Terrorismusbekämpfung in den Grenzen des Rechtstaats
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Meldung
Welche Instrumente braucht eine effektive Terrorismusbekämpfung und wie weit darf ein Rechtsstaat dabei gehen? Wie steht es um eine evidenzbasierte und grundrechtsorientierte Sicherheitspolitik im Jahr vor der Bundestagswahl? Zur Diskussion dieser Fragen hatten das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) und der Deutsche Anwaltverein (DAV) am 20. November 2024 zu einem Fachgespräch ins DAV-Haus in Berlin eingeladen.
Nach den umfangreichen Verschärfungen des Aufenthalts-, Polizei- und Strafrechts, die auf den Anschlag vom Breitscheidplatz im Dezember 2016 folgten, wurden die Befugnisse von Polizei, Verfassungsschutz und Migrationsbehörden mit dem Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems Ende Oktober 2024 erneut erweitert. Das Gesetz war Teil des sogenannten „Sicherheitspakets“, mit dem die Bundesregierung nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen Entschlossenheit im Kampf gegen den Terror demonstrieren wollte.
Vorerst gescheitert ist der zweite Teil des Pakets, das Gesetz zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung, das polizeiliche Befugnisse zur automatisierten Datenanalyse und zum biometrischen Abgleich von Gesichtsbildern mit Internetdaten einführen sollte. Im Bundesrat war das Gesetz abgelehnt worden, weil vielen Ländern die Pläne nicht weit genug gingen. Sie forderten auch die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen und eine Erweiterung von Straftatbeständen zur Terrorismusfinanzierung und der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten.
Zum Auftakt der Veranstaltung erinnerte Eric Töpfer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts daran, dass die Sicherheitsgesetzgebung des scheidenden Bundestages trotz „Sicherheitspaket“ verhalten war. Mehr als 260 Sicherheitsgesetze habe der Bundestag seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verabschiedet, davon lediglich zwölf in der 20. Wahlperiode. Evaluiert wurden nur die wenigsten dieser Gesetze. Und dies, obwohl sie die Strafbarkeit von Handlungen weit ins Vorfeld eigentlicher Rechtsgüterschädigung verlagert und intensive Eingriffe in Grundrechte von Menschen autorisiert haben, selbst wenn gegen die Betroffenen weder ein Tatverdacht besteht noch von ihnen eine konkrete Gefahr ausgeht.
Verkürzter Rechtsschutz bei Abschiebung von „Gefährdern“
Die Ausweisung und Abschiebung sogenannter „Gefährder“ war das Thema von Thomas Oberhäuser, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im DAV. Sein Augenmerk legte er dabei auf § 58a Aufenthaltsgesetz. Danach können die Innenministerien zur Abwehr terroristischer oder besonderer Gefahren für die nationale Sicherheit eine sofort vollziehbare Abschiebung von Ausländer*innen anordnen, ohne dass vorher eine Ausweisung verfügt werden muss. Zur Wehr setzen können sich Betroffene nur durch Klage, die allerdings keine aufschiebende Wirkung hat, so dass der Rechtsschutz gegen die Abschiebung sich weitgehend ins Eilverfahren verlagert. Zuständig ist in erster und letzter Instanz das Bundesverwaltungsgericht.
Neben diesen verfahrensrechtlichen Besonderheiten berichtete Oberhäuser von praktischen Hürden für die anwaltliche Vertretung, die faktisch Einfluss auf den Rechtsschutz nehmen. Denn, wenn sich keine Anwält*innen fänden, sei der Zugang zum Recht erschwert. So stehen diese häufig vor der Hürde umfangreicher, teils geschwärzter Akten. Bei Übersetzungen bleibe oft unklar, wer welchen Teil in wessen Auftrag gefertigt hat. Zudem erschwerten, so Oberhäuser, eine Haftsituation oder räumliche Beschränkungen die Kommunikation mit Mandant*innen. Bei alldem herrsche immenser Zeitdruck, da binnen einer Woche vorläufiger Rechtsschutz gegen die Anordnung beantragt werden muss.
Waffenverbote und Personenkontrollen: Zufallsfund als Prinzip
Carolyn Tomerius, Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, sprach über verdachtsunabhängige Personenkontrollen auf Grundlage des neuen § 42c Waffengesetz, der mit dem „Sicherheitspaket“ eingeführt wurde. Die Norm ermächtigt die Polizei, in Waffenverbotszonen oder bei Veranstaltungen wie Volksfesten Personen nach mitgeführten Waffen zu kontrollieren.
Verdachtsunabhängige Kontrolle sprengten, so Tomerius, den üblichen Zusammenhang zwischen Gefahr und Verursachung. Denn: für die Vorfeldmaßnahme brauche es keine konkrete Gefahr, so dass die Kontrollen sich potenziell gegen jede Person richteten. Der bloße Besuch einer Veranstaltung oder die Anwesenheit in einer Verbotszone genüge, um kontrolliert zu werden: Es gelte Ortshaftung. Für die Betroffenen bedeute dies einen erheblichen Grundrechtseingriff, ist doch die Kontrolle regelmäßig mit einer Durchsuchung der Person verbunden.
Die Norm ziele dabei letztlich auf Zufallsfunde. Dabei sei fraglich, welche Kriterien bei der Auswahl der kontrollierten Person zugrunde gelegt werden. Obwohl Kontrollen anhand des äußeren Erscheinungsbildes im Lichte von Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz kaum zu rechtfertigen seien, gab Tomerius zu bedenken, dass sich die Praxis davon kaum freimachen könne. Zur rechtsstaatlichen Einhegung der Kontrollen forderte sie daher, dass Kontrollen gegenüber Betroffenen mindestens quittiert werden sollten. Alternativ könnte das Ziel, mehr Sicherheit zu gewährleisten, womöglich besser durch erhöhte Polizeipräsenz und verdachtsbasierte Kontrollen erreicht werden.
