Ein Nachbericht zur Veranstaltung „Wo steht die Bildungspraxis gegen rechts heute?“
Gesellschaftliche Einschnitte von großer Dimension wie etwa die Klimakrise, Krieg in Europa oder die Inflation beeinflussen das Leben vieler Menschen und begünstigen auch menschenverachtende Einstellungen in der Gesellschaft. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sich die Grenzen des Sagbaren verschieben, rassistische Hetze zunimmt und Menschen, die sich für Demokratie, Menschenrechte und Vielfalt einsetzen, bedroht werden. Wie können Akteur*innen der politischen Bildung mit der Zunahme von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus umgehen? Welche Strategien sind wirksam, um rechtspopulistische Narrative aufzubrechen? Welchen Beitrag können die Menschenrechte hier leisten? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigte sich die Veranstaltung „Wo steht die Bildungspraxis gegen rechts heute?“ vom 29. September 2023, zu der das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) eingeladen hatte.
Die ganztägige Veranstaltung mit rund 60 Teilnehmer*innen begann mit der Begrüßung von Sandra Reitz und Josephine Akinyosoye vom Deutschen Institut für Menschenrechte sowie einer kurzen Einführung des Awareness-Teams. Anschließend folgte eine Podiumsdiskussion unter der Moderation von Ceren Türkmen, Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Erinnerungskultur, Menschenrechte und Demokratie in Duisburg. In einer ersten Runde sprachen:
- Nava Zarabian, Journalistin und Referentin bei der Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt am Main
- Alexander Wohnig, Juniorprofessor für die Didaktik der Sozialwissenschaft an der Universität Siegen
- N.N. (möchte namentlich nicht erwähnt werden), Sozialwissenschaftler und Referent bei BiLaN Bildungsinitiative Lernen aus dem NSU-Komplex
- Özge Özdemir, Jugendbildungsreferentin bei der Bildungsinitiative Ferhat Unvar
Aus ihrer Bildungspraxis bestätigte Nava Zarabian, dass sich rechte Narrative und menschenverachtende Bilder verbreiteten. Diese Narrative müssten aktiv verlernt werden, was auch eine Aufgabe der politischen Bildung sei. Dabei sei ein intersektionaler Ansatz wichtig, so Zarabian: Antisemitismus, Klassismus, Rassismus und Sexismus müssten in Bildungsangeboten zusammen gedacht und bearbeitet werden.
Auf die Frage, welche Konsequenzen die Anschläge in Halle 2019 oder ein Jahr später in Hanau auf die politische Bildungsarbeit hatten und bis heute haben, antwortetet Özge Özdemir, dass seitdem viele Schulen und Vereine anfragten, wie sie mit diesen Ereignissen umgehen sollten. Özdemir betonte, dass es notwendig sei, Rassismus grundsätzlich zu thematisieren und nicht nur im Zusammenhang mit den Morden in Deutschland. Vielmehr sei es nötig, auch darüber hinaus die tiefergehenden Strukturen wie zum Beispiel rechtsextreme Netzwerke bei der Polizei, das Wegschauen oder die Ignoranz der Behörden stärker ins Bewusstsein zu bringen. „Für eine nachhaltige antirassistische Bildungsarbeit müssen wir den Fokus weg von der Betroffenenperspektive verschieben.“
N.N. von BiLaN führte aus, dass Betroffene rechter Gewalt seit der Aufdeckung des NSU im November 2011 sichtbarer seien. Dies sei vor allem den Angehörigen und Überlebenden zu verdanken, die sich an die Öffentlichkeit wendeten. Da rechte Gewalt häufig einen lokalen Ausgangs- oder Bezugspunkt habe, sei es für die politische Bildungsarbeit wichtig, vor Ort Gedenkmöglichkeiten einzurichten und die lokale Zivilgesellschaft zu unterstützen.
Alexander Wohnig betonte, dass eine Funktion von politischer Bildung auch Präventionsarbeit sei. Insbesondere die außerschulische Bildung habe darüber hinaus jedoch auch die Aufgabe, Lernende zu empowern und sie für ein solidarisches Miteinander zu befähigen. Wohnig unterstrich, dass dies nicht im Widerspruch stehe mit dem Beutelsbacher Konsens. Im Gegenteil sollten Bildungspraktiker*innen aktiv gegen rechte Narrative eintreten.
Die Frage von Türkmen zur Bedeutung der Menschenrechte in der Bildungspraxis der Podiumsteilnehmer*innen ergab ein uneinheitliches Bild. Während zum Beispiel BiLaN laut N.N. Menschenrechte noch wenig implementiere und eher mit Begriffen Solidarität verwende, führte Özdemir aus, dass die Bildungsinitiative Ferhat Unvar explizit mit Menschenrechten arbeite. In dem Zusammenhang beobachtet sie jedoch, dass sich Lernende häufig auf einzelne Rechte wie Meinungsfreiheit fokussierten, statt alle Rechte gleichermaßen in den Blick zu nehmen.
Anschließend war die Diskussion offen für rund ein Dutzend Wortmeldungen. Unter anderem wurde ein stärker intersektionaler Diskurs in der antirassistischen Bildungsarbeit gefordert. Fehlendes Wissen über Menschenrechte sei ein strukturelles Problem. Es müsse diskutiert werden wie die einzelnen Rechte (etwa Meinungsfreiheit und Diskriminierungsschutz) in Beziehung zueinander stehen. Es müsse aber auch nachhaltig vermittelt werden, dass Menschenrechte parteiisch für Marginalisierte sind und somit viel zum Empowerment beitragen können.
Auch Thomas Gill, Leiter der Berliner Landeszentrale für politische Bildung, unterstrich die Bedeutung der Menschenrechte in der politischen Bildung. „Menschenrechte sollen nicht nur ein moralischer Bezugspunkt sein, vielmehr muss politische Bildung als solches menschenrechtlich ausgestaltet werden“, so Gill. Dazu gehöre, bestehende Bildungsinhalte weiterzuentwickeln und neue Akteure der politischen Bildung zu stärken.
Sandra Reitz forderte dazu auf, den ersten Teil des Wortes „Menschenrechte“ zu betonen: Die juristische Komplexität von Menschenrechten könne abschreckend wirken. Fokussiere man auf „Menschen“, stehe stattdessen das Miteinander im Vordergrund, die gemeinsamen Werte und was Menschen verbinde.
Anschließend entschieden sich die Teilnehmer*innen für einen von vier Workshops. Angeboten wurden:
Die Veranstaltung schloss mit einer offenen Runde, in der Ergebnisse aus den Workshops vorgestellt wurden und nochmals klar wurde, wie wichtig es in der politischen Bildung geworden ist, Falschinformationen zu entlarven, rechte Narrative aufzubrechen und bei den Lernenden Werte wie Empathie und Solidarität zu stärken.
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