Menschenrechtsbericht

Menschenrechtsbericht 2020

Am 01. Dezember 2020 hat das Deutsche Institut für Menschenrechte seinen fünften Bericht an den Bundestag über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland vorgestellt. Gemäß dem Gesetz über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMRG) legt das Institut dem Deutschen Bundestag einen solchen Bericht seit 2016 jährlich vor.

Der fünfte Bericht erfasst den Zeitraum vom 1. Juli 2019 bis zum 30. Juni 2020. Er wurde anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte, dem 10. Dezember, veröffentlicht. Das Gesetz sieht vor, dass der Bundestag zum Bericht des Instituts Stellung nehmen soll.

Die Themen

Die Datenerhebung

Die Darstellung der Menschenrechtssituation beruht auf verschiedenen Datenquellen. Teilweise wurden eigene qualitative Untersuchungen durchgeführt. Außerdem haben wir öffentlich verfügbare Daten, Statistiken und Studien ausgewertet, darunter Drucksachen des Bundestages und der Länderparlamente. Darüber hinaus hat das Institut für einzelne Berichtsteile Interviews mit Expert*innen geführt.

Die Publikationen

70 Jahre Europäische Menschenrechtskonvention

Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK) ist das Kernstück des Menschenrechtsschutzes in Europa. Sie wurde am 4. November 1950 von 13 Mitgliedstaaten des Europarates unterzeichnet, darunter auch Deutschland. Die EMRK trat 1953 in Kraft und gilt heute für mehr als 830 Millionen Menschen in 47 Staaten.

Grafiken im Menschenrechtsbericht

Meilensteine der Rechtsprechung des EGMR

Am 4. November 1950 wurde die Europäische Menschenrechtskonvention von 13 Mitgliedsstaaten des Europarates unterzeichnet, darunter auch Deutschland. Die Grafik zeigt exemplarisch wichtige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Grafik Meilensteine der Rechtsprechung des EGMR als Text

