Deutsche Tradition und Gegenwart des Antiziganismus bei Polizei und Justiz
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Meldung
Am 24. November 2021 veranstaltete das Deutsche Institut für Menschenrechte im Rahmen des Projekts „Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus – Stärkung von Strafverfolgung und Opferschutz“ den ersten Teil der virtuellen Veranstaltungsreihe „Antiziganismus im Kontext von Justiz und Polizei“.
Die Teilnehmenden der Fachdiskussion befassten sