Kinderrechte

Kindgerechte Justiz

Worum geht es?

© DIMR/Dóra Ferenczy

Kinder und Jugendliche können in unterschiedlichen Kontexten mit der Justiz in Berührung kommen: zum Beispiel als Zeug*innen oder als Betroffene in Strafverfahren, als Beschuldigte in Jugendstrafverfahren oder als Beteiligte in familiengerichtlichen Verfahren. Wie für Erwachsene gilt auch für sie der „Zugang zum Recht“ als Menschenrecht. Die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) nimmt ihre besonderen Bedarfe in den Blick und regelt in Artikel 12 Absatz 2, dass jedes Kind das Recht hat, in allen das Kind berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren gehört zu werden. Dieses Recht muss im Zusammenspiel mit dem Recht auf die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls (best interests of the child) aus Artikel 3 Absatz 1 UN-KRK angewandt werden.

In den Allgemeinen Bemerkungen Nr. 12 „Das Recht des Kindes auf Gehör“ gibt der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes Hinweise darüber, wie die Staatenpflicht aus Artikel 12 umgesetzt werden kann. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus die Leitlinien des Europarats für eine kindgerechte Justiz, die festhalten, dass das Kind vor, während und nach dem Verfahren kindgerecht informiert werden muss. Darüber hinaus haben Kinder und Jugendliche ein Recht auf Begleitung und Unterstützung durch qualifizierte Fachpersonen.

Die Umsetzung einer kindgerechten Justiz in Deutschland ist auf einem guten Weg, verläuft jedoch je nach Bundesland sehr unterschiedlich schnell und hängt noch zu oft von einzelnen Gerichtsbezirken oder dem Engagement der Fachkräfte ab. Unverbindliche kinderrechtsbasierte Kriterien, die im Gerichtsverfahren als Handlungsempfehlungen verstanden werden sollen, können dazu beitragen, für eine kindgerechte Justiz in der Praxis zu sensibilisieren.

Das Institut arbeitet seit 2015 zu dem Thema, kooperiert mit dem Deutschen Kinderhilfswerk und ist Teil des europäischen Netzwerkes Child friendly Justice.

Kinderrechtsbasierte Kriterien für eine kindgerechte Justiz

Kinder haben das Recht:

  • auf kindgerechte Informationen über ihre Rechte und das Verfahren;
  • im Verfahren immer und in kindgerechter Weise angehört zu werden. Wenn nicht, muss dies begründet werden;
  • dass ihre Bedarfe gehört und berücksichtigt werden;
  • auf Unterstützung, insbesondere durch ein*e Verfahrensbeiständ*in beziehungsweise eine psychosoziale Prozessbegleitung;
  • dass sich die beteiligten Fachkräfte austauschen, um die beste Lösung für das Kind zu finden;
  • dass Fachkräfte spezifisch qualifiziert sind und sich fortbilden;
  • dass sie über die Entscheidung und gegebenenfalls Unterstützungsangebote kindgerecht informiert werden

Kooperationsprojekt

1. Kinderrechtsbasierte Kriterien für das familiengerichtliche Verfahren

Die Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte und die Koordinierungsstelle Kinderrechte des Deutschen Kinderhilfswerkes nahmen die Leitlinien des Europarates für eine kindgerechte Justiz und die entsprechenden Ausarbeitungen der EU-Grundrechteagentur als Grundlage, um Kriterien für das familiengerichtliche Verfahren in Deutschland gemeinsam mit Richter*innen, Verfahrensbeistandschaft, Anwaltschaft, Wissenschaftler*innen und anderen Expert*innen zu erarbeiten und diese in einer sechsmonatigen Pilotphase (März – August 2021) an drei Amtsgerichten (Lübeck, Münster und Dortmund) unter wissenschaftlicher Begleitung durch die Katholische Hochschule NRW, Abteilung Münster, zu erproben. Die Ergebnisse des Pilotprojekts wurden in einem Abschlussbericht veröffentlicht und bei einer digitalen Fachtagung am 29.06.2022 vorgestellt und diskutiert. Die Ergebnisse aus dem Projekt sind in die Arbeit des Nationalen Rates gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen eingeflossen und finden sich in dem Praxisleitfaden zur Anwendung kindgerechter Kriterien für das familiengerichtliche Verfahren wieder. Das Pilotprojekt zeigt, dass ein gezielter Fokus auf eine kindgerechte Justiz eine Verbesserung der familiengerichtlichen Praxis bewirken kann – sowohl für die Kinder, für die Gestaltung des Verfahrens als auch für die Richter*innen selbst.

Das Projekt wurde von einem wissenschaftlichen Beirat begleitet.

2. Kinderrechtsbasierte Kriterien für das strafgerichtliche Verfahren

Die Monitoring-Stelle UN-KRK und die Koordinierungsstelle Kinderrechte haben auch zum Strafrecht ein gemeinsames Projekt für eine kindgerechte Justiz durchgeführt. Ziel des Pilotprojektes ist es, einen Überblick über den Stand der Umsetzung der Leitlinien des Europarates zur kindgerechten Justiz und des hierauf basierenden “Praxisleitfadens des Nationalen Rates gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen zum strafrechtlichen Verfahren in Bezug auf kindliche Opferzeuginnen und Opferzeugen” in der deutschen Praxis zu erhalten. Dazu wurden zwei Methoden gewählt: Als erstes wurden alle 16 Landesjustizverwaltungen mittels eines Online-Fragebogens (Quantitative Begleitforschung) zum Stand der Umsetzung kindgerechter Kriterien im Strafverfahren mit Blick auf Verletzte und Zeug*innen befragt. Die Ergebnisse wurden kinderrechtlich eingeordnet und in der Analyse „Kindgerechte Justiz in der strafgerichtlichen Praxis – Über die Rechte von Kindern und Jugendlichen als Zeug*innen“ veröffentlicht.

Daran anschließend findet eine Befragung (qualitative Begleitforschung) mittels Interviews unterschiedlicher Stakeholder in fünf ausgewählten Bundesländern (Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Bayern, Niedersachsen, Berlin) statt. Dabei geht es darum, Empfehlungen und Bedarfe der Rechtspraxis (Vertreter*innen aller Berufsgruppen, an die sich der Praxisleitfaden richtet) für eine bessere Anwendung und Umsetzung des Praxisleitfadens zu erheben. Die Gesamtergebnisse aus dem Projekt sollen Ende 2024 veröffentlicht werden.

Das Pilotprojekt soll zeigen, dass es grundsätzlich möglich ist, die Umsetzung der kindgerechten Justiz zu evaluieren und dabei auch Datenlücken zu identifizieren. Mit der kinderrechtsbasierten Datenerhebung soll ein Instrument etabliert werden, das die Grundlage für regelmäßige, wiederkehrende Erhebungen durch die Bundesländer selbst schaffen kann.

Publikationen zu diesem Thema

Ansprechpartner*innen

Claudia Kittel hat braune kinnlange Haare. Sie trägt ein gelbes Oberteil und einen schwarzen Blazer.
© DIMR/B. Dietl

Claudia Kittel

Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention

Telefon: 030 259 359 - 414

E-Mail: apitz(at)institut-fuer-menschenrechte.de

© DIMR/B. Dietl

Sophie Funke

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Telefon: 030 259 359 - 475

E-Mail: funke(at)institut-fuer-menschenrechte.de

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