1975: GOLDER ./. VEREINIGTES KÖNIGREICH
  • Beschwerde-Nr. 4451/70
  • Das Recht auf ein faires Verfahren umfasst den Zugang zu einem Gericht und die Beratung durch eine*n Rechtsanwält*in.
1976: HANDYSIDE ./. VEREINIGTES KÖNIGREICH
  • Beschwerde-Nr. 5493/72
  • Das Recht der freien Meinungsäußerung ist ein Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft und gilt auch für Ideen, die „verletzen, schockieren oder beunruhigen“. Jede Einschränkung muss im angemessenen Verhältnis zum verfolgten rechtmäßigen Ziel stehen.
1979: MARCKX ./. BELGIEN UND AIREY ./. IRLAND
  • Beschwerde-Nr. 6833/74 und 6289/73
  • Die Konventionsrechte verpflichten den Staat nicht nur, Rechtsverletzungen zu unterlassen, sondern auch, Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte zu ergreifen.
1981: DUDGEON ./. VEREINIGTES KÖNIGREICH
  • Beschwerde-Nr. 6833/74
  • Einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen einwilligungsfähigen Erwachsenen gleichen Geschlechts zu kriminalisieren, verstößt gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens.
1985: X UND Y ./. NIEDERLANDE
  • Beschwerde-Nr. 8978/80
  • Von Vergewaltigung Betroffene haben ein Recht auf wirksame Strafverfolgung der Täter*innen. Dieses Recht darf nicht dadurch eingeschränkt sein, dass die Betroffenen selbst keine Strafanzeige stellen können, zum Beispiel wegen einer intellektuellen Beeinträchtigung.
1989: SOERING ./. VEREINIGTES KÖNIGREICH
  • Beschwerde-Nr. 14038/88
  • Das langjährige Warten auf die Entscheidung zur Vollstreckung einer Todesstrafe ist eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Vertragsstaaten der EMRK dürfen Betroffene nicht an Staaten ausliefern, in denen dies zu erwarten ist.
1993: KOKKINAKIS ./. GRIECHENLAND
  • Beschwerde-Nr. 14307/88
  • Das Werben für die eigene Glaubensüberzeugung wird von der Religionsfreiheit geschützt. Einschränkungen sind zulässig, etwa wenn den zu Missionierenden materielle oder gesellschaftliche Vorteile in Aussicht gestellt, Druck auf Menschen in Not ausgeübt oder Gewalt oder Gehirnwäsche angewendet werden.
1994: LÓPEZ OSTRA ./. SPANIEN
  • Beschwerde-Nr. 16798/90
  • Das Recht auf Privat- und Familienleben verpflichtet Behörden, Anwohner*innen vor Umweltverschmutzungen in der Nachbarschaft zu schützen, selbst wenn keine schwerwiegende Gesundheitsgefahr besteht.
1995: MCCANN ./. VEREINIGTES KÖNIGREICH
  • Beschwerde-Nr. 18984/91
  • Aus dem Recht auf Leben folgt die Pflicht des Staates, Tötungen zu untersuchen. Dies gilt Insbesondere dann, wenn der Staat involviert ist, etwa durch seine Sicherheitsorgane.
1995: VOGT ./. DEUTSCHLAND
  • Beschwerde-Nr. 17851/91
  • Die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit von Beamt*innen darf durch die Pflicht zur Verfassungstreue eingeschränkt werden. Sanktionen wie eine Entlassung aus dem Dienst müssen im Einzelfall verhältnismäßig sein.
1996: GOODWIN ./. VEREINIGTES KÖNIGREICH
  • Beschwerde-Nr. 17488/90
  • Die Pressefreiheit umfasst den Quellenschutz. Dies ist in einer demokratischen Gesellschaft von herausragender Bedeutung.
2001: STRELETZ, KESSLER UND KRENZ ./. DEUTSCHLAND
  • Beschwerde-Nrn. 34044/96, 35532/97 und 44801/98
