Windfuhr: Zu Beginn bestand das Institut aus zwei Personen, der stellvertretenden Direktorin Frauke Seidensticker und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Wolfgang Heinz, die sich ein Büro im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte teilten. Heute hat das Institut über 80 Mitarbeitende, wenngleich die meisten von ihnen in zeitlich befristeten Projekten und viele in Teilzeit arbeiten. Für den institutionellen Zuwachs sorgten nicht zuletzt neue Aufgaben, mit denen das Institut beauftragt wurde: Seit 2009 ist das Institut Monitoring-Stelle für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, seit 2015 Monitoring-Stelle für die UN-Kinderrechtskonvention, die allerdings immer noch auf Projektbasis operiert. Zahlreiche Drittmittelprojekte zeigen: Es besteht ein breiter Bedarf nach menschenrechtlicher Beratung. Mit diesem Zuwachs sind auch die Themen, zu denen wir arbeiten, vielfältiger geworden. Sie reichen von Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern über Beschwerdewege in Pflegeheimen bis hin zur Akutversorgung nach sexualisierter Gewalt. Auch die Zielgruppen unserer Arbeit sind diverser geworden: Wir beraten nicht nur die Politik auf Bundesebene, sondern – gerade im Bereich der Rechte von Menschen mit Behinderungen – auf Länderebene, zum Teil auch auf kommunaler Ebene. Wir stärken die Menschenrechtsbildung für Polizei, Strafjustiz oder Lehrkräfte, stellen Interessierten in unserer Bibliothek relevante Informationen zu menschenrechtlichen Themen zur Verfügung oder sind im Austausch mit Unternehmen über menschenrechtliche Sorgfaltspflichten.
Rudolf: Ein wichtiger Schritt war 2015 der Erlass einer gesetzlichen Grundlage für das Institut. Seitdem veröffentlichen wir jährlich einen Bericht über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland, der Gegenstand der parlamentarischen Befassung im Bundestag ist. Auch international konnte das Institut in den letzten zwanzig Jahren viel bewegen, etwa den Aufbau eines europäischen Netzwerks der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen. Von 2016 bis 2019 hatte das Institut sogar den Vorsitz des Weltverbands der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen inne. Im weltweiten Vergleich ist das Institut aber eine eher kleine Institution mit begrenzten Ressourcen. Anders als viele unserer Schwesterinstitutionen in Europa und anderswo in der Welt haben wir keine besonderen Befugnisse: Wir können keine Gerichtsverfahren anstrengen, Untersuchungsverfahren durchführen oder als Ombudsstelle in Einzelfällen vermittelnd eingreifen, sondern haben das Monitoring der Umsetzung von Menschrechten, die rechtliche Analyse und Politikberatung im Fokus.
Worin sehen Sie die menschenrechtlichen Herausforderungen für die kommenden 20 Jahre?
Rudolf: Eine große Herausforderung ist die zunehmende soziale Ungleichheit und gesellschaftliche Ausgrenzung von Teilen der Bevölkerung. Beides bedroht den Kern der Menschenrechte, nämlich die Anerkennung der Gleichheit aller Menschen. Denn die Menschenrechte sind mit dem Versprechen einer inklusiven Gesellschaft verbunden, in der jeder Mensch seine Rechte in Anspruch nehmen und mit gleichen Chancen Teil der Gesellschaft sein kann, ohne Unterschied insbesondere aufgrund von rassistischen Zuschreibungen, Geschlecht, sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, Religion, Behinderung oder sozialer Herkunft. Auf dem Weg dahin ist jedoch noch viel zu tun.
Windfuhr: Wir leben in einer Zeit, in der sich die menschlichen Lebensgrundlagen gravierend verändern: Der Klimawandel, die Digitalisierung, aber auch die Bewältigung der Corona-Pandemie beeinflussen unser Leben nachhaltig und haben Auswirkungen auf die Verwirklichung der Menschenrechte. Die daraus resultierenden gesellschaftlichen Transformationsprozesse im Sinne der Menschenrechte politisch zu gestalten, ist sicherlich eine der großen Herausforderung, vor der wir stehen. Das Institut will hierbei einen dezidierten Beitrag leisten und menschenrechtliche Orientierung bereitstellen.
Rudolf: Eine weitere Herausforderung sehen wir in der Verrohung des öffentlichen Diskurses, in der Zunahme von Populismus, Hass, Verschwörungsideologien und Gewalt. Dass Menschen auch in Deutschland, die Grund- und Menschenrechte sowie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit infrage stellen, macht uns Sorgen. Deshalb wollen wir Überzeugungsarbeit für die Menschenrechte und die Notwendigkeit demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen und Verfahren leisten und uns aktiv für eine Kultur der Menschenrechte einsetzen. Eine Kultur der Menschenrechte besteht in einer Gesellschaft, wenn die Menschen die Grundlage der Menschenrechte leben, nämlich die Anerkennung der anderen als Gleichberechtigte, und sie sich für die Beachtung der Rechte aller einsetzen. Das meint auch das Grundgesetz mit seinem Bekenntnis zu den Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft. Das Versprechen der Menschenrechte für alle in Deutschland Wirklichkeit werden zu lassen, bleibt deshalb Auftrag des Instituts.
(U. Sonnenberg, März 2021)