oft die emotionale Ebene vernachlässigt und sollte stärker in die Bildungsarbeit eingebunden werden.
Anschließend setzten sich die Podiumsteilnehmer*innen mit der Bedeutung von Intersektionalität in ihrer Bildungspraxis auseinander. Hier wurde betont, dass, wer Macht verstehen wolle, Intersektionalität in den Blick nehmen müsse: Wie Machtverschränkungen oder auch die Gleichzeitigkeit von verschiedenen Diskriminierungsebenen wirkten, das sei nur mit einem intersektionalen Ansatz begreifbar. Darüber hinaus biete Intersektionalität die Chance, Solidarität einzufordern und Bündnisse zu gestalten. Auch sei jeder Mensch per se vielfältig und nicht eindimensional. Dies im Zusammenhang mit Intersektionalität stärker in den Blick zu nehmen, sei unglaublich wichtig und passiere noch zu wenig.
Menschenrechtsbezug kann auf Widerstand stoßen
Die Frage, wer Menschenrechte in seiner Bildungspraxis explizit benenne und welche Erfahrungen damit gemacht würden, ergab ein gemischtes Bild. So sind Begriffe wie Würde, Teilhabe oder Diskriminierungsschutz als Kernelemente von Menschenrechten etabliert und auch ihr normativer Bezugsrahmen im internationalen und nationalen Recht wird oftmals konkretisiert. Allerdings fehle es Lernenden in vielen Fällen an realen Bezugspunkten, welche Rolle Menschenrechte in ihrem Leben spielten. In anderen Worten: Menschenrechte müssten „lebendig“ gemacht werden. Die Podiumsteilnehmer*innen berichteten auch von der Erfahrung, dass die explizite Bezugnahme auf Menschenrechte auf Widerstand stoßen könne. So sei der Begriff Menschenrechte für manche Lernende vorbelastet und mit negativen Bildern besetzt. Viele rassifizierte junge Menschen zum Beispiel vermieden es, explizit von Menschenrechten zu sprechen, da diese häufig in einem Dominanzverhältnis genutzt würden.
Einig waren sich alle, dass „Lernen durch Menschenrechte“ zentral sei für die Weiterentwicklung von Bildungspraxis; unter anderem bei der Professionalisierung der Angebote oder Gestaltung inklusiver Lernräume. Nötig seien neben Sensibilisierung und Wissensvermittlung vor allem praktische Impulse für menschenrechtsbasierte Handlungsstrategien im jeweiligen pädagogischen Feld.
Sprache und diskriminierungskritische Bildung
Anschließend wurde die Diskussion für alle Veranstaltungsteilnehmer*innen vor Ort und online geöffnet. Erörtert wurde unter anderem die Bedeutung von diskriminierungssensibler, inklusiver Sprache. Es wurde betont, wie wichtig es sei, Selbstbezeichnungen zu verwenden und sich bewusst zu sein, dass Sprache auch ein Mittel sei, um Machtstrukturen zu festigen. Gleichzeitig wurde betont, dass es vor allem um eine offene, interessierte Haltung ankomme. Vorannahmen darüber, was ein Gegenüber kann oder nicht (etwa beim Thema Beeinträchtigungen) sollten hinterfragt werden, das Individuum in seiner Ganzheit – eben auch intersektional – wahrgenommen werden. Es sei wichtig, den Kontext zu beachten und ins Gespräch zu kommen um Perspektiven austauschen zu können.
Gefragt danach, wie idealerweise eine diskriminierungskritische Bildung im Jahr 2050 aussieht und was es für eine positive Entwicklung in diese Richtung braucht, wurden u.a. als Wünsche genannt, dass keine Überzeugungsarbeit mehr geleistet werden müsste, dass Vielfaltsorientierung, ein ernsthaftes Bekenntnis zu Inklusion und eine menschenrechtliche Folgenabschätzung Standard wären. Auf dem Weg dorthin müsste der Umgang mit Nichtwissen mehr reflektiert werden und die Irritationsfähigkeit gestärkt werden.
Nach der Mittagspause folgten vier Workshops zu den Themen:
- Eine dekoloniale Perspektive auf die Kernidee der Menschenrechte: die Würde des Menschen (online)
Referentin: Melz Malayil, freiberufliche Trainerin für Empowerment, rassismuskritische Bildungsarbeit und Menschenrechtsbildung - „Aber dann kannst Du ja gar nicht mit Gruppen arbeiten!“ (online)
Referent*innen: Constanze Schwärzer-Dutta und Ulrike Haase www.constanzeschwaerzer.de/de/ueber-mich/ - Die Stärkung von Widerspruchstoleranz als zentrales Ziel in der antisemitismuskritischen Bildungsarbeit (vor Ort)
Referentin: Désirée Galert, Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus e.V. www.kiga-berlin.org - 16 Jahre Menschenrechte als Bezugsrahmen Queerer Bildung. Erfahrungen aus der Fortbildungsarbeit mit pädagogischen Fachkräften (vor Ort)
Referent*innen: Thomas Kugler und Jasmine Prim, QUEERFORMAT Fachstelle Queere Bildung, Berlin queerformat.de - Awareness im Veranstaltungskontext (vor Ort)
Referent*innen: Initiative Awareness e.V. www.initiative-awareness.de
Im Anschluss an die Workshops erfolgte noch eine kurze Auswertung jeweils vor Ort und online, bevor die Veranstaltung um 16:00 Uhr endete.
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