Am 14. Juni 2024 ist es so weit: Mit dem Auftaktspiel Deutschland gegen Schottland startet die Fußball-Europameisterschaft (auch EURO 2024 bzw. EM) der Männer in Deutschland. Damit rund 2,8 Millionen Zuschauer*innen aus ganz Europa live verfolgen können, wie Wirtz, Mbappé, Bellingham und Co. um den Titel spielen, mussten im Vorfeld nicht nur Stadien, Sicherheit und Infrastruktur in den Blick genommen werden. Auch Menschenrechte spielen eine wichtige Rolle. Wie alle anderen Ausrichter von Sportgroßveranstaltungen steht auch Deutschland in der Pflicht, menschenrechtliche Standards einzuhalten. Im Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft 2022 in Katar haben Medien, Politik und Gesellschaft das Thema Menschenrechte zu Recht breit thematisiert. In Deutschland erscheint die Situation auf den ersten Blick aufgrund eines geringeren Maßes an bekannten Fällen zu Arbeitsausbeutung auf Stadienbaustellen weniger dramatisch – Arbeitsausbeutung findet aber auch hierzulande statt.
Menschenrechte berühren EM in vielfältiger Hinsicht
Denn gerade bei großen Sportevents können Menschenrechte verletzt werden. Beispielsweise wenn der Staat die grundlegenden Rechte von Fans einschränkt oder Menschen rassistisch, antisemitisch oder anderweitig durch Fans, Mitarbeitende oder Sicherheitskräfte diskriminiert werden. Gewalttätige Übergriffe sind genauso Thema wie arbeitsbezogene Menschenrechtsverletzungen oder der Ausschluss von Menschen mit Behinderungen, etwa wenn Stadien nicht in ausreichendem Maß barrierefrei zugänglich sind. Zudem drohen indirekte Menschenrechtsverletzungen, indem beispielweise Klima- und Nachhaltigkeitsaspekte missachtet werden.
Die Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen in all diesen Bereichen zu verhindern, liegt grundsätzlich beim Staat. Dieser steht auch in der Pflicht, Menschenrechtsverletzungen durch private Akteure zu verhindern. Deshalb nimmt er sowohl die Veranstalter als auch die Austragungsorte der EM in die Verantwortung, Menschenrechte zu achten und zu schützen.
EM-Menschenrechtskonzept beinhaltet Beschwerdemechanismus
Die Veranstalter, die EURO 2024, ein Joint Venture aus der Union des associations européennes de football (UEFA) und dem Deutschen Fußball-Bund e. V. (DFB) will dieser Verantwortung aktiv nachkommen: Sie haben im November letzten Jahres zusammen mit verschiedenen Akteuren aus Bund, Ländern und Stakeholdern ein gemeinsames Menschenrechtskonzept erarbeitet und verabschiedet. Darin ist unter anderem ein Beschwerdemechanismus vorgesehen, der allen, die von nachteiligen Auswirkungen der EM betroffen sind, Zugang zu wirksamer Abhilfe verschaffen soll. Michael Windfuhr, Stellvertretender Direktor des Instituts, begrüßt diese Entwicklung: „Die Einführung des Menschenrechtskonzepts ist ein guter Anfang. Die Effektivität des Konzepts im Allgemeinen sowie des Beschwerdemechanismus im Speziellen wird sich jetzt in der Praxis erweisen müssen.“ Das Institut war eingeladen, die Konzeptentwicklung beratend zu begleiten.
Eine Schlüsselrolle bezüglich der Wirksamkeit solcher Konzepte spielt die Integration und die Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Diese verpflichten Staaten, Personen vor Menschenrechtsverletzungen Dritter, insbesondere Unternehmen, zu schützen und angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um Verletzungen vorzubeugen, sie zu untersuchen, zu ahnden und Abhilfe zu leisten. Zwar ist der EM-Ausrichter nicht an das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) gebunden, möchte dies aber in der Praxis anwenden. Das Gesetz verpflichtet große Unternehmen unter anderem dazu, eine menschenrechtliche Risikoanalyse durchzuführen und einen Beschwerdemechanismus einzurichten, wie es auch im Menschenrechtskonzept der EURO 2024 vorgesehen ist. Wichtig aus menschenrechtlicher Sicht ist zudem, bei der Entwicklung und Evaluation von Menschenrechtskonzepten Betroffene zu beteiligen.
Sportverbände tragen menschenrechtliche Verantwortung
Der Sport hat nicht nur bei Großveranstaltungen Berührungspunkte mit den Menschenrechten. In Deutschland ist er ein Massenphänomen. Fast 28 Millionen Menschen sind Mitglied in einem Sportverein. Sport verbindet Menschen unterschiedlicher Herkunft und mit sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten und kann so einen Beitrag zu Integration und einem friedlichen Miteinander leisten. Sport kann auf der anderen Seite aber auch ein Kulminationspunkt für Hass, Hetze, Rassismus und Ausgrenzung sein. Menschenrechte können demnach auf sehr unterschiedlichen Feldern des Sports eine Rolle spielen.
Damit die Rechte aller am Sport beteiligten Menschen geschützt werden, begleitet das Institut Politik und Sportverbände als kritischer Reflexionspartner. So ist Michael Windfuhr zum Beispiel Mitglied im Menschenrechtsbeirat des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB). Der DOSB hat im Dezember ein eigenes Menschenrechtskonzept verabschiedet. „Es ist Teil der Aufgaben des Instituts, gesellschaftliche Akteure darin zu beraten, wie Menschenrechte geschützt und deren Umsetzung gefördert werden kann. Es ist gut zu sehen, dass der DOSB sich hier auf den Weg gemacht hat. Mithilfe einer solchen Policy kommt der Verband seinen menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nach, die sich direkt aus den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte ergeben.
(Marie Diekmann / Tobias Stelzer)