  • Mitglieder der Staatsführung der DDR können für die Tötung von Flüchtlingen an der innerdeutschen Grenze strafrechtlich belangt werden. Das Verbot der Rückwirkung von Strafgesetzen greift nicht, weil der Schießbefehl das Menschenrecht auf Leben offensichtlich verletzte und das in der DDR geltende Recht in flagranter Weise missachtete.
2002: PRETTY ./. VEREINIGTES KÖNIGREICH
  • Beschwerde-Nr. 2346/02
  • Die EMRK garantiert kein Recht auf assistierten Suizid.
2002: WESSELS-BERGERVOET ./. NIEDERLANDE
  • Beschwerde-Nr. 34462/97
  • Die ungleiche Behandlung von verheirateten Männern und verheirateten Frauen im Rentenbemessungssystem verletzt das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung in Verbindung mit dem Recht auf Eigentum.
2002: CHRISTINE GOODWIN ./. VEREINIGTES KÖNIGREICH
  • Beschwerde-Nr. 28957/95
  • Die fehlende Möglichkeit für transgeschlechtliche Menschen, den Geschlechtseintrag rückwirkend ändern zu lassen, verletzt das Recht auf Privatleben. Betroffene könnten unfreiwillig geoutet werden.
2003: M.C. ./.BULGARIEN
  • Beschwerde-Nr. 39272/98
  • Staaten müssen alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen strafrechtlich sanktionieren. Dies gilt auch, wenn das Opfer keinen körperlichen Widerstand geleistet hat.
2004: VON HANNOVER ./. DEUTSCHLAND
  • Beschwerde-Nr. 59320/00
  • Die Presse muss die Privatsphäre von Personen der Zeitgeschichte, die kein öffentliches Amt ausüben, achten. Dies gilt auch, wenn sie sich in der Öffentlichkeit aufhalten.
2005: STORCK ./. DEUTSCHLAND
  • Beschwerde-Nr. 61603/00
  • Der Staat muss auch private psychiatrische Einrichtungen überwachen, um Freiheitsentziehungen gegen den Willen der Betroffenen zu verhindern.
2005: NACHOVA ./. BULGARIEN
  • Beschwerde-Nrn. 43577/98 und 43579/98
  • Der Staat muss alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um mögliche rassistische Motive einer Gewalttat aufzudecken.
2006: STEC U.A. ./. VEREINIGTES KÖNIGREICH
  • Beschwerde-Nr. 65731/01 und 65900/01
  • Die EMRK schützt auch vor Diskriminierung im Bereich sozialer Rechte (im Fall: Recht auf soziale Sicherung).
2007: PAVEL IVANOV ./. RUSSLAND
  • Beschwerde-Nr. 35222/04
  • Wer zum Hass gegen Jüd*innen aufruft, verstößt gegen die Werte der EMRK und kann sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen. Eine Beschwerde beim EGMR ist unzulässig.
2007: KONTROVÁ ./. SLOVAKEI
  • Beschwerde-Nr. 7510/04
  • Der Staat muss zum Schutz vor häuslicher Gewalt tätig werden. Tut er dies nicht, muss er Entschädigung leisten.
2007: D.H. U.A. ./. TSCHECHISCHE REPUBLIK
  • Beschwerde-Nr. 57325/00
  • Wenn Statistiken auf systematische Diskriminierungen hindeuten, muss der Staat objektive Gründe für diese Unterschiede nachweisen. Steht rassistischer Diskriminierung im Raum, sind die Anforderungen an die Begründung besonders hoch. Hintergrund: Der tschechische Staat hatte Romn*ja systematisch Sonderschulen zugewiesen.
2008: SALDUZ ./. TÜRKEI
  • Beschwerde-Nr. 36391/02
  • Beschuldigte müssen ab der ersten Vernehmung Zugang zu Anwält*innen haben.
2008: S. UND MARPER ./. VEREINIGTES KÖNIGREICH
  • Beschwerde-Nrn. 30562/04 und 30566/04
  • Die Aufbewahrung von DNA-Proben nicht verurteilter Tatverdächtiger verletzt das Recht auf Privatsphäre.
