Mit Menschenrechten Brücken bauen

Nachbericht der Veranstaltung vom 26. März 2024

Nachbericht zur Veranstaltung „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Perspektiven aus der Bildung zu Flucht, Migration und Menschenrechten“

Flucht, Asyl und Migration sind Themen, die im Fokus politischer, medialer und gesellschaftlicher Diskurse stehen. Mehr denn je sind wir gefragt, uns gegen rechte Hetze zu positionieren und menschenrechtliche Werte wie Solidarität zu stärken, dies vor dem Hintergrund der zunehmenden Beschneidung des nationalen und europäischen Flüchtlingsschutzes. Die Online-Veranstaltung „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Perspektiven aus der Bildung zu Flucht, Migration und Menschenrechten“ vom 26. März 2024 widmete sich den aktuellen rechtlichen und politischen Entwicklungen rund um Migration, Asyl und Flucht und warf einen kritischen Blick auf die Grenzen und Möglichkeiten des Menschenrechtsschutzsystems. Die ganztägige Veranstaltung, bestehend aus Podiumsdiskussion und Workshops, widmete sich unter anderem folgenden Fragen:

  • Welche Bildungsstrategien eignen sich, um menschenverachtenden Diskursen über Flucht und Migration entgegenzuwirken?
  • Inwieweit werden die Expertisen und Bedarfe von Bildungspraktiker*innen mit Flucht- und Migrationsgeschichte in der aktuellen Bildungslandschaft berücksichtigt?

Die Veranstaltung mit rund 89 Teilnehmenden wurde von Josephine Akinyosoye moderiert und einem Awareness-Team begleitet.  An der Podiumsdiskussion mit englischer/deutscher Übersetzung, nahmen teil:

  • Karim Fereidooni, Ruhr Universität Bochum
  • Azaryuon Matin, Menschenrechtsaktivist aus Afghanistan
  • Jennifer Kamau, International Women* Space Berlin
  • Bernd Kasperek, Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung

Zu Beginn der Diskussion wurde Bernd Kasperek gebeten, die jüngsten menschenrechtlich bedenklichen Änderungen im nationalen und europäischen Asylrecht zu skizzieren. Unter anderem ging der Migrationsforscher auf die Bezahlkarte ein, mit der Geflüchtete in Deutschland künftig Leistungen erhalten sollen: „Das Argument, dass mit der Einführung der Karte die transnationalen Fluchtbewegungen verringert werden, ist wissenschaftlich nicht erwiesen“, so Kasperek. Dieses Narrativ rücke zudem Geflüchtete in die Nähe von organisierter Kriminalität und stigmatisiere sie.
Hinsichtlich der jüngsten europäischen Asylreform kritisierte Kasperek insbesondere die sogenante Krisenverordnung. Die Verordnung ermöglicht es Mitgliedstaaten bei einem Anstieg der Migration unter anderem, Schutzsuchende länger unter haftähnlichen Bedingungen festzuhalten: „Ich befürchte, dass diese Verordnung ein Einfallstor sein wird, um menschenrechtliche Standards weiter abzusenken – und zwar permanent“, sagte der Migrationsforscher. Im Bezug auf den Umgang mit menschenverachtenden und rassistischen Diskursen und Politiken um Flucht und Migration, stellte Bernd Kasparek im späteren Verlauf noch das transdisziplinären Forschungsprojekt „Transforming Solidarities. Praktiken und Infrastrukturen in der Migrationsgesellschaft“ vor, was untersucht, wie Solidarität verhandelt, gelebt und auf Dauer sichergestellt wird.

„Viele Vorstellungen über Geflüchtete sind nicht haltbar“

Für Jennifer Kamau, die sich seit vielen Jahren für die Rechte von Geflüchteten in Deutschland engagiert, sind die jüngsten europäischen Verschärfungen auch deshalb besonders alarmierend, weil einzelne Staaten nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden könnten. Dies erschwere es selbstorganisierten Gruppen und Menschenrechtsaktivist*innen in Deutschland, politischen Druck zu erzeugen.
Angesprochen auf die Chancen von Geflüchteten im deutschen Bildungssystem, kritisierte Kamau, dass obwohl viele ehemals kolonisierte Länder nach wie vor europäische Bildungsstrukturen aufwiesen, Abschlüsse von Geflüchteten hierzulande nicht anerkannt würden. „Der Anerkennungsprozess von Bildungsabschlüssen erfordert zeitliche und finanzielle Ressourcen, die viele Geflüchtete nicht aufbringen können“, so Kamau.

