Im Fokus

Anerkennung auch im Alter

Ohne das oft unentgeltliche Engagement älterer Menschen würde vieles in unserer Gesellschaft nicht funktionieren. © Elliot Manches

In Deutschland sind über 18 Millionen Menschen älter als 65 Jahre, Tendenz steigend. Ältere Menschen werden oft als hilfsbedürftig betrachtet. Sie sind aber keine Fürsorgeobjekte, über die man einfach bestimmen kann. Claudia Mahler und Peter Litschke über negative Altersbilder, barrierefreie Wohnungen und die Rechte älterer Menschen.

 

Obwohl wir alle eines Tages alt sein werden, genießen ältere Menschen wenig Rückhalt in unserer Gesellschaft. Warum ist das so?

Peter Litschke: Aus meiner Sicht hat das viel mit dem etwas abgenutzten Spruch zu tun, dass alle älter werden möchten, aber niemand alt sein will. Alt sein ist hauptsächlich mit negativen Stereotypen verbunden. Viele sind der Meinung, dass ältere Menschen der Gesellschaft nicht zur Last fallen und Platz für die jüngere Generation machen sollten. Diese Einstellung vertreten sogar viele ältere Menschen selbst. Dies zeigt, wie tief negative Altersbilder verwurzelt sind. In unserer Gesellschaft dominiert immer noch das Ideal der Jugend.

Claudia Mahler: Ältere Menschen werden wenig in politische und gesellschaftliche Entscheidungsfindungs­prozesse einbezogen; insbesondere, wenn sie zurück­gezogen leben, hat ihre Meinung kaum Gewicht. Auf der anderen Seite ist es so, dass ältere Menschen viel zur Gesellschaft beitragen. Da diese Mitwirkung oft unentgeltlich ist, wird sie nicht so geschätzt und aner­kannt wie zum Beispiel eine bezahlte Tätigkeit. Ältere Menschen sind eine sehr heterogene Gruppe, und nicht alle leben in schutzbedürftigen Situationen. Aber besonders diejenigen, die Schutz und Unterstützung benötigen, werden übersehen.

Gesundheit ist eine wichtige Voraussetzung für ein aktives und selbstbestimmtes Leben. Was sind die größten Schutzlücken beim Recht auf Gesundheit für ältere Menschen?

Mahler: Ältere Menschen werden auf­grund ihres Alters gesundheitlich schlechter versorgt als jüngere Menschen: Wenn zum Beispiel ältere Patient*innen Krankheitssymptome schildern, kommt es häufig zu vorschnellen Erklärungen mit dem Hin­weis auf den biologischen Alterungsprozess. Ihnen werden oft kosten­günstigere Behandlungen angeboten als jüngeren Patient*innen. Insbesondere an Rehabilitationsmaß­nahmen und der Behandlung der psychischen Gesund­heit wird gespart. Hinzu kommt, dass ihnen der Zugang zu ärztlicher Versorgung immer häufiger durch Online-Dienste bei der Terminvereinbarung oder nicht barrie­refreie Praxen erschwert wird.

Frau Mahler, Sie sind neben Ihrer Tätigkeit im Institut auch Unabhängige UN-Expertin für die Umsetzung der Rechte Älterer und berichten den Vereinten Nationen regelmäßig über die Situation von älteren Menschen weltweit, etwa zum Thema Freiheitsentzug in der Pflege, in der Psychiatrie oder im Strafvollzug. Wo sehen Sie die größten menschenrechtlichen Herausforderungen?

Mahler: Im Strafvollzug zeigt sich, dass die Institutionen auf jüngere Menschen ausgerichtet sind: Die Archi­tektur von Haftanstalten ist häufig nicht barrierefrei und die interne Gesundheitsversorgung nicht für die Be­darfe von älteren Menschen mit chronischen Krank­heiten oder Pflegebedarf ausgestattet. Für Ältere im Strafvollzug gibt es kaum Beschäftigungsmöglichkei­ten – die Arbeiten sind oft körperlich anstrengend. Die Bildungsangebote sind auch nicht auf ältere Men­schen zugeschnitten.

Bezogen auf Pflegeheime ist die Situation eine andere – hier herrscht der Schutzgedanke vor, der aber selten mit den Bewohner*innen erörtert wird. Entscheidungen Dritter können zu einer starken Einschrän­kung der Freiheit führen – Beispiele sind Bettgitter oder Türen, die nicht geöffnet werden können, aber auch medikamentöse Ruhigstellung, um den Mangel an Personal zu kompensieren. All diese Maßnahmen werden häufig ohne ausreichende Informationen oder Einwilligung vollzogen.

Der demografische Wandel führt dazu, dass die Zahl der Menschen über 65 in Deutschland wächst. Damit steigt auch der Bedarf an altersgerechten Wohnmöglichkeiten. Wird das Recht auf Wohnen für Ältere angemessen umgesetzt?