Überwachungsbefugnisse ohne Nachweis der Erforderlichkeit
Die vorerst gescheiterten Pläne des „Sicherheitspakets“ zur automatisierten Datenanalyse und zum biometrischen Gesichtsbildabgleich nahm Dennis-Kenji Kipker, Professor für IT-Sicherheitsrecht in Bremen, zum Anlass, um die aktuellen parlamentarischen Diskussionen mit den Debatten über die „Schily-Pakete“ nach dem 11. September 2001 zu vergleichen. Obwohl mehr als 20 Jahre dazwischen liegen, zeigte Kipker, wie sehr die Kritik sich ähnelt. Damals wie heute ging es um den Schutz informationeller Freiheit vor unverhältnismäßigen staatlichen Eingriffen. Kipker forderte daher, dass bereits im Gesetzgebungsverfahren der Nachweis für den Bedarf neuer Eingriffsbefugnisse erbracht werden müsse und diese normenbestimmt zu regeln seien. Geboten sei außerdem bessere Datensicherheit, ein unbedingter Kernbereichsschutz und Garantien gegen Stigmatisierung sowie die Stärkung von Betroffenenrechten und Aufsichtsgremien.
Besonders problematisch, so Kipker, sei die Kooperation zwischen Sicherheitsbehörden und Privatunternehmen, die begrenzt und strikter reguliert werden sollte. Für die staatliche Eigenentwicklung von Überwachungssoftware forderte er eine klare Rechtsgrundlage und empfahl, die Anforderungen an Datenintegrität zu erhöhen, auch wenn damit Abstriche bei der Beweiskraft digitaler Beweismittel gemacht würden.
Terrorismusbekämpfung zwischen Symbolpolitik und notwendiger Prävention
In der Abschlussdiskussion ging es um Notwendigkeiten und Grenzen der Terrorismusbekämpfung. Es diskutierten Claudia Dantschke, Geschäftsführerin der Deradikalisierungberatung Grüner Vogel e.V. und Mitglied in der neuen „Task Force Islamismusprävention“ des Bundesinnenministeriums, Hendrik Hegemann, Wissenschaftlicher Referent am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg, Lea Voigt, Rechtsanwältin aus Bremen und Vorsitzende des DAV-Ausschusses für das Recht der Inneren Sicherheit, sowie Svea Windwehr, Ko-Vorsitzende des digitalpolitischen Vereins D64. Es moderierte Ingo Dachwitz, Redakteur bei netzpolitik.org.
Voigt erinnerte daran, dass zentrale Vorhaben des „Sicherheitspakets“ bereits vor dem Anschlag von Solingen durch die Veröffentlichung eines Entwurfs zur Novelle des BKA-Gesetzes bekannt geworden waren und Solingen somit nur die Möglichkeit eröffnet habe, neue Befugnisse ohne lange Diskussion und nennenswerte Widerstände zu verabschieden. Dabei sei zu bezweifeln, dass Messerverbote auf Weihnachtsmärkten oder die Streichung von Leistungen für Asylsuchende Attentäter abschreckten.
Trotz guter Vernetzung und schneller Interventionen, so berichtete Windwehr, hätte Kritik aus der Zivilgesellschaft vor dem Hintergrund der bevorstehenden Landtagswahlen in dem Gesetzgebungsverfahren kein Gehör gefunden. Dies zeige, so Hegemann, dass politische Akteure neben dem Risiko terroristischer Anschläge immer auch die Gefahr des Machtverlusts sehen und in solchen Situationen zu Symbolpolitik neigten, die sich unkritisch Wünsche aus den Sicherheitsbehörden zu eigen macht.
Dantschke wies darauf hin, dass die Online-Radikalisierung bislang unauffälliger Personen die Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen stelle. Zum Aufspüren entsprechender Gefahren hielt sie Instrumente wie die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen durchaus für erforderlich. Zugleich wies sie darauf hin, dass in der öffentlichen Debatte die Prävention von Radikalisierung kaum eine Rolle spiele. Dabei fehle es zum Beispiel an Maßnahmen gegen die Beschäftigungs- und Perspektivlosigkeit junger männlicher Geflüchteter, die in den letzten Jahren den größten Anteil unter festgenommenen Terrorverdächtigen aus dem Phänomenbereich Islamismus ausgemacht hätten. Für die Deradikalisierungsberatung wünschte sich Dantschke ein Zeugnisverweigerungsrecht für die Mitarbeiter*innen von Beratungsstellen und eine stabile Finanzierung auch für Projekte gegen Rechtsextremismus.
Einen Ausbau von Präventionsangeboten befürwortete auch Hegemann, gab aber zu bedenken, dass mehr nicht zwangsläufig mehr helfe. Auch in diesem Feld brauche es Evaluation, etwa um diskriminierende Effekte zu vermeiden, wie sie im Rahmen des britischen PREVENT-Programms bekannt geworden sind.
Die Diskussionsteilnehmer*innen waren skeptisch, ob die Ergebnisse der derzeitigen Überprüfung von Überwachungsbefugnissen und der Evaluierung der Sicherheitsgesetze im nächsten Jahr noch berücksichtigt werden. Einig war man sich aber im Wunsch nach einer rationalen und evidenzbasierten Sicherheitspolitik, die auch Stimmen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft zur Kenntnis nimmt.
(Eric Töpfer und RAin Uta Katharina Schmidt-Matthäus, Referentin, Deutscher Anwaltverein)
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