2009: GLOR ./. SCHWEIZ
  • Beschwerde-Nr. 13444/04
  • Die EMRK verbietet die Diskriminierung aufgrund einer Behinderung, auch wenn dieser Grund nicht ausdrücklich in der EMRK genannt ist.
2010: RANTSEV ./. ZYPERN U. RUSSLAND
  • Beschwerde-Nr. 25965/04
  • Menschenhandel verletzt das Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit.
2010: GÄFGEN ./. DEUTSCHLAND
  • Beschwerde-Nr. 22978/05
  • Beschuldigten in einem Polizeiverhör Gewalt anzudrohen, ist eine verbotene unmenschliche Behandlung, selbst wenn damit Menschenleben gerettet werden sollen.
2010: SCHÜTH ./. DEUTSCHLAND
  • Beschwerde-Nr. 1620/03
  • Zum Kündigungsrecht kirchlicher Arbeitgeber beim Verstoß von Angestellten gegen Glaubensgrundsätze: Die Nähe der ausgeübten Tätigkeit zum Verkündungsauftrag der Kirche ist zu berücksichtigen.
2011: AL-SKEINI U.A. ./. UK
  • Beschwerde-Nr. 55721/07
  • Staaten sind auch an die EMRK gebunden, wenn sie außerhalb ihres Territoriums physische Macht und Kontrolle über eine Person ausüben.
2011: HEINISCH ./. DEUTSCHLAND
  • Beschwerde-Nr. 28274/08
  • Whistleblowing ist bei Angelegenheiten öffentlichen Interesses von der Meinungsfreiheit gedeckt, wenn keine anderen wirksamen Mittel gegen den angeprangerten Missstand zur Verfügung stehen.
2012: STANEV ./. BULGARIEN
  • Beschwerde-Nr. 36760/06
  • Die Heimunterbringung von Menschen mit psycho-sozialer Beeinträchtigung ist eine Freiheitsentziehung. Betroffene müssen die Möglichkeit haben, ihre Unterbringung gerichtlich überprüfen zu lassen.
2012: HIRSI JAMAA U.A. ./. ITALIEN
  • Beschwerde-Nr.27765/09
  • Geflüchtete im Mittelmeer außerhalb des Hoheitsbereichs eines Vertragsstaates der EMRK abzufangen und sie in einen Nicht-Vertragsstaat der EMRK zurückzubringen („push-back“), verstößt gegen die EMRK. Geflüchtete haben das Recht, einen Asylantrag zu stellen, in demihre Schutzbedürftigkeit individuell geprüft wird.
2013. EWEIDA U.A. ./. VEREINIGTES KÖNIGREICH
  • Beschwerde-Nrn. 48420/10, 59842/10, 51671/10, 36516/10
  • Arbeitnehmer*innen können sich auf ihre Glaubens- und Religionsfreiheit berufen und sich durch Symbole oder Kleidung zu ihrer Religion bekennen. Dieses Recht kann nur aus schwerwiegenden Gründen beschränkt werden.
2014: S.A.S. ./. FRANKREICH
  • Beschwerde-Nr. 43835/11
  • Um das Zusammenleben und den offenen Austausch in einer Gesellschaft zu sichern, kann die Verhüllung des Gesichts in der Öffentlichkeit verboten werden.
2015: LAMBERT U.A. ./. FRANKREICH
  • Beschwerde-Nr. 46043/14
  • Lebenserhaltende Maßnahmen bei Menschen im Wachkoma mit irreversiblen Hirnschädigungen zu beenden, verstößt nicht gegen deren Recht auf Leben. Voraussetzung ist ein gesetzlicher Rahmen mit einem sorgfältigen, gerichtlich überprüfbaren Entscheidungsprozess.
2020: N.D. UND N.T. ./. SPANIEN
  • Beschwerde-Nrn. 8675/15 und 8697/15
  • Es verstößt nicht gegen das Verbot der Kollektivausweisung, Personen, die gemeinsam Grenzzäune der spanischen Enklave Melilla in Marokko überwinden, an die marokkanischen Behörden zu überstellen. Voraussetzung ist, dass die Betroffenen an den regulären Grenzübergängen oder in einem Konsulat einen Asylantrag hätten stellen können.

