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„Forschung am DIMR ist den Menschenrechten verpflichtet“

Forschung braucht ein konstruktives, kollegiales Arbeitsklima. © iStock/VichienPetchmai

Unabhängig, partizipativ und interdisziplinär – so wird am Institut geforscht. Was das bedeutet, steht in der neuen Leitlinie für die wissenschaftliche Praxis. Dr. Miriam Schroer-Hippel, Walīd Malik und Dr. María José Ortúzar Escudero erläutern, warum Forschung den Menschenrechten verpflichtet ist.

Im Oktober 2024 hat das Institut die „Leitlinie zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ veröffentlicht. Warum braucht es eine solche Leitlinie?

Dr. Miriam Schroer-Hippel: Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis verdeutlichen, welche Praktiken in der Wissenschaft erlaubt sind und welche nicht. Sie sind dabei auch ein Instrument der wissenschaftlichen Selbstkontrolle.

Dr. María José Ortúzar: Uns war daher vor allem wichtig, die Leitlinien in einem partizipativen Prozess zu entwickeln. So konnten wir von der Expertise der wissenschaftlichen Mitarbeitenden in den verschiedenen menschenrechtlichen Themenfeldern profitieren und die Leitlinien nah an der wissenschaftlichen Arbeit des Instituts entwickeln. Die Auseinandersetzung mit den Leitlinien schärfte zugleich den kritischen Blick der Mitarbeitenden auf die eigene Forschungspraxis.

 

„Das Besondere an den Leitlinien des Deutschen Instituts für Menschenrechte ist, dass sie darüber hinaus festlegen, dass die Forschung am DIMR den Menschenrechten verpflichtet ist.“

Ein Mann mit dunklem, lockigem Haar und einem vollen Bart lächelt freundlich in die Kamera. Er trägt ein hellgelbes Hemd und hat die Haare zu einem Dutt zusammengebunden. Der Hintergrund ist grau und schlicht gehalten.
© DIMR/B. Dietl
Walīd Malik 
Forschungskoordinator des Deutschen Instituts für Menschenrechte

Was bedeutet „gute wissenschaftliche Praxis“?

Ortúzar: Zusammengefasst lässt es sich zuerst „ex negativo“, also in Bezug auf mögliches Fehlverhalten, erklären: Forschende sollen keine Angaben fälschen oder erfinden, sich keine fremde wissenschaftliche Leistung zu eigen machen und die Tätigkeit anderer Forschender nicht beeinträchtigen. Gute wissenschaftliche Praxis ist aber viel mehr. Sie fordert von den Forschenden ein hohes Maß an Reflexion über die eigene Arbeit, wie etwa: Bin ich inhaltlich und methodisch auf dem Laufenden? Sind unsere Interpretationen die einzigen Möglichen und entsprechen sie den Daten? Können andere meine Daten und Ergebnisse nachvollziehen? Forschende arbeiten aber nicht in einem Leerraum. Sie brauchen eine Institution, die durch ihre Organisation diese Praktiken fordern.

Walīd Malik: Das Besondere an den Leitlinien des Deutschen Instituts für Menschenrechte ist, dass sie darüber hinaus festlegen, dass die Forschung am DIMR den Menschenrechten verpflichtet ist.

Was bedeutet das für die Wissenschaftler*innen?

Malik: Die menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands bilden den Ausgangspunkt der Forschung. Das gibt das Mandat des Instituts vor. Das bedeutet: Die Forschenden beginnen mit einer Fragestellung, die sich aus einer menschenrechtlichen Problemlage ableitet. Sie fragen etwa, ob Zwangsräumungen in der Praxis so verlaufen, dass das Recht der Betroffenen auf Wohnen angemessen geschützt wird. Das Institut entwickelt Indikatoren, mit denen es die Umsetzung von rechtlichen Verpflichtungen empirisch überprüfen kann. Diese erfassen beispielsweise, wie häufig Fortbildungen der Polizei zum Thema Menschenhandel stattfinden. Menschenrechtsforschung ist somit – in einem rechtlichen Sinne – normativ ausgerichtet. Anders gesagt: Die Ergebnisse von Interviews, Befragungen und Dokumentenanalysen werden anhand der menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands bewertet.

Ortúzar: Menschenrechtsforschung betrifft außerdem den Forschungsprozess. Dabei orientieren wir uns am „human rights-based approach to data“ der Vereinten Nationen. Dieser Ansatz definiert Prinzipien für einen menschenrechtsfundierten Forschungsprozess. Hierzu zählt, dass Daten soweit wie möglich nach Diskriminierungsmerkmalen erhoben werden sollen. Wir möchten zum Beispiel nicht nur wissen, wie viele Frauenschutzeinrichtungen es gibt, sondern auch, wie viele barrierefrei sind.

Die Leitlinie betont, wie wichtig Partizipation, Inklusion und Empowerment in der Forschung sind. Was ist damit gemeint?

Schroer-Hippel: Die Forschenden sollen die Expertise von Rechteinhabenden und ihren Selbstvertretungen einbeziehen, idealerweise bereits bei der Planung einer Studie. Das geschieht etwa durch Konsultationen oder aber auch in der gemeinsamen Entwicklung des Forschungsdesigns.

Malik: Die Forschenden sind dazu angehalten, zu reflektieren, inwiefern die Forschungsaktivitäten die Rechteinhabenden bei der Wahrnehmung ihrer Rechte stärken oder einschränken können. Hierzu gehört unter anderem, dass Forschende Kritik an bestimmten Begriffen reflektieren und einbeziehen. So sollen Interviewfragen möglichst offen gestellt werden. Sie sollten diskriminierende Zuschreibungen vermeiden und zulassen, dass die Befragten Selbstbezeichnungen wählen können.  