Auch Karim Fereidooni widmete sich in seinem Beitrag dem Themenfeld Migration und Bildung. Unter anderem stellte er eine empirische Studie zu den Demokratievorstellungen von Schüler*innen mit und ohne Migrationsgeschichte vor. „Wir konnten zeigen, dass geflüchtete Schüler*innen positivere Bezugspunkte auf die Regierungsform Demokratie besitzen als nicht-geflüchtete Schüler*innen“, so Fereidooni.

Sie hätten sich zum Beispiel positiver zum Grundgesetz geäußert. Diese Erkenntnis widerlege das verbreitete Narrativ, dass Geflüchtete aufgrund ihrer Herkunft kein Demokrativerständnis hätten und deshalb nicht in der Lage seien, sich zu intergrieren. „Wir brauchen mehr solche Forschung“, so der Sozialwissenschaftler, „um zu zeigen, dass viele Vorstellungen über Geflüchtete nicht haltbar sind“.

„Ressource-Center“ zu Menschenrechten

Azaryuon Matin nannte als besondere Herausforderung für Asylsuchende in Deutschland, dass sie oftmals unzureichend über ihre rechtliche Lage informiert und auch isoliert seien. „Wir brauchen ein ‚Ressource-Center‘ zu Menschenrechten, wo in verschiedenen Sprachen Bildungsveranstaltungen und Workshops stattfinden und wo geflüchtete Menschenrechtsverteidiger*innen darin unterstützt werden, ihre Arbeit fortzuführen“, so der afghanische Menschenrechtsrechtsaktivist.

Nach einer Fragerunde und der Mittagspause folgten am Nachmittag drei Workshops:

  • Migrant*innen-Selbstorganisationen als Orte von informeller Menschenrechtsbildung: Die Referentin Asmara Habtezion stellte in ihrem Workshop eine Bildungspraxis vor, die sich an den Lebenswirklichkeiten geflüchteter Menschen orientiert und sich ihren spezifischen Problemlagen widmet. Die Teilnehmenden sollten so dazu befähigt werden, bestehende Strukturen kritisch zu hinterfragen und alternative Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Besonderes Augenmerk legte die Aktivistin und Gründerin des Vereins Asmara's World e.V. auf den Zugang zum Recht und Alltagserfahrungen der Geflüchteten.
  • Das Archiv der Flucht als Instrument für die Bildungspraxis: Das Oral History Projekt und digitaler Gedächtnisort archiviert die Erfahrungen von Geflüchteten in Form von Videointerviews. Nach einer Einführung in die Methodik und Entstehung des Archivs wurden die Teilnehmenden von der Bildungsreferentin Francesca Sika Dede Puhlmann dazu eingeladen, sich über die Erzählungen der Interviewten auszutauschen und Möglichkeiten zu entwickeln, wie dieses Archiv für eine transformative Bildungspraxis aus einer menschenrechtsbasierten Perspektive genutzt werden kann.
  • Zugänglichkeiten von politischer Bildung/Menschenrechtsbildung und Bildungsstätten: Die Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte bietet ein Qualifizierungsprogramm Menschenrechtsbildung an, das insbesondere geflüchtete Menschen einlädt, in das Berufsfeld der Menschenrechtsbildung/politische Bildung einzusteigen. Der Workshop, geleitet von Dorit Machell, Gifty Nyame Tabiri und einer Referent*in aus dem Netzwerk der EJB Weimar, ging der Frage nach, wie Bildungsstätten zugänglicher werden können für Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte.

Im Anschluss folgte eine kurze offene Runde, in der die Ergebnisse aus den Workshops vorgestellt wurden, bevor die Veranstaltung um 16:30 Uhr endete.

Zur Programmübersicht der Veranstaltung

Zusammenschnitt der Veranstaltung vom 26. März 2024

Ansprechpartner*in

Portrait von Josephine Akinyosoye
© DIMR/B. Dietl

Josephine Akinyosoye

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Telefon: 030 259 359 - 46

E-Mail: akinyosoye(at)institut-fuer-menschenrechte.de

Sandra Reitz hat kurzes Haar und eine graufarbene Brille. Sie trägt ein hellblaues Polo-Shirt..
© DIMR/B. Dietl

Dr. Sandra Reitz

Stabstelle Grundsatzfragen der Menschenrechtsbildung

Telefon: 030 259 359 - 446

E-Mail: reitz(at)institut-fuer-menschenrechte.de

Portrait von Dîlan Terzi mit langen dunklen Haaren, einem schwarzen Oberteil lächelnd vor einer grauen Wand.
© DIMR/B. Dietl

Dîlan Terzi

Studentische Mitarbeiterin

Telefon: 030 259 359 - 443

E-Mail: terzi(at)institut-fuer-menschenrechte.de

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