Nationaler Verweisungsmechanismus

Säule 1: Identifikation und Schutz

Stand Oktober 2023

Säule 1: Identifikation und Schutz

Die erste und zentrale Säule im Rahmen der Implementierung eines Nationalen Verweisungsmechanismus bildet die Identifizierung Betroffener von Menschenhandel, um ihnen unmittelbar effektiven Schutz zu bieten. Ein NRM sollte für Betroffene von Menschenhandel aller Ausbeutungsformen der Paragrafen §§ 232 bis 233a StGB gelten (sexuelle Ausbeutung, Arbeitsausbeutung, Betteltätigkeit, Begehung von Straftaten und Organentnahme). Dabei sollten alle Betroffenengruppen jeden Geschlechts und Alters umfasst werden.

Legende
Bundesland auswählen Klicken Sie auf ein Bundesland in der Karte um weitere Information entsprechend des Standorts zu erhalten.

(Der 2023 erschienene „Leitfaden zur Bekämpfung von Menschenhandel Baden-Württemberg für Behörden und vom Land anerkannte Fachberatungsstellen“ wurde noch nicht berücksichtigt.)

In Baden-Württemberg liegen zwei „Leitfäden“ für die Kooperation zwischen Behörden und Fachberatungsstellen vor. Beide Leitfäden zeigen mögliche, nicht bindende Handlungsabläufe im Umgang mit Betroffenen von Menschenhandel auf. Der 2016 verfasste Leitfaden für den Bereich Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung steht kurz vor einer Aktualisierung. Der 2019 verfasste Leitfaden „Gemeinsam gegen Menschenhandel und Arbeitsausbeutung“ ist insbesondere in den Bereichen der ersten und zweiten NRM-Säule ausführlich ausgestaltet. Beide Dokumente richten sich an eine Vielzahl relevanter Akteure, darunter Polizeibehörden, Fachberatungsstellen, Leistungsbehörden, Sozialversicherungsträger und die Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Beide Dokumente sehen keine Fortbildungen der Akteure vor. Doch der 2019 verfasste Leitfaden geht auf die Arbeit eines Runden Tischs zurück. In dem Leitfaden von 2016 wird angeregt, in Ausländer- und Leistungsbehörden „spezielle Ansprechpartner“ vorzusehen (S. 11). Sowohl die Bedenk- und Stabilisierungsfrist (§ 59 Abs. 7 AufenthG) als auch mögliche Aufenthaltstitel werden in beiden Dokumenten genannt. In dem 2019 verfassten Dokument werden sie mit detaillierten „Praxistipps“ ausgeführt. Dazu zählt auch ein Hinweis, dass für die Erteilung der Bedenk- und Stabilisierungsfrist eine Stellungnahme der Fachberatungsstelle, nicht der Polizei, ausreicht und die Frist auch EU-Bürger*innen zusteht. 

Die „Zusammenarbeitsvereinbarung der Polizei, Staatsanwaltschaft, Fachberatungsstellen, Ausländerbehörden, Sozialbehörden und Agenturen für Arbeit zum Schutz von Opferzeuginnen und Opferzeugen in Menschenhandelsfällen“ legt die Zuständigkeiten der genannten Akteure fest. Bei der Vereinbarung handelt es sich um einen gemeinsamen Erlass dreier Ministerien (heute: StMAS, StMJ und StMI) aus dem Jahr 2005, der für die genannten Behörden bindend ist. Er soll jedoch zeitnah aktualisiert und überarbeitet werden. Das Dokument legt einen Fokus auf von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung betroffene Frauen, bezieht aber andere Betroffenengruppen und Ausbeutungsformen ebenso ein. Schulungen von Fachpersonal im Umgang mit Betroffenen sind nicht Bestandteil des Dokuments. Jedoch werden die beteiligten Stellen angehalten, mindestens einmal pro Jahr ihre Erfahrungen auszutauschen. Das Dokument nimmt Bezug auf eine Ausreisefrist von „mindestens vier Wochen“ (S. 4). Dies entsprach der damaligen gesetzlichen Vorgabe zur Bedenk- und Stabilisierungsfrist, stimmt jedoch mit der aktuellen Gesetzeslage (§ 59 Abs. 7 AufenthG) nicht mehr überein, nach der eine Frist von mindestens drei Monaten gilt. Die Möglichkeit zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 4a AufenthG wird nicht erwähnt. 

Eine zuletzt 2008 aktualisierte Kooperationsvereinbarung zwischen dem damaligen Berliner Polizeipräsidenten und drei Fachberatungsstellen regelt in Form einer verbindlichen Vereinbarung die Zusammenarbeit der genannten Akteure. Sie umfasst den Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und der Arbeitsausbeutung, mit volljährigen Frauen als Zielgruppe. Die Vereinbarung umfasst männliche und minderjährige Betroffene nicht, dennoch wird an mehreren Stellen auf andere zuständige Akteure für diese Gruppen verwiesen. Teilweise sind diese Zuständigkeiten nicht mehr aktuell. Schulungen, regelmäßige Austauschformate oder andere Qualifizierungen der beteiligten Akteure werden in der Vereinbarung nicht geregelt. Sie erwähnt in der Anlage „Hinweisblatt für Opfer von Menschenhandel“ eine Bedenk- und Stabilisierungsfrist „von mindestens einem Monat“ für ausreisepflichtige Betroffene, die damit nicht mehr den aktuellen gesetzlichen Regelungen entspricht (S. 13). Zur Erteilung und der konkreten Anwendung der Bedenk- und Stabilisierungsfrist wird auf Weisungen der Berliner Senatsverwaltung für Inneres verwiesen. Regelungen für EU-Bürger*innen werden nicht erwähnt. Die Möglichkeit eines Aufenthaltstitels nach §25 Abs. 4a AufenthG wird in dem Dokument und in einem sich im Anhang befindenden „Hinweisblatt für Opfer von Menschenhandel“ erwähnt.  

Das Dokument wird aktuell überarbeitet und soll zukünftig unter anderem weitere Akteure umfassen. Ebenso wird aktuell eine Vereinbarung für minderjährige Betroffene erarbeitet. 

In diesem Bundesland liegt kein aktuelles Kooperationsdokument vor. 

In diesem Bundesland liegt kein aktuelles Kooperationsdokument vor. 

Die im Jahr 2018 verfasste Kooperationsvereinbarung legt die Zuständigkeiten und Verfahrensabläufe zwischen der Polizeibehörde und der Fachberatungsstelle „KOOFRA e. V.“ im Umgang mit von „Menschenhandel, Zwangsarbeit und Zwangsprostitution betroffenen Personen“ fest (S. 4). Darunter fallen auch Personen unter 21 Jahren und Minderjährige. Das Dokument berücksichtigt auch Männer und „transidentische“ Personen als Betroffenengruppen und weist auf Lücken in der Zuständigkeit und im Hilfesystem für diese hin. Schulungen der beteiligten Akteure werden in der Vereinbarung nicht geregelt, erwähnt werden jedoch „regelmäßige Austauschtreffen“ (S. 7). Das Dokument weist mehrfach auf das Recht einer Bedenk- und Stabilisierungsfrist für Betroffene hin. Es erwähnt sowohl die aufenthaltsrechtliche Grundlage nach § 59 Abs. 7 AufenthG für ausreisepflichtige Personen, also auch die Notwendigkeit für deutsche und nicht ausreisepflichtige Betroffene, „Zeit zur Stabilisierung und Beratung“ zu erhalten (S. 6). Darüber hinaus benennt das Dokument die gesetzliche Grundlage für die Erteilung und Verlängerung eines Aufenthaltstitels für Betroffene (§ 25 Abs. 4 AufenthG). 

