Geflüchtete Kinder

Geburtenregistrierung von Kindern Geflüchteter

Worum geht es?

© DIMR/D. Ferenczy

Wenn Eltern eines neugeborenen Kindes ihre Identität nicht mit amtlichen Dokumenten nachweisen können, erhält das Kind keine Geburtsurkunde. Zwar ist ersatzweise ein beglaubigter Auszug aus dem Geburtenregister möglich, jedoch enthält dieser den Hinweis, dass die Identität der Eltern nicht nachgewiesen werden konnte. Rechtlich ist der beglaubigte Auszug aus dem Geburtenregister einer Geburtsurkunde gleichwertig (§§ 54 Abs. 2, 55 Abs. 1 Personenstandsgesetz). In der Praxis kann dessen Anerkennung durch leistungsgewährende Stellen jedoch problematisch sein. Oftmals erhalten betroffene Eltern sogar nur eine Bescheinigung, dass die Beurkundung ihres Kindes zurückgestellt wurde. Diese ist keine personenstandsrechtliche Urkunde und somit auch kein geeignetes Instrument für eine Übergangsphase.

Wenn ein Kind über mehrere Monate weder eine Geburtsurkunde noch einen beglaubigten Registerauszug aus dem Geburtenregister erhält, ist es in dieser Zeit für den Staat „unsichtbar“. Denn eine Geburtsurkunde ist das zentrale Dokument, das die Existenz eines Menschen belegt. Sie versetzt ihn die Lage, einem Staat gegenüber seine Rechte geltend zu machen, eine Staattsangehörigkeit zu erhalten, zu erben und zu heiraten. Geburtsurkunden sind auch eine mittelbare Voraussetzung dafür, Leistungen der Sozialversicherung, der Gesundheitsvorsorge sowie Bildung und kulturelle Teilhabe beanspruchen zu können.

Was sind die Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention?

Artikel 7 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) sieht vor, dass jedes Kind unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register einzutragen ist. Eine Vielzahl weiterer Rechte der UN-KRK sind an das Vorliegen eines Identitätsnachweises gebunden. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hatte zuletzt 2014 die Notwendigkeit einer schnellstmöglichen Eintragung betont und die deutsche Praxis gerügt.

Was macht die Monitoring-Stelle?

Die Monitoring-Stelle befasst sich seit Aufnahme ihrer Arbeit 2015 intensiv mit dem Thema. Mit dem Berliner Hebammenverband und der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e. V. hat sie das Informationsblatt „So registrieren Sie Ihr neugeborenes Kind - Informationen für Geflüchtete“ herausgegeben.

Darüber hinaus hat sie in Pressemitteilungen auf die Probleme in der Praxis hingewiesen und dabei auf Rückmeldungen aus der Zivilgesellschaft sowie auf selbst erhobene Daten zurückgegriffen. Die Monitoring-Stelle hat das Thema auch im Rahmen ihrer Kooperationen mit der Humboldt Law Clinic weiter verfolgt.

Publikationen zu diesem Thema

„Die Politik muss dafür sorgen, dass Kinder von Geflüchteten Geburtsurkunden erhalten“

Interview mit Claudia Kittel vom 01. Juni 2016

Viele geflüchtete Frauen oder Eltern ohne Papiere besitzen kein offizielles Dokument, das die Geburt ihres Kindes in Deutschland belegt und seine Identität nachweist. Doch ohne eine Geburtsurkunde oder wenigstens einen Auszug aus dem Geburtenregister wird den Eltern und den betroffenen Kindern der Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen, Asylantragsstellung und vielem mehr erheblich erschwert oder gar verwehrt.

Claudia Kittel, Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte, erklärt, warum das so ist und was sich ändern muss.

Sie haben gemeinsam mit Berliner Hebammen und Kinderärzt*innen die Information für Geflüchtete „So registrieren Sie Ihr neugeborenes Kind“ entwickelt. Heute am Internationalen Kindertag wird sie auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Farsi veröffentlicht. Wie kam es dazu?

Claudia Kittel: Die Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Instituts erhielt mehrfach Hinweise, dass neugeborene Kinder von geflüchteten Menschen, die in Erstaufnahmeeinrichtungen und Notunterkünften leben, keine Geburtsurkunden erhalten. Berliner Hebammen erleben dies immer wieder. Auch Kinder- und Jugendärzt*innen berichten von Neugeborenen, die eine Vorsorgeuntersuchung erhalten sollten, deren Eltern jedoch keinerlei Papiere für die Kinder besitzen. Wir wissen auch von Fällen in München und Stuttgart.

Dabei ist eine Geburtsurkunde das zentrale Dokument, das die Existenz eines Menschen belegt. Erst eine Geburtsurkunde versetzt einen Menschen in die Lage, einem Staat gegenüber seine Rechte geltend zu machen, später einmal eine Staatsangehörigkeit und einen Pass zu erhalten oder selbst zu heiraten. Daher gehört es zu den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention, dass die Vertragsstaaten – zu denen ja auch Deutschland zählt – alle Neugeborenen in ihrem Hoheitsgebiet unverzüglich !) registrieren müssen (Artikel 7 UN-Kinderrechtskonvention).

