Viele geflüchtete Frauen oder Eltern ohne Papiere besitzen kein offizielles Dokument, das die Geburt ihres Kindes in Deutschland belegt und seine Identität nachweist. Doch ohne eine Geburtsurkunde oder wenigstens einen Auszug aus dem Geburtenregister wird den Eltern und den betroffenen Kindern der Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen, Asylantragsstellung und vielem mehr erheblich erschwert oder gar verwehrt.
Claudia Kittel, Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte, erklärt, warum das so ist und was sich ändern muss.
Sie haben gemeinsam mit Berliner Hebammen und Kinderärzt*innen die Information für Geflüchtete „So registrieren Sie Ihr neugeborenes Kind“ entwickelt. Heute am Internationalen Kindertag wird sie auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Farsi veröffentlicht. Wie kam es dazu?
Claudia Kittel: Die Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Instituts erhielt mehrfach Hinweise, dass neugeborene Kinder von geflüchteten Menschen, die in Erstaufnahmeeinrichtungen und Notunterkünften leben, keine Geburtsurkunden erhalten. Berliner Hebammen erleben dies immer wieder. Auch Kinder- und Jugendärzt*innen berichten von Neugeborenen, die eine Vorsorgeuntersuchung erhalten sollten, deren Eltern jedoch keinerlei Papiere für die Kinder besitzen. Wir wissen auch von Fällen in München und Stuttgart.
Dabei ist eine Geburtsurkunde das zentrale Dokument, das die Existenz eines Menschen belegt. Erst eine Geburtsurkunde versetzt einen Menschen in die Lage, einem Staat gegenüber seine Rechte geltend zu machen, später einmal eine Staatsangehörigkeit und einen Pass zu erhalten oder selbst zu heiraten. Daher gehört es zu den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention, dass die Vertragsstaaten – zu denen ja auch Deutschland zählt – alle Neugeborenen in ihrem Hoheitsgebiet unverzüglich !) registrieren müssen (Artikel 7 UN-Kinderrechtskonvention).
Dass es in Deutschland an der praktischen Umsetzung hapert und Kinder ohne Geburtsurkunden bleiben, ist schon erstaunlich. Ein Phänomen, für das Deutschland bereits zwei Mal vor dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes gerügt wurde, zuletzt 2014. Dabei sind die Regelungen vom Bundesgesetzgeber mittlerweile klar formuliert. Im letzten Staatenbericht Deutschlands an die Vereinten Nationen betont die Bundesregierung ausdrücklich: Die Rechtslage stelle sicher, dass für alle Kinder von Flüchtlingen und Asylsuchenden, die auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland geboren werden, Geburtsurkunden ausgestellt werden. Doch diese klare Regelung kommt in der Praxis offenkundig nicht an.
Wo hakt es denn in der Praxis?
Kittel: Jedes Kind, das in Deutschland geboren wird, wird automatisch registriert: Die Geburtsklinik meldet jede Geburt, die sie bezeugen kann, an das Geburtenregister. Wenn die Eltern keine Papiere haben, wird die Geburt eines Kindes unter dem Namen der Mutter gemeldet. Die Probleme treten dann auf, wenn die Eltern zum zuständigen Standesamt gehen und dort die Geburtsurkunde für ihr Kind ausstellen lassen wollen.
Der Bundesgesetzgeber vertritt im Staatenbericht zwar eine klare Position, aber die entsprechende Regelung im Personenstandsgesetz (§ 9 Abs. 2 PStG) ist lediglich eine „Kann-Formulierung“: Wenn die Eltern eines neugeborenen Kindes nicht in der Lage sind, Papiere (eigene Geburtsurkunde, Heiratsurkunde, …) vorzuweisen, dann kann der Standesbeamte oder die Standesbeamtin mittels einer eidesstattlichen Erklärung der Eltern eine Geburtsurkunde für das Kind ausstellen, muss dies aber nicht.
Wir kennen zudem Berichte über Fälle, in denen das Standesamt mittels eidesstattlicher Erklärung einen Registerauszug oder eine Urkunde ausstellen wollte, die Eltern dies aber abgelehnt haben. Wenn man nach den Gründen fragt, wird die Motivation der Eltern schnell klar: Können Eltern keine Heiratsurkunde vorlegen, wird nur der Name der Mutter als Nachname des Kindes eingetragen. In vielen Herkunftsländern von Geflüchteten bedeutet dies, dass das Kind als unehelich und damit „illegitim“ abgestempelt ist. Das kann für das Kind erhebliche Rechtsfolgen haben, zum Beispiel mit Blick auf Erbansprüche.
Was muss die Politik jetzt tun?
Kittel: Die Politik muss dafür sorgen, dass Kinder von Geflüchteten Geburtsurkunden erhalten. Aus Sicht der Monitoring-Stelle ist im Bundesgesetz und auch im Staatenbericht die eindeutige Absicht formuliert, dass jedes in Deutschland geborene Kind eine Geburtsurkunde erhalten soll. Auf Landesebene gilt es daher, entsprechende Verfahren, die den Weg dahin frei machen, klar zu regeln.
Als eine Art Zwischenlösung könnte der Auszug aus dem Geburtenregister, der von vielen Behörden als amtliches Dokument anerkannt wird, automatisch vom Standesamt an die Eltern von Neugeborenen ohne Papiere übergeben werden. Dann könnten alle notwendigen Schritte eingeleitet werden, damit die Kinder beispielsweise Untersuchungsscheine für Vorsorgeuntersuchungen erhalten und die Mütter mit ihren Neugeborenen nicht auf völlig überfüllte Angebote der Kinder- und Jugendgesundheitsdienste ausweichen müssen. Auch andere behördliche Stellen als das Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin (LAGeSo) haben uns den Registerauszug als ausreichend benannt.
Langfristig muss die Politik dafür sorgen, dass die betroffenen Kinder aus diesem Status leicht herauskommen und sie die Ihnen zustehende Geburtsurkunde erhalten. Wir machen sie sonst zu Staatenlosen.
Wie wird die Monitoring-Stelle diesen Prozess weiter begleiten?
Kittel: Die Monitoring-Stelle wird zusammen mit den Kinder- und Jugendärzt*innen und den Hebammen Gespräche mit den Zuständigen auf Landesebene führen. In Berlin haben wir bereits eine entsprechende Anfrage gestartet, Bayern und Baden-Württemberg werden folgen.
Wir wollen darauf hinwirken, dass verlässliche Zahlen erhoben werden. Bisher gibt es lediglich eine formlose Strichliste des Berliner Hebammenverbandes, der zufolge es seit September 2015 mehr als 400 Fälle allein in Berlin gab.
Die betroffenen Familien über den „Zugang zum Recht“ bezüglich der Geburtenregistrierung zu informieren, gehört eigentlich zu den Staatenpflichten der Vertragsstaaten der UN-Kinderrechtskonvention. Unser Informationsblatt müsste in weitaus mehr Sprachen vorliegen als nur in Deutsch, Englisch, Arabisch und Farsi. Außerdem wäre eine entsprechende Information aller beteiligten Fachkräfte, besonders auch in den Standesämtern, dringend vonnöten.