Junge Menschen mit Behinderungen: anerkannte Berufsausbildung statt Sonderwege

Illustration einer Person im Rohlstuhl, eine gestrichelte Linie führt geschlängelt vom Rollstuhl bis zu einem Dokument mit Siegel.
© DIMR

Junge Menschen mit Behinderungen sollten – wie alle Jugendlichen – nach Abschluss der Schule die Möglichkeit haben, eine Ausbildung in einem regulären Ausbildungsberuf zu beginnen. Tatsächlich absolvieren sie ihre Berufsausbildung aber mehrheitlich in „Sonderformen“, mit der Folge, dass die Jugendlichen nach einer solchen Ausbildung nicht den Übergang in den regulären Arbeitsmarkt schaffen. Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet den Staat, auf diese Situation zu reagieren und einen diskriminierungsfreien Zugang zu beruflicher Bildung für alle Menschen zu gewährleisten.

Grafiken im Menschenrechtsbericht

Wege zur Berufsausbildung für Schüler*innen mit Förderbedarf

Nur wenige Schüler*innen mit Förderbedarf beginnen eine reguläre Ausbildung oder ein Studium, die Mehrheit hingegen gelangt in besondere Angebote für Menschen mit Behinderungen.

Die Grafik zeigt, dass nur wenige von ihnen eine reguläre Ausbildung oder ein Studium beginnen, die Mehrheit hingegen in besondere Angebote für Menschen mit Behinderungen gelangt. Schüler*innen mit Förderbedarf besuchen mehrheitlich Förderschulen, etwas mehr als 40 Prozent lernen hingegen an Regelschulen. Viele, aber nicht alle, haben eine anerkannte Behinderung. Sie verlassen die Schule mit unterschiedlichen Abschlüssen, zum Teil ohne Abschluss. Die große Mehrheit wechselt nach der Schulzeit in eine Maßnahme der Berufsvorbereitung. Ein direkter Übergang in eine Ausbildung oder ein Studium ist möglich, kommt aber selten vor. Die Abbildung verdeutlicht, dass insgesamt nur sehr wenige ehemaligen Schüler*innen mit Förderbedarf ein Studium aufnehmen. Ein kleiner Teil beginnt eine Ausbildung in einem anerkannten Beruf. Dazu zählen betrieblich duale und schulische Ausbildungsgänge. Hinzu kommen außerbetriebliche Ausbildungen, die zu einem anerkannten Beruf führen. Ein großer Teil der Abgänger*innen beginnt hingegen eine Fachpraktikerausbildung, wobei es auch hier betriebliche und außerbetriebliche Bildungsgänge gibt. Ein ebenso großer Teil nimmt keine Ausbildung auf oder geht in den Berufsbildungsbereich von Werkstätten für behinderte Menschen über.

In der Legende der Abbildung steht: Schematische Darstellung. Die Größenverhältnisse spiegeln Schätzungen aus der Fachdebatte wider: 80 bis 90 Prozent der Schüler*innen wechseln in Maßnahmen der Berufsvorbereitung (Jochmaring 2019b, S. 344). Weniger als 10 Prozent beginnen schließlich eine betriebliche Ausbildung in anerkannten Berufen, weitere etwa 10 Prozent eine außerbetriebliche Ausbildung in anerkannten Berufen, die meisten hingegen eine im Anspruch reduzierte oder keine Berufsausbildung (Jochmaring/Rathmann 2018, S. 7, Euler/Severing 2014, S. 21). Der direkte Übergang in ein Studium wird in dieser Debatte nicht untersucht, ist hier aber der Vollständigkeit halber angegeben und annäherungsweise eingeordnet. Zur Verteilung der Schüler*innen mit Förderbedarf auf Regel- und Förderschulen siehe Kultusministerkonferenz (2020a), S. XV-XXIV.

Abschlüsse an Regel- und Förderschulen

Jugendliche mit Behinderungen haben – das zeigen die verfügbaren Daten und Forschungsergebnisse – nur einen eingeschränkten Zugang zum allgemeinen System der dualen Berufsausbildung. Erstens erreichen Jugendliche mit Behinderungen geringere Schulabschlüsse, zweitens werden sie nach Ende der Schulzeit zum großen Teil in Maßnahmen der Berufsvorbereitung vermittelt, drittens beginnen – vorsichtigen Schätzungen zufolge – weniger als zehn Prozent eines Jahrgangs eine betriebliche Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf.

Die Grafik zeigt die zahlenmäßige und prozentuale Verteilung der Schulabschlüsse von Schulabgänger*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Vergleich zur allgemeinen Verteilung bei allen Schüler*innen in Deutschland. Während im allgemeinen etwa drei Viertel der Schüler*innen die Schule entweder mit mittlerem Abschluss (42,2 Prozent) oder dem Abitur (34,7 Prozent) verlassen und nur 16,6 Prozent mit Hauptschulabschluss bzw. 6,6 Prozent ohne Abschluss, sieht das Bild bei Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf umgekehrt aus. Diejenigen von ihnen, die an Regelschulen unterrichtet werden, verlassen die Schule zu knapp der Hälfte (49,1 Prozent) ganz ohne Abschluss, und weitere 34,9  Prozent mit Hauptschulabschluss. Nur 13 Prozent erreichen einen mittleren Abschluss, und lediglich 3,1 Prozent das Abitur. An Förderschulen ist diese Ungleichverteilung nochmals stärker ausgeprägt: fast drei Viertel (72,2 Prozent) verlassen die Förderschule ohne Abschluss, der Rest ganz überwiegend mit Hauptschulabschluss (24 Prozent). Nur ein verschwindend geringer Teil schafft an der Förderschule einen mittleren Abschluss (3,7 Prozent) oder das Abitur (0,2 Prozent).