Dass es in Deutschland an der praktischen Umsetzung hapert und Kinder ohne Geburtsurkunden bleiben, ist schon erstaunlich. Ein Phänomen, für das Deutschland bereits zwei Mal vor dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes gerügt wurde, zuletzt 2014. Dabei sind die Regelungen vom Bundesgesetzgeber mittlerweile klar formuliert. Im letzten Staatenbericht Deutschlands an die Vereinten Nationen betont die Bundesregierung ausdrücklich: Die Rechtslage stelle sicher, dass für alle Kinder von Flüchtlingen und Asylsuchenden, die auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland geboren werden, Geburtsurkunden ausgestellt werden. Doch diese klare Regelung kommt in der Praxis offenkundig nicht an.

Wo hakt es denn in der Praxis?

Kittel: Jedes Kind, das in Deutschland geboren wird, wird automatisch registriert: Die Geburtsklinik meldet jede Geburt, die sie bezeugen kann, an das Geburtenregister. Wenn die Eltern keine Papiere haben, wird die Geburt eines Kindes unter dem Namen der Mutter gemeldet. Die Probleme treten dann auf, wenn die Eltern zum zuständigen Standesamt gehen und dort die Geburtsurkunde für ihr Kind ausstellen lassen wollen.

Der Bundesgesetzgeber vertritt im Staatenbericht zwar eine klare Position, aber die entsprechende Regelung im Personenstandsgesetz (§ 9 Abs. 2 PStG) ist lediglich eine „Kann-Formulierung“: Wenn die Eltern eines neugeborenen Kindes nicht in der Lage sind, Papiere (eigene Geburtsurkunde, Heiratsurkunde, …) vorzuweisen, dann kann der Standesbeamte oder die Standesbeamtin mittels einer eidesstattlichen Erklärung der Eltern eine Geburtsurkunde für das Kind ausstellen, muss dies aber nicht.

Wir kennen zudem Berichte über Fälle, in denen das Standesamt mittels eidesstattlicher Erklärung einen Registerauszug oder eine Urkunde ausstellen wollte, die Eltern dies aber abgelehnt haben. Wenn man nach den Gründen fragt, wird die Motivation der Eltern schnell klar: Können Eltern keine Heiratsurkunde vorlegen, wird nur der Name der Mutter als Nachname des Kindes eingetragen. In vielen Herkunftsländern von Geflüchteten bedeutet dies, dass das Kind als unehelich und damit „illegitim“ abgestempelt ist. Das kann für das Kind erhebliche Rechtsfolgen haben, zum Beispiel mit Blick auf Erbansprüche.

Was muss die Politik jetzt tun?

Kittel: Die Politik muss dafür sorgen, dass Kinder von Geflüchteten Geburtsurkunden erhalten. Aus Sicht der Monitoring-Stelle ist im Bundesgesetz und auch im Staatenbericht die eindeutige Absicht formuliert, dass jedes in Deutschland geborene Kind eine Geburtsurkunde erhalten soll. Auf Landesebene gilt es daher, entsprechende Verfahren, die den Weg dahin frei machen, klar zu regeln.

Als eine Art Zwischenlösung könnte der Auszug aus dem Geburtenregister, der von vielen Behörden als amtliches Dokument anerkannt wird, automatisch vom Standesamt an die Eltern von Neugeborenen ohne Papiere übergeben werden. Dann könnten alle notwendigen Schritte eingeleitet werden, damit die Kinder beispielsweise Untersuchungsscheine für Vorsorgeuntersuchungen erhalten und die Mütter mit ihren Neugeborenen nicht auf völlig überfüllte Angebote der Kinder- und Jugendgesundheitsdienste ausweichen müssen. Auch andere behördliche Stellen als das Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin (LAGeSo) haben uns den Registerauszug als ausreichend benannt.

Langfristig muss die Politik dafür sorgen, dass die betroffenen Kinder aus diesem Status leicht herauskommen und sie die Ihnen zustehende Geburtsurkunde erhalten. Wir machen sie sonst zu Staatenlosen.

Wie wird die Monitoring-Stelle diesen Prozess weiter begleiten?

Kittel: Die Monitoring-Stelle wird zusammen mit den Kinder- und Jugendärzt*innen und den Hebammen Gespräche mit den Zuständigen auf Landesebene führen. In Berlin haben wir bereits eine entsprechende Anfrage gestartet, Bayern und Baden-Württemberg werden folgen.

Wir wollen darauf hinwirken, dass verlässliche Zahlen erhoben werden. Bisher gibt es lediglich eine formlose Strichliste des Berliner Hebammenverbandes, der zufolge es seit September 2015 mehr als 400 Fälle allein in Berlin gab.

Die betroffenen Familien über den „Zugang zum Recht“ bezüglich der Geburtenregistrierung zu informieren, gehört eigentlich zu den Staatenpflichten der Vertragsstaaten der UN-Kinderrechtskonvention. Unser Informationsblatt müsste in weitaus mehr Sprachen vorliegen als nur in Deutsch, Englisch, Arabisch und Farsi. Außerdem wäre eine entsprechende Information aller beteiligten Fachkräfte, besonders auch in den Standesämtern, dringend vonnöten.   

Ansprechpartner*in

Claudia Kittel hat braune kinnlange Haare. Sie trägt ein gelbes Oberteil und einen schwarzen Blazer.
© DIMR/B. Dietl

Claudia Kittel

Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention

Telefon: 030 259 359 - 414

E-Mail: apitz(at)institut-fuer-menschenrechte.de

© DIMR/B. Dietl

Sophie Funke

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Telefon: 030 259 359 - 475

E-Mail: funke(at)institut-fuer-menschenrechte.de

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