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Reformdruck auf Katar muss auch nach WM bestehen bleiben

Nur wenn öffentliche Aufmerksamkeit und Druck bestehen bleiben, wird man in einigen Jahren sehen können, ob die WM nachhaltig Positives bewirken konnte. © picture-alliance.com/ANP|Koen van Weel

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Am Sonntag beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Das Gastgeberland steht aufgrund zahlreicher Menschenrechtsverletzung international stark in der Kritik. Welche Rolle Menschenrechte bei der Vergabe von Sportgroßveranstaltungen spielen und wie die Bundesregierung sich aktuell und in Zukunft verhalten sollte, erklärt unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin Melanie Wündsch aus der “Wirtschaft und Menschenrechte”-Perspektive im Interview. 

Olympische Spiele in Peking, Fußball-WM der Männer in Katar – ist das Jahr 2022 in Sachen internationale Sportgroßveranstaltungen aus menschenrechtlicher Perspektive ein Tiefpunkt? 

China und Katar gehören zu den vielen Staaten, in denen Menschenrechte systematisch verletzt werden. Der Freedom House Index stuft sowohl China als auch Katar als “nicht frei” ein, und auch der Transformationsindex der Bertelsmann-Stiftung führt beide Staaten als “harte Autokratien” auf.

Es ist zudem nicht neu, dass Großveranstaltungen im internationalen Profisport auch in Staaten vergeben und ausgetragen werden, die Autokratien sind und in denen Menschenrechte teilweise auch in großem Ausmaß verletzt werden. Beispiele sind etwa die Fußball-WM 1978 in der damaligen Militärdiktatur Argentinien, die WM 2018 in Russland – wo 2014 auch die Olympischen Winterspiele stattfanden – und nicht zu vergessen natürlich die Olympischen Sommerspiele 1936 in Nazi-Deutschland. 

Was sich in meiner Wahrnehmung jedoch verändert hat, ist die breite öffentliche Auseinandersetzung damit, dass Menschenrechtsverletzungen nicht einfach mehr hingenommen werden. Das ist gerade dann der Fall, wenn die Sportveranstaltungen von den jeweiligen Gastgebern gezielt zur Selbstinszenierung genutzt werden. Sogar FIFA-Funktionär*innen, nationale Verbände und Spieler üben mittlerweile Kritik. Denn im Vergleich zu früher hat die öffentliche Beurteilung des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmens von Turnieren deutlich an Gewicht gewonnen.  

Können Sie der FIFA-Entscheidung, die WM in Katar stattfinden zu lassen, irgendetwas Positives abgewinnen? 

Diese Entscheidung aus dem Jahr 2010 war ein großer Fehler, der ein verheerendes Signal gesendet hat: Die Menschenrechtssituation spielte bei der Vergabe der beiden Fußballweltmeisterschaften 2018 und 2022 keinerlei Rolle. Die FIFA scheint diesen Fehler erkannt zu haben. Sie hat sich 2017 eine Menschenrechtsrichtlinie gegeben und sie für die Vergabe der WM 2026 erstmals angewendet.   

Oft wird darauf hingewiesen, Katar habe in den vergangenen Jahren wichtige arbeitsrechtliche Reformen durchgeführt. Das ist auch richtig, ändert aber nichts an der grundsätzlich falschen Vergabeentscheidung. Zudem muss zur Umsetzung der Reformen noch viel passieren, wie auch der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen im März 2022 feststellte. Dies betrifft vor allem die Arbeits- und Aufenthaltsbedingungen der vielen Arbeitsmigrant*innen, darunter die der Hausangestellten, der Hotellerie sowie des Baugewerbes.  

Katar erhofft sich, wie alle WM-Gastgeber, Prestige und internationale Anerkennung. Meinen Sie, dass diese Rechnung aufgeht?   

Sportgroßveranstaltungen bringen einem Austragungsland viel Aufmerksamkeit – und traditionell auch viel Prestige. Im Fall von Katar habe ich bislang nicht den Eindruck, dass das Land ein rein positives Selbstbild durch die Fußball-WM kreieren konnte – im Gegenteil.  

Nun ist es wichtig, dass der bisher initiierte Reformdruck auf die katarische Regierung nicht abebbt, wenn der Ball am 20. November zu rollen beginnt. Es ist gemeinsame Aufgabe der Politik, der Medien und internationaler Organisationen wie der ILO sich auch weit über Dezember 2022 hinaus dafür einzusetzen, dass Katar die Situation seiner Arbeitsmigrant*innen deutlich verbessert. Nur wenn öffentliche Aufmerksamkeit und Druck bestehen bleiben, wird man in einigen Jahren sehen können, ob die WM nachhaltig Positives bewirken konnte. 

Tatsache ist aber auch, dass die Behauptung, Sportgroßveranstaltungen in autokratisch regierten Staaten würden quasi automatisch einen besseren Menschenrechtsschutz nach sich ziehen, nicht zutrifft – bisher lässt sich das überhaupt nicht beobachten. Es ist stattdessen vor allem der engagierten Beobachtung und Dokumentation der Menschenrechtssituation durch Nichtregierungsorganisationen und die Vereinten Nationen vor Ort zu verdanken, dass Veränderungsdruck erzeugt wurde. Menschenrechtliche Risiken sind künftig dringend vorab im Vergabeprozess zu beachten und nicht erst im Nachhinein.  

Was erwartet das Institut von der Bundesregierung? 

Auch für die Bundesregierung gilt es, die Menschenrechtssituation in Katar nach der WM weiterhin auf der Agenda zu halten und ihren außenpolitischen Einfluss zu nutzen, um Katar zur konsequenten und langfristigen Umsetzung der begonnenen Reformen zu drängen. Es würde Deutschlands Glaubwürdigkeit dabei übrigens durchaus erhöhen, wenn es die Wanderarbeiter-Konvention von 1990 (International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families, ICMW) ratifizieren würde.  

Darüber hinaus sollte die Bundesregierung selbst vorbildlich handeln, wenn Deutschland bei der Fußball-Europameisterschaft der Männer 2024 selbst zum Gastgeber wird. Bei dieser Gelegenheit könnten hohe menschenrechtliche Standards für Sportgroßveranstaltungen gesetzt werden, die hinterher anderen internationalen Turnieren als Blaupause dienen können. Wie im Koalitionsvertrag bereits vereinbart, sollten dafür die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte (VN-Leitprinzipien) genutzt werden.  

Die Bundesregierung sollte eng mit der UEFA und den zehn deutschen Gastgeberstädten zusammenarbeiten, um ein überzeugendes Menschenrechtskonzept und Risikoanalysen basierend auf den VN-Leitprinzipien zu entwickeln und umzusetzen. Im Dialog mit den nationalen und internationalen Sportverbänden wie FIFA und dem Internationalen Olympischen Komitee sollte Deutschland ein gutes Beispiel für eine veränderte Vergabepraxis sein, in der die Achtung der Menschenrechte und Nachhaltigkeit zentrale Vergabekriterien sind.

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