Die im Jahr 2018 verfasste Kooperationsvereinbarung richtet sich an die Akteure „Strafverfolgungsbehörden, Ausländerbehörden, Sozialbehörden und Fachberatungsstellen“ für den Umgang mit von sexueller Ausbeutung betroffenen Frauen. Die Regelungen des Dokuments sind „Empfehlungen (S. 14). Ein vergleichbares Dokument für andere Betroffenengruppen und Ausbeutungsformen liegt nicht vor. Schulungen von Fachpersonal im Umgang mit Betroffenen werden durch die Vereinbarung nicht festgelegt. Jedoch soll die Fachberatungs- und Koordinierungsstelle „FIM e. V. – Frauenrecht ist Menschenrecht“ „jährlich […] zu einem Erfahrungsaustausch [mit] den Ermittlungsbehörden“ einladen (S. 5). Die Vereinbarung erwähnt zudem ein Fachkommissariat aufseiten der Polizei, das bei jedem Fall illegalen Aufenthalts im Prostitutionsgewerbe eingeschaltet werden muss. Das Dokument ist im Rahmen eines Runden Tischs entstanden und soll von diesem ständig auf „Übereinstimmung mit der Gesetzeslage und der Praktikabilität“ geprüft werden (S. 14). Die Vereinbarung erwähnt die Bedenk- und Stabilisierungsfrist für Betroffene, „die keine gültigen Papiere besitzen“ (§ 59 Abs. 7 AufenthG). Regelungen für EU-Bürger*innen enthält das Dokument nicht. Die gesetzliche Grundlage für einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 4a AufenthG wird in der Vereinbarung erläutert. 

In Mecklenburg-Vorpommern regelt seit 2011 eine Kooperationsvereinbarung die Zusammenarbeit der relevanten Akteure Landespolizei, Staatsanwaltschaften und der Fachberatungsstelle „ZORA“. Das Dokument umfasst alle Betroffenen von sexueller Ausbeutung als auch von Arbeitsausbeutung. Allerdings ist die Fachberatungsstelle ZORA seit 2018 nur noch für Betroffene von sexueller Ausbeutung und Zwangsverheiratung zuständig. Die beteiligten Akteure werden beauftragt, einmal jährlich ein Arbeitstreffen durchzuführen. Darüberhinausgehende Schulungen werden nicht vereinbart. Die Vereinbarung nennt auf Seite der Landespolizei eine spezialisierte „Koordinierungsstelle für den Schutz von Opferzeuginnen und Opferzeugen von Menschenhandel“ (KOST OM). Die Vereinbarung erwähnt eine „zu gewährende Ausreisefrist“ für Betroffene (S. 3). Die Länge der Frist, die gesetzlichen Grundlagen der Bedenk- und Stabilisierungsfrist sowie die daraus erwachsenden Rechte werden nicht genannt. Die Sicherung des Aufenthaltsstatus von Betroffenen wird als allgemeines Ziel in der Vereinbarung genannt. Die gesetzlichen Grundlagen hierfür und die daraus erwachsenden Rechte bleiben unerwähnt. 

