Polizeilich gemeldete Straftaten, die aufgrund des Geschlechts des Opfers und/oder der sexuellen Orientierung verübt werden, haben insgesamt zugenommen. Laut des kürzlich erschienenen Lageberichts des Bundeskriminalamts ist die Zahl der Opfer von Häuslicher Gewalt im Jahr 2022 um 8,5 Prozent im Vergleich zum Jahr 2021 gestiegen. Im Jahr 2022 meldete das Bundesinnenministerium einen deutlichen Anstieg von Hasskriminalität im Zusammenhang mit sexueller Orientierung und Geschlecht im Vergleich zum Vorjahr.
Schon heute können auf das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung des Opfers bezogene Motive im Rahmen des Paragrafen 46 Strafgesetzbuch (StGB) als „menschenverachtende“ Beweggründe in der Strafzumessung strafschärfend berücksichtigt werden. Nun hat der Bundestag am 22. Juni mit der Überarbeitung des strafrechtlichen Sanktionsrechts beschlossen, „geschlechtsspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Beweggründe explizit als strafschärfend in Paragraf 46 Absatz 2 Satz 2 StGB aufzunehmen. Dieses Gesetz tritt am 1. Oktober 2023 in Kraft.
„Die klarstellende Ergänzung des Paragrafen 46 Absatz 2 Satz 2 Strafgesetzbuch war längst fällig.“
Das Deutsche Institut für Menschenrechte begrüßt diese aktuelle Änderung ausdrücklich. „Die klarstellende Ergänzung des Paragrafen 46 Absatz 2 Satz 2 StGB war längst fällig und setzt ein wichtiges und notwendiges Signal an Rechtsanwender*innen”, erklärt Müşerref Tanrıverdi, Leiterin der Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt des Instituts. „Auch wenn geschlechtsspezifische und gegen die sexuelle Orientierung gerichtete Beweggründe schon jetzt unter den Katalog der ‚menschenverachtenden‘ Beweggründe fallen, wird dieser Aspekt in der Rechtsprechungspraxis nicht immer berücksichtigt. Die patriarchale Vorstellung geschlechtsspezifischer Ungleichwertigkeit ist tief in der Gesellschaft verwurzelt. Das führt zu Diskriminierung und Gewalt gegen Personen, die nicht in diese Wertvorstellungen passen - insbesondere gegen Frauen und nicht-binäre, trans und inter Personen, auch in Partnerschaften“, so Tanrıverdi weiter.
Tatmotive müssen künftig in Strafverfahren ausdrücklich benannt und verhandelt werden
Deshalb müssten diese Tatmotive in einem Strafverfahren ausdrücklich benannt und verhandelt werden. Genau das stelle die Ergänzung des Paragrafen 46 Absatz 2 Satz 2 Strafgesetzbuch nun sicher. Das unterstütze auch die gezielte Recherche und damit ein menschenrechtsbasiertes Monitoring in dem Themenfeld.
Die Leiterin der Berichterstattungsstelle betont, dass die Tatmotive in der Rechtspraxis auch dann berücksichtigt werden sollten, wenn die*der Täter*in dem Opfer das Geschlecht, die Geschlechtsidentität oder die sexuelle Orientierung nur zuschreibt. Dies sei insbesondere im Kontext von Hasskriminalität von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus sei es wichtig, eine eindeutige und rechtssichere Auslegung und Anwendung der jeweiligen Tatmotive in der Rechtspraxis zu gewährleisten.
Die Berichterstattungstelle geschlechtsspezifische Gewalt empfiehlt verpflichtende Fortbildungen für Polizei, Richter*innen und Staatsanwält*innen
„Wir empfehlen verpflichtende Fortbildungsmaßnahmen unter anderem für Polizei, Richter*innen und Staatsanwält*innen“, so Tanriverdi. „Solche Fortbildungen sollen nicht nur die rechtskonforme Umsetzung der Neuregelung gewährleisten, sondern darüber hinaus für den Umgang mit den Betroffenen von geschlechtsspezifischer Gewalt sensibilisieren.“
Artikel 15 Absatz 1 der Istanbul-Konvention gibt vor, dass für alle Berufsgruppen, die mit Betroffenen von geschlechtsspezifischer Gewalt zu tun haben, geeignete Fortbildungen zur Verfügung stehen sollen. Die Fortbildungen sollen unter anderem für die Rechte und Bedürfnisse der Betroffenen sensibilisieren sowie das Phänomen der sekundären Viktimisierung der Betroffenen auch in Ermittlungs- und Strafverfahren in den Blick nehmen.
Präventive Maßnahmen und der Schutz der Betroffenen sollten vorrangig im Fokus der Politik stehen
Tanrıverdi: „Diese Ergänzung des Paragrafen 46 Absatz 2 Satz 2 Strafgesetzbuch ist enorm wichtig, präventive Maßnahmen und der Schutz der Betroffenen sollten jedoch vorrangig im Fokus der Politik stehen.“
Die Istanbul-Konvention ist am 01. Februar 2018 in Deutschland in Kraft getreten und hat den Rang eines Bundesgesetzes. Sie legt unter anderem fest, dass Staaten die notwendigen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen ergreifen müssen, um sicherzustellen, dass geschlechtsspezifische und gegen die sexuelle Orientierung gerichtete Gewalt bei der Festsetzung des Strafmaßes als erschwerender Umstand berücksichtigt werden.
Der Jahresbericht gibt einen Überblick über die Arbeitsschwerpunkte des Instituts im Jahr 2023, informiert über seine Aufgaben, gibt einen Überblick über Zahlen, Projekte, Veranstaltungen, Publikationen und enthält Informationen über Service-Angebote.
Darin…
Anlässlich der Veröffentlichung der Eckpunkte zu einer Reform des Kindschaftsrechts des Bundesministeriums der Justiz am 25.01.2024 nimmt die Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt des Instituts Stellung. Der Entwurf sieht unter anderem vor…
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