Hinweis: die Zahlen zu den Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind zur besseren Vergleichbarkeit jeweils ohne die Bundesländer die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Niedersachsen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt dargestellt, da diese Länder Schulabgänger*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf nur in Förderschulen erfassen, nicht aber in Regelschulen.

Quelle: Statistisches Bundesamt 2020: Bildung und Kultur. Allgemeinbildende Schulen. Schuljahr 2019/2020. Fachserie 11 Reihe 1.

Handlungsansätze für einen besseren Zugang zur betrieblichen Berufsausbildung

Was sollte Deutschland vordringlich tun, um seine Verpflichtungen gegenüber Menschen mit Behinderungen im Bereich der Berufsausbildung nachzukommen? Was sind Maßnahmen, die aus empirischer Sicht vielversprechend und aus rechtlicher Sicht geboten sind? Die Grafik stellt diese Handlungsansätze für die Bereiche Berufsorientierung und Ausbildung dar.

Berufliche Orientierung an Schulen
  • Vorurteilsfreie Beratung und Unterstützung durch Lehrkräfte und Berufsberater*innen sicherstellen
  • Betriebspraktika fördern und begleiten
  • Lehrkräfte qualifizieren für den Übergang Schule-Beruf
Betriebe und Berufsschulen
  • Ausbildungsordnungen der anerkannten Ausbildungsberufe flexibler machen: durchlässige, modulare Formate
  • Barrierefreiheit von Betrieben und Berufsschulen fördern
  • Inklusionskompetenz als Thema der Qualifizierung von Ausbilder*innen und Lehrkräften der Berufsschulen vermitteln
  • Betriebe aus einer Hand beraten und transparente, zuverlässige, einfache Förderangebote bereitstellen
  • Inklusive Rekrutierungsstrategien der Betriebe stärken

Abschiebung und Krankheit: Perspektiven aus der Praxis und menschenrechtliche Verpflichtungen

Blaues Icon: Person mit Koffer, daneben im Rechteck ein Herz mit Sinuskurve und ein Kreuz im Kreis.
© DIMR

Erkrankte Menschen dürfen in Deutschland nicht abgeschoben werden, wenn sich dadurch ihr Gesundheitszustand gravierend verschlechtert oder gar ihr Leben gefährdet ist. Eine solche Erkrankung nachzuweisen, ist in erster Linie Aufgabe der betroffenen Personen – eine Pflicht, der diese in vielen Fällen nicht nachkommen können: wegen beschleunigter Asylverfahren, mangelnden Zugangs zu Informationen, Sprachmittlung und Fachärzt*innen sowie wegen bürokratischer oder finanzieller Hürden. Umso wichtiger ist es, dass auch der Staat gründlich prüft, ob ein sogenanntes krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vorliegt.

Grafiken im Menschenrechtsbericht

Verfahrensstadien, in denen krankheitsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen sind

Es gibt mehrere Phasen im Asylverfahren, in denen die verantwortlichen Behörden (Bundesamt für Migration und Flüchtinge, Ausländerbehörde, Landespolizei, Bundespolizei) prüfen müssen, ob und inwieweit der gesundheitliche Zustand einer Person einer Abschiebung entgegensteht.