Die Zusammenarbeit von Behörden und Fachberatungsstellen wurde in Niedersachen zuletzt im Jahr 2020 durch einen gemeinsamen Runderlass dreier Ministerien (MI, MS und MJ) formalisiert. Der Erlass richtet sich verbindlich an die relevanten Behörden, darunter Polizei-, Ausländer-, Leistungsbehörden, Jugendämter und Staatsanwaltschaften. Er bezieht sich auf Betroffene von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Ein vergleichbares Dokument für andere Betroffenengruppen und Ausbeutungsformen liegt nicht vor. Das Dokument sieht vor, dass die zuständigen polizeilichen Stellen, Staatsanwaltschaften und Fachberatungsstellen bei „Bedarf, wenigstens aber einmal im Jahr, […] gemeinsame Besprechungen“ abhalten und „bedarfsgerechte interdisziplinäre Fortbildungsveranstaltungen“ durchführen (S. 8). Die gesetzliche Grundlage für eine Bedenk- und Stabilisierungsfrist (§ 59 Abs. 7 AufenthG) wird in dem Erlass erläutert. Er erwähnt, dass die Erteilung unabhängig von der Mitwirkung im Strafverfahren erfolgt und auch für EU-Bürger*innen möglich ist. Um eine Bedenk- und Stabilisierungsfrist zu erwirken, überträgt der Erlass den Fachberatungsstellen die Befugnis, „im Einvernehmen mit den Betroffenen, auch gegenüber den Ausländer- und Leistungsbehörden konkrete Anhaltspunkte für ein Vorliegen von Menschenhandel oder Zwangsprostitution zu benennen.“ Für die Erteilung und die Verlängerung eines Aufenthaltstitels verweist das Dokument auf die Gesetzeslage (§ 25 Abs. 4a AufenthG). 

Die „Konzeption Menschenhandel“ des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen legt „fachliche Handlungsempfehlungen und Standards“ für die polizeiliche Arbeit in Fällen des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung fest. Die aktuelle Version von 2017 wird gerade überarbeitet. Das Dokument wurde in Abstimmung mit Fachberatungsstellen und drei Landesministerien (heute: IM, MAGS und JM) verfasst und stellt auch Aufgaben anderer Akteure dar. Dazu zählen insbesondere Staatsanwaltschaften, Ausländerbehörden, Leistungsbehörden und Fachberatungsstellen. Es wird aber noch eine Vielzahl weiterer, relevanter Akteure genannt. Dokumente für weitere Ausbeutungsformen und minderjährige Betroffene liegen bisher nicht vor, werden jedoch erarbeitet.  Die Konzeption sieht Schulungen für polizeiliche Opferschutzbeauftragte vor und empfiehlt, dass die Polizei bereits anlassunabhängig „die Einrichtung deliktsspezifischer Abstimmungsgremien“ mit anderen Akteuren initiiert (S. 30). Sie erläutert die Erteilung einer dreimonatigen Bedenk- und Stabilisierungsfrist (§ 59 Abs. 7 AufenthG) für Betroffene mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus. Regelungen für EU-Bürger*innen werden nicht erwähnt. Für Betroffene, „die als Zeuginnen oder Zeugen in einem deutschen Strafverfahren mitwirken, [soll] eine Duldung gem. § 60a Abs. 2 AufenthG erteilt werden“ (S. 21). Die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 4a AufenthG bereits während des Strafverfahrens wird nicht erwähnt. Jedoch erwähnt die Konzeption eine mögliche Verlängerung nach Abschluss des Strafverfahrens. 

Ein 2015 verfasstes Kooperationskonzept regelt in Rheinland-Pfalz den Umgang mit allen Betroffenen von Menschenhandel sowohl zum Zweck der sexuellen Ausbeutung als auch der Arbeitsausbeutung. Das Konzept umfasst auch Regelungen für minderjährige Betroffene. Als relevante Akteure werden „staatliche und nichtstaatliche Organisationen […], die in Fällen des Menschenhandels tätig werden oder mit Opfern von Menschenhandel in Kontakt kommen“ benannt (S. 3). Näher beschrieben werden insbesondere die Aufgaben der Polizeibehörden, Fachberatungsstellen, Ausländerbehörden, Sozialleistungsträger und der Kinder- und Jugendhilfe. Es werden darüber hinaus jedoch viele weitere Akteure benannt. Hinsichtlich des Umfangs von beteiligten Akteuren, Ausbeutungsformen und Zielgruppen ist das Dokument sehr umfassend. Die Aufgabenbeschreibung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit entspricht nicht mehr dem aktuellen Stand. Schulungen für die beteiligten Akteure werden nicht festgelegt. Das Dokument legt jedoch alle zwei Jahre durchzuführende „Evaluierungsgespräche“ fest und strebt einen „regelmäßigen Erfahrungsaustausch“ an. Das Konzept führt die gesetzlichen Grundlagen sowohl für die Bedenk- und Stabilisierungsfrist gemäß § 59 Absatz 7 AufenthG als auch für einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 4a AufenthG aus. Es benennt die Bedenk- und Stabilisierungsfrist für EU-Bürger*innen nicht explizit, weist jedoch auf deren Anspruch auf Sozialleistungen und die Möglichkeit eines Aufenthaltstitels für diese Gruppe hin. 