„Wir möchten zum Beispiel nicht nur wissen, wie viele Frauenschutzeinrichtungen es gibt, sondern auch, wie viele barrierefrei sind.“

Dr. María José Ortúzar Escudero 
Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungskoordination

Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit Mitarbeitende so forschen können, wie es die Leitlinie vorgibt?

Schroer-Hippel: Es braucht ein konstruktives, kollegiales Arbeitsklima. So können sich die Forschenden ehrlich mit möglichen Fehlerquellen und Verzerrungen im Forschungsprozess auseinanderzusetzen und diese im Team teilen. Das betrifft sowohl die Erstellung von Fragebögen und Leitfäden sowie die transparente Aufbereitung der gewonnenen Daten, als auch deren Auswertung und Interpretation.

Ortúzar: Klare Zuständigkeiten und Arbeitsziele sind wichtig. Dadurch können unter anderem Fragen der Autor*innenschaft frühzeitig geklärt werden. Darüber hinaus sollten alle Forschenden wissen, wie sie den Schutz der persönlichen Daten der Befragten gewährleisten können.
Außerdem ist die Unterstützung durch die Mitarbeitenden der Bibliothek und der IT wichtig, etwa für die Beratung zu Open-Access-Publikationen und die sichere Speicherung der Daten.

„Es braucht ein konstruktives, kollegiales Arbeitsklima. So können sich die Forschenden ehrlich mit möglichen Fehlerquellen und Verzerrungen im Forschungsprozess auseinanderzusetzen und diese im Team teilen.“

Porträt von Miriam Schroer-Hippel. Sie hat schulterlange braune Haare und trägt ein blaues Oberteil.
© DIMR/B. Dietl
Dr. Miriam Schroer-Hippel 
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt

Papier ist bekanntlich geduldig. Wie wird sichergestellt, dass tatsächlich nach der Leitlinie geforscht wird?

Malik: Mit den Leitlinien guter wissenschaftlicher Praxis setzen wir uns gemeinsam in Fortbildungen und im abteilungsübergreifenden Austausch regelmäßig auseinander. Die Forschungskoordination berät die wissenschaftlichen Mitarbeitenden bei der Umsetzung ihrer Vorhaben.

Schroer-Hippel: Für Fragen zur Interpretation und Umsetzung der Leitlinie stehen allen Mitarbeitenden außerdem zwei interne und bald auch eine externe Ombudsperson zur Seite. Die Forschungskoordination bietet Fortbildungen für die Mitarbeitenden an, berät diese bei der Planung und Durchführung der Projekte und entwickelt Standards zur Qualitätssicherung weiter.

Nicht immer wird in der Wissenschaft korrekt gearbeitet. Wie verhält sich das Institut bei bewusstem Fehlverhalten, zum Beispiel bei Verdacht auf Datenfälschung, Ideenklau oder ein Plagiat?

Ortúzar: Zunächst können wir klarstellen: Bisher hatten wir noch nie Hinweise auf wissenschaftliches Fehlverhalten. Verdachtsfälle können den „Ombudspersonen für gute wissenschaftliche Praxis“ gemeldet werden. Wird ein Fehlverhalten festgestellt, können eine Reihe von Maßnahmen ergriffen werden: Von der Berichtigung fehlerhaften Daten bis hin zu arbeits- und zivilrechtlichen Konsequenzen.

(veröffentlicht im April 2025)

Zur Person:

Dr. María José Ortúzar Escudero ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungskoordination und wirkte an der Erstellung der Leitlinie guter wissenschaftlicher Praxis mit.

Zur Person:

Dr. Miriam Schroer-Hippel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt. Sie wirkte als Forschungskoordinatorin an der Erstellung der Leitlinie guter wissenschaftlicher Praxis mit.

Porträt von Miriam Schroer-Hippel. Sie hat schulterlange braune Haare und trägt ein blaues Oberteil.
© DIMR/B. Dietl

Menschenrechtsforschung am Institut

Unabhängig – interdisziplinär – partizipativ

Erfüllt Deutschland seine menschenrechtlichen Verpflichtungen? Diese Frage leitet die menschenrechtliche Forschung des Instituts. Den Ausgangspunkt bilden dabei die universellen Menschenrechte, die in internationalen Menschenrechtsverträgen und im Grundgesetz verankert sind. 

Gute wissenschaftliche Praxis

Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat in seinen Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis Standards für die wissenschaftliche Arbeit des Instituts festgelegt. Sie basieren auf den Vorgaben der Deutschen Forschungsgemeinschaft und geben Kriterien menschenrechtsbasierter Forschung an.

Ansprechpartner*in

Ein Mann mit dunklem, lockigem Haar und einem vollen Bart lächelt freundlich in die Kamera. Er trägt ein hellgelbes Hemd und hat die Haare zu einem Dutt zusammengebunden. Der Hintergrund ist grau und schlicht gehalten.
© DIMR/B. Dietl
Dunkelblauer Hintergrund mit einem Kopf und Körper gezeichnet mit weißen Strichen.

Dr. María José Ortúzar Escudero

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Telefon: 030 259 359 - 238

E-Mail: ortuzar(at)institut-fuer-menschenrechte.de

© DIMR/B. Dietl

Dr. Miriam Schroer-Hippel

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Telefon: 030 259 359 - 463

E-Mail: schroer-hippel(at)institut-fuer-menschenrechte.de

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