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Menschenrechte und Sport – (k)ein Sommermärchen?

Internationale Sportverbände werden sich ihrer menschenrechtlichen Verantwortung langsam bewusst. © iStock.com/FotografieLink

Im übernächsten Sommer findet die Fußball-Europameisterschaft der Männer in Deutschland statt. Die Großveranstaltung ist eine Gelegenheit, den Schutz der Menschenrechte bei der Vergabe und Durchführung internationaler Sportanlässe zu stärken. Wie Deutschland weltweit eine Vorbildfunktion einnehmen kann, erläutert Melanie Wündsch, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Themenfeld Wirtschaft und Menschenrechte.

Die Fußball-WM der Männer in Katar ist Geschichte – und fast vergessen ist auch die Debatte über Menschenrechtsverletzungen im Gastbegeberland. Steht der Menschenrechtsschutz bei Sport-Großereignissen noch auf der Agenda?

Melanie Wündsch: Was Katar betrifft, müssen wir leider feststellen, dass wichtige arbeitsrechtliche Reformen, die das Land nach der Vergabe der Spiele angekündigt hatte, bis heute nicht ausreichend umgesetzt sind. Dies betrifft zum Beispiel die Arbeits- und Aufenthaltsbedingungen vieler Arbeitsmigrant*innen, darunter Hausangestellte oder Mitarbeitende in der Hotellerie oder im Baugewerbe. Es ist daher wichtig, dass Katar auch nach Ende der WM die Umsetzung der gemeinsam mit der ILO erarbeiteten Reformen kontinuierlich fortsetzt.
Auch die Rolle der FIFA in und nach Katar sehe ich aus menschenrechtlicher Perspektive weiterhin kritisch. So wurde weder der angekündigte Entschädigungsfonds für Hinterbliebene aufgesetzt, noch scheint die FIFA aus der Vergabe-Entscheidung an einen Staat, in dem Menschenrechte systematisch verletzt werden, gelernt zu haben: Kürzlich verkündete der wiedergewählte FIFA-Präsident Gianni Infantino die Vergabe der Club-WM 2023 an Saudi-Arabien. Ihrer 2017 verabschiedeten Menschenrechts-Richtlinie wird die FIFA damit weiterhin nicht gerecht.

Dem Weltfußball wird also ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Machen es andere Sportverbände besser?

Wündsch: Positiv lässt sich sagen, dass sich zumindest in Deutschland die Sportverbände ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nach und nach bewusst werden. Ein Zeichen dafür ist, dass zunehmend mehr Verbände die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umsetzen wollen und entsprechende Prozesse initiieren. Beispielsweise hat der DOSB, also der Deutsche Olympische Sportbund, letztes Jahr einen Menschenrechtsbeirat gegründet, dem auch der stellvertretende Direktor des Instituts, Michael Windfuhr, angehört. Noch in diesem Jahr möchte der DOSB gemeinsam mit dem Beirat eine Menschenrechts-Policy entwickeln. Und auch der DFB und die UEFA erarbeiten derzeit ein Konzept für die EURO 2024, das die Umsetzung der UN-Leitprinzipien bei der Europameisterschaft zum Ziel hat.

Reicht das, damit 2024 auch in punkto Menschenrechte ein Sommermärchen gefeiert werden kann?

Wündsch: Wichtige Voraussetzungen werden damit geschaffen. Bei korrekter Anwendung der Sorgfaltspflichtenschritte nach den UN-Leitprinzipien werden menschenrechtliche Risiken deutlich gemindert und Betroffenen von Rechtsverletzungen Zugang zu Beschwerde und Wiedergutmachung ermöglicht.

Welche Schritte sollten darüber hinaus unternommen werden, um menschenrechtliche Schutzlücken bei Sport-Großveranstaltungen zu schließen?

Wündsch: Es ist sehr wichtig, menschenrechtliche Standards schon im Vergabeprozess für eine Großveranstaltung zu verankern und konsequent anzuwenden. Denn je geringer die Ausgangsrisiken sind, desto eher kann es gelingen, internationale Großveranstaltungen ohne Menschenrechtsverletzungen durchzuführen. Wenn dagegen ein Staat zum Zeitpunkt der Bewerbung weit hinter seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen zurückbleibt, ist es unwahrscheinlich, dass diese Schutzlücken bis zur Austragung des Events vollständig und nachhaltig geschlossen werden.

Inwieweit engagiert sich das Institut künftig im Themenfeld Sport und Menschenrechte?

Wündsch: Das Institut berät in erster Linie die Bundesregierung, punktuell aber auch deutsche Verbände wie den DFB oder DOSB, mit seiner Expertise im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte. Die Sorgfaltspflichten privatwirtschaftlicher Akteure lassen sich in weiten Teilen auf Sportgroßveranstaltungen übertragen. Wir unterstützen die Sportverbände bei dieser Transferleistung und begleiten die Umsetzung kritisch-konstruktiv.

(Interview: Paola Carega)

UN-Leitlinien Wirtschaft und Menschenrechte

Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte wurden 2011 vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen verabschiedet. Sie unterstreichen die Verantwortung von Wirtschaftsunternehmen und fordern sie dazu auf, die Menschenrechte in allen ihren Aktivitäten und entlang aller Wertschöpfungs- und Lieferketten zu achten. Zudem zeigen die Leitprinzipien, wie Unternehmen vorgehen sollten, um den gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden.

Verschwindenlassen im Sport

2022 setzte die Welt-Tennisvereinigung WTA alle Turniere in China aus. Grund dafür war das Verschwinden der Chinesin Peng Shuai, nachdem diese in den sozialen Medien einen ehemaligen Funktionär des sexuellen Missbrauchs bezichtigt hatte. Ihr Eintrag wurde gelöscht und von Peng fehlte über zwei Wochen jede Spur. Nach ihrem Wiederauftauchen dementierte die Spielerin, derartige Vorwürfe je erhoben zu haben und erklärte, dass sie sich vom Profitennis zurückziehen werde.

Publikationen zu diesem Thema

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Melanie Wündsch

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Telefon: 030 259 359 - 464

E-Mail: wuendsch(at)institut-fuer-menschenrechte.de

Kurzbiografie Melanie Wündsch

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