Im Saarland regeln zwei Dokumente die Zusammenarbeit zwischen Behörden und Fachberatungsstellen. Beide beziehen sich auf von sexueller Ausbeutung betroffene Frauen (auch Minderjährige). Dokumente für andere Betroffenengruppen und Ausbeutungsformen liegen nicht vor. Beide Dokumente werden aktuell überarbeitet. Eine 2016 verfasste Kooperationsvereinbarung legt die Zusammenarbeit zwischen Polizeibehörden und der Fachberatungsstelle „ALDONA e. V.“ fest. Ein 2018 verfasster Leitfaden soll weiteren zuständigen Behörden (Sozial- und Jugendämter, Jobcenter und Agentur für Arbeit sowie Ausländerbehörden) und der Fachberatungsstelle „Hilfestellung“ (S. 1) und „Handlungssicherheit“ (S. 2) im Umgang mit Betroffenen geben. Die beteiligten Stellen werden angehalten, „mindestens einmal im Jahr“ ihre Erfahrungen auszutauschen. Die Bedenk- und Stabilisierungsfrist wird in beiden Dokumenten nur für Betroffene aus Drittstaaten (§ 59 Abs. 7 AufenthG), nicht für EU-Bürger*innen erwähnt. Die gesetzliche Grundlage für einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 4a AufenthG nennt nur das 2018 verfasste Dokument. 

 

Die 2023 unterzeichnete „Kooperationsvereinbarung zwischen der Polizei und der Fachberatungsstelle […] KOBRAnet im Freistaat Sachsen“ regelt den Umgang mit Betroffenen von Menschenhandel und Gewalt im Namen der Ehre zwischen den beiden genannten Akteuren. Sie bezieht sich nur auf Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Das Dokument umfasst als Betroffenengruppe alle volljährigen Personen, unabhängig ihres Geschlechts. Ein Dokument für andere Ausbeutungsformen existiert nicht. Die beiden Akteure werden beauftragt, regelmäßige Informations- und Erfahrungsaustausche und in erforderlichem Umfang interdisziplinäre Schulungsveranstaltungen abzuhalten. Das Dokument erwähnt die gesetzliche Grundlage für die Erteilung der Bedenk- und Stabilisierungsfrist für ausreisepflichtige Personen (§ 59 Abs. 7 AufenthG). EU-Bürger*innen werden nicht gesondert benannt. Die Sicherung des Aufenthaltsstatus von Betroffenen wird als übergeordnetes Ziel benannt, doch die gesetzlichen Grundlagen hierfür und die daraus erwachsenden Rechte bleiben unerwähnt. Das Dokument verweist aber für den Aufenthalt nach Abschluss des Strafverfahrens auf einen Erlass aus dem Jahr 2010. 