Die Grafik zeigt acht Verfahrensstadien, in denen krankheitsbedingte Abschiebungshindernisse zu prüfen sind und welche Landes- oder Bundesbehörde jeweils zuständig ist. Nach der Ankunft in Deutschland werden Asylsuchende zunächst von den zuständigen Aufnahmebehörden der Bundesländer registriert. Danach folgen der Asylantrag und die Asylanhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Lehnt das BAMF den Asylantrag ab, wird die Person ausreisepflichtig. Im nächsten Schritt bereitet die zuständige Ausländerbehörde oder die zentrale Rückführungsabteilung des Bundeslandes die Abschiebung vor. Wenn die Vorbereitung abgeschlossen ist, übernimmt die Landespolizei die Zuführung der Person zum Flughafen. Am Flughafen übernimmt die Bundespolizei. Sie begleitet die Person auf dem Flug bis zur Ankunft im Herkunftsland oder dem zuständigen EU-Mitgliedstaat.

Verfahren zur Prüfung krankheitsbedingter Abschiebungsverbote im Asylverfahren

Im Rahmen des Asylverfahrens muss das BAMF prüfen, ob ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot vorliegt. Dabei geht es um schwere, behandlungsbedürftige Erkrankungen und die Frage, ob im Herkunftsland die notwendige medizinische Versorgung gewährleistet werden kann.

Die Grafik erläutert die Verfahrensschritte bei der Prüfung eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots im Asylverfahren. Zunächst geht der oder die Asylsuchende zu einem Arzt oder einer Ärztin und bekommt ein Attest ausgestellt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) prüft dann, ob ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot vorliegt. Hierfür zieht das BAMF Atteste beziehungsweise qualifizierte ärztliche Bescheinigungen und Informationen aus der Anhörung heran. In seltenen Fällen gibt das BAMF eigene ärztliche Gutachten in Auftrag. Liegt eine schwere Erkrankung vor, prüft das BAMF im nächsten Schritt die medizinische Versorgungslage im Herkunftsland. Im nächsten Schritt gibt es  zwei Verfahrenswege, abhängig davon, wie das BAMF entscheidet: Wenn das BAMF positiv entscheidet und ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot feststellt, erteilt die Ausländerbehörde einen befristeten Aufenthaltstitel, in der Regel für ein bis zwei Jahre. Nach Ablauf der Gültigkeit des Aufenthaltstitels beginnt das beschriebene Verfahren wieder von vorne, der oder die Asylsuchende muss wieder zu einem Arzt oder einer Ärztin gehen und ein Attest einholen.

Entscheidet das BAMF negativ, gibt es wieder zwei Alternativen. Entweder der oder die Asylsuchende wird ausreisepflichtig oder er oder sie klagt gegen die Entscheidung des BAMF. Im Gerichtsverfahren legt er oder sie gegebenenfalls weitere Nachweise vor und/oder das Gericht beauftragt ein ärztliches Gutachten. Entscheidet das Gericht negativ, wird die Person ausreisepflichtig. Bei einer positiven Entscheidung stellt das Gericht ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot fest und die Ausländerbehörde erteilt einen befristeten Aufenthaltstitel, in der Regel befristet für ein bis zwei Jahre. Genauso wie bei einer positiven Entscheidung des BAMF beginnt nach Ablauf der Gültigkeit des Aufenthaltstitels das beschriebene Verfahren wieder von vorne.

Hürden beim Nachweis eines krankheitsbezogenen Abschiebungshindernisses

Die Grafik verbildlicht neun Hürden für Betroffene beim Nachweis eines krankheitsbedingten Abschiebungshindernisses: Verfahrensbeschleunigung, Kosten für Gutachten, Zugang zu Anwält*innen, Abschiebungshaft, Unterbringung in Ankerzentren, Zugang zu Informationen, Zugang zum Gesundheitssystem, Sprachmittlung, Mangel an Fachärzt*innen.

Wie einfach ist es für Sie, sich in einer Arztpraxis oder in einem Krankenhaus verständlich zu machen?

Die sprachliche Verständigung ist eine zentrale Voraussetzung, um über seine Rechte informiert zu sein und diese auch durchzusetzen. Die fehlende Sprachmittlung ist eine zentrale Hürde beim Zugang zu ärztlicher Versorgung beziehungsweise zu ärztlichen Bescheinigungen zum Nachweis eines Abschiebungshindernisses.

Der Grafik liegt eine Umfrage von Schröder/Zok/Faulbaum (2018) unter 2021 Geflüchteten aus Syrien, dem Irak und Afghanistan zugrunde, die nicht länger als zwei Jahre in Deutschland sind und in einer Aufnahmeeinrichtung leben. Sie wurden gefragt, wie einfach es für sie ist, sich in einer Arztpraxis oder in einem Krankenhaus verständlich zu machen. 5 Prozent gaben an, dass es für sie sehr einfach ist, sich verständlich zu machen. 29 Prozent sagten, es sei einfach, sich verständlich zu machen. Für 36 Prozent ist es schwierig und für 20 Prozent sehr schwierig, sich verständlich zu machen. 10 Prozent haben keine Angabe gemacht.

Eigene Darstellung. Datenquelle: Schröder/Zok/Faulbaum (2018), S. 19.

Ablauf einer Abschiebung auf dem Luftweg

Während des Abschiebevorgangs besteht für die beteiligten Behörden die Pflicht, den Schutz auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu wahren. Das bedeutet konkret, dass die Behörden verpflichtet sind, eine Abschiebung abzubrechen, wenn eine gravierende Gesundheitsverschlechterung vorliegt oder droht.

Die Grafik zeigt die einzelnen Schritte bei einer Abschiebung auf dem Luftweg. Als erstes wird die Zuführung der Person von der zuständigen Ausländerbehörde oder der Rückführungsabteilung des Bundeslandes beauftragt. Im nächsten Schritt erfolgt die Abholung aus Unterkünften, Wohnungen, stationären Einrichtungen oder aus der Abschiebungshaft durch die Landespolizei. Am Flughafen wird die Person der Bundespolizei übergeben. Ab diesem Moment bis zur Ausreise ist gegebenenfalls eine Abschiebungsbeobachtung dabei. Gegebenenfalls führt ärztliches Personal am Flughafen eine Untersuchung auf Reisefähigkeit durch. Dann erfolgt die Ausreise mit Sammelcharter oder Linienflug, begleitet von der Bundespolizei und gegebenenfalls ärztlichem Personal. Bei der Ankunft im Herkunftsland oder dem zuständigen EU-Mitgliedstaat werden die Menschen an die örtlichen Behörden und gegebenenfalls an Ärzt*innen übergeben. Bei jeder Station ist ein Abbruch der Abschiebung aus gesundheitlichen Gründen möglich.

Über den Bericht

Seit Dezember 2016 legt das Deutsche Institut für Menschenrechte dem Deutschen Bundestag gemäß § 2 Absatz 5 DIMRG (Gesetz über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte, vom 16. Juli 2015) jährlich einen Bericht über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland vor. Er wird als Langfassung sowie als Kurzfassung (Deutsch/Englisch/Leichte Sprache) anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte, dem 10. Dezember, veröffentlicht.

Ansprechpartner*in

© DIMR/B. Dietl

Dr. Claudia Engelmann

Stellvertretende Abteilungsleitung

Telefon: 030 259 359 - 471

E-Mail: engelmann(at)institut-fuer-menschenrechte.de

Kurzbiografie Dr. Claudia Engelmann

Portrait von Magdalena Otto. Sie trägt das lange Haar offen und einen schwarzen Blazer mit einem violetten Oberteil darunter. Sie hat eine Brille auf.
© DIMR/B. Dietl

Dr. Magdalena Otto

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Telefon: 030 259 359-445

E-Mail: otto(at)institut-fuer-menschenrechte.de

Kurzbiografie Dr. Magdalena Otto

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