Litschke: Es gibt zu wenig barrierefreien Wohnraum, insbesondere für ältere Menschen mit Behinderungen: Zwar leben viele ältere Menschen im eigenen Zuhause – das ist aber in den meisten Fällen weder barrierefrei noch an die besonderen Bedarfe älterer Menschen angepasst. Dies kann dazu führen, dass die eigene Wohnung zum Gefängnis wird, wenn sie nicht ohne fremde Hilfe verlassen werden kann.

Es gibt gute Ideen, wie Wohnquartiere für ältere Menschen attraktiver werden können. Diese Maßnahmen werden zum Beispiel im Projekt der WHO zu „Age-friendly Cities“ gebündelt. Erstaunlicherweise verfängt diese Idee in Deutschland noch wenig, obwohl die meisten dieser Maßnahmen der gesamten Bevölkerung einer Stadt zugutekommen würden.

Das Institut setzt sich seit vielen Jahren für eine eigene UN-Konvention für ältere Menschen ein, analog zur UN-Behindertenrechtskonvention oder zur UN-Kinderrechtskonvention. Warum ist ein solches internationales Abkommen wichtig?

Mahler: In jedem meiner Berichte an die Vereinten Nationen und in jeder Diskussion zu den Rechten Älterer weise ich nachdrücklich darauf hin, dass die bestehenden Gesetze nicht spezifisch genug sind. Das gilt auch für Deutschland. Es gibt zahlreiche normative Lücken, beispielsweise im Bereich Altersdiskriminierung und Ageism, Gewaltschutz oder lebenslangem Lernen, Langzeitpflege und Palliativversorgung sowie bei Regelungen zur Digitalisierung. Eine internationale Konvention für die Rechte älterer Menschen würde diese Schutzlücken schließen.

Zudem sind die Fachausschüsse zu den bestehenden internationalen Menschenrechtskonventionen nicht in der Lage, die Umsetzung der Rechte älterer Menschen adäquat zu berücksichtigen – weil es ihnen meist an Expertise und Ressourcen fehlt.

Nicht zuletzt würde eine neue UN-Konvention ältere Menschen endlich explizit als Inhaber*innen von Menschenrechten anerkennen und alle ihre Rechte auf ihre Situation spezifiziert in einem Vertragswerk zusammenbringen.

Die Bundesregierung sieht das anders. Im Dezember 2023 ließ sie verlautbaren, sie sehe keine normativen Schutzlücken bei den Rechten Älterer und hat deshalb die Schaffung einer Konvention abgelehnt. Wie geht es nun weiter?

Mahler: Aus unserer Sicht war das eine vertane Chance, die Rechte älterer Menschen weltweit zu stärken. Deutschland als Vorreiter in Sachen Menschenrechte sollte sich aktiv für eine Altenrechtskonvention einsetzen, auch um bisher zögernde Staaten mitzuziehen. Die Zivilgesellschaft und das Institut stehen in engem Austausch mit Vertreter*innen der zuständigen Ministerien und hoffen, dass die Regierung ihre ablehnende Haltung bald aufgibt.

(veröffentlicht am 15.7.2024)

Zur Person

Peter Litschke ist Politikwissenschaftler und arbeitet zu den Rechten von älteren Menschen und den Rech­ten von Menschen mit Behinderungen. Er unterstützt Claudia Mahler in der Arbeit als UN-Expertin.

Menschenrechte im Fokus - Rechte älterer Menschen

© DIMR

Die Menschenrechte älterer Menschen sind in vielen Bereichen eingeschränkt. Damit sich das ändert, braucht es einen internationalen Menschenrechtsvertrag, der die Menschenrechte Älterer konkretisiert und ihre besonderen Bedürfnisse und Gefährdungen in den Fokus rückt. Wer sich seiner Rechte bewusst ist, kann auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen und sich für Verbesserungen einsetzen, so unsere Expertin Dr. Claudia Mahler in unserem Video zu den Rechten älterer Menschen.

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Publikationen zu diesem Thema

Ansprechpartner*in

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Dr. Claudia Mahler

Teamleitung „Rechte Älterer“

Telefon: 030 259 359 - 125

E-Mail: mahler(at)institut-fuer-menschenrechte.de

Kurzbiografie Dr. Claudia Mahler

Dunkelblauer Hintergrund mit einem Kopf und Körper gezeichnet mit weißen Strichen.

Peter Litschke

Wissenschaftlicher Mitarbeiter
(abwesend bis Ende Januar 2025)

Telefon: 030 259 359 - 457

E-Mail: litschke(at)institut-fuer-menschenrechte.de

Kurzbiografie Peter Litschke

Portrait von Sabrina Prem zeigt sie lächelnd mit langen Haaren, einem dunklen Blazer und grüner Bluse vor einer grauen Wand.
© DIMR/B. Dietl

Sabrina Prem

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Telefon: 030 259 359 - 402

E-Mail: prem(at)institut-fuer-menschenrechte.de

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