In Sachsen-Anhalt wird seit dem Jahr 2021 die Zusammenarbeit von Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften, Ausländerbehörden und der Fachberatungsstelle VERA durch einen Runderlass des Ministeriums für Inneres bindend geregelt. Als weitere Akteure werden auch Jugendämter, das Familiengericht und der Soziale Dienst der Justiz in Abschiebungshafteinrichtungen erwähnt. Der Erlass umfasst alle Ausbeutungsformen des Menschenhandels und fokussiert sich auf weibliche Betroffene, auch Minderjährige. Die „Grundsätze der Zusammenarbeit mit der Fachstelle VERA“ werden durch das Dokument bereits im Lehrplan der Fachhochschule der Polizei verankert (S. 3). Schulungen der weiteren Akteure oder Austauschformate werden durch das Dokument nicht geregelt. Die gesetzlichen Grundlagen zur Erteilung einer Bedenk- und Stabilisierungsfrist (§ 59 Abs. 7 AufenthG) sowie eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 4a AufenthG und dessen Verlängerung werden ausführlich und mit Verweis auf Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz erläutert. Darüber hinaus werden Polizeibehörden beauftragt, bereits bei der Erstvernehmung auf Aufenthaltstitel und die Bedenk- und Stabilisierungsfrist hinzuweisen. Regelungen für EU-Bürger*innen werden nicht gesondert dargestellt. 

In diesem Bundesland liegt kein aktuelles Kooperationsdokument vor. 

In diesem Bundesland liegt kein aktuelles Kooperationsdokument vor. 

Die erste und zentrale Säule im Rahmen der Implementierung eines Nationalen Verweisungsmechanismus bildet die Identifizierung Betroffener von Menschenhandel, um ihnen unmittelbar effektiven Schutz zu bieten. Ein NRM sollte für Betroffene von Menschenhandel aller Ausbeutungsformen der Paragrafen §§ 232 bis 233a StGB gelten (sexuelle Ausbeutung, Arbeitsausbeutung, Betteltätigkeit, Begehung von Straftaten und Organentnahme). Dabei sollten alle Betroffenengruppen jeden Geschlechts und Alters umfasst werden. 

Um eine effektive Identifizierung zu gewährleisten, definiert die OSZE sogenannte „zuständige NRM-Behörden“ (NRM competent authorities), die für den Umgang mit Betroffenen von Menschenhandel geschultes Personal einsetzen. Zu diesen Behörden gehören insbesondere Jugendämter, Polizei-, Grenz-, Zoll-, Justiz-, Leistungs- sowie Ausländer- und Asylbehörden. Zu den weiteren NRM-Akteuren gehören unter anderem spezialisierte Fachberatungsstellen, Gewerkschaften und Arbeitsinspektionen. 

Die OSZE betont, dass Identifizierungsprozesse zweistufig sind: Eine vorläufige Identifizierung potenziell Betroffener soll zur Erteilung einer mindestens dreimonatigen Bedenk- und Stabilisierungsfrist führen. Während dieser Zeit sollen sich potenziell Betroffene ausreichend erholen können und eine Entscheidung darüber treffen, ob sie mit den Behörden zusammenarbeiten. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme darf während dieser Zeit nicht vollstreckt werden. Die Bedenk- und Stabilisierungsfrist wird in Deutschland für irregulär aufhältige Personen durch § 59 Abs. 7 AufenthG gewährleistet. Sie haben in dieser Zeit Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Doch auch EU-Bürger*innen steht diese Frist mit entsprechenden Leistungen zum Lebensunterhalt in der Regel nach dem SGB II zu (Fachliche Weisung der Bundesagentur für Arbeit zu § 7 SGB II, Rn. 7.37). Die abschließende Identifizierung von Betroffenen berechtigt zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 4a AufenthG. Bereits ab dem ersten Identifizierungsschritt sollen für Betroffene grundlegende Schutz- und Unterstützungsleistungen der zweiten Säule gewährleistet sein. 

Die vorliegenden Ergebnisse lassen keine abschließende Bewertung der Umsetzung dieser Säule zu. Eine qualitative Dokumentenanalyse bildet weder Strukturen oder standardisierte Verfahrensabläufe ab, die unabhängig von schriftlichen Dokumenten existieren, noch wurde die praktische Anwendung der Dokumente geprüft.

Analyse der weiteren Säulen eines NRM

Zum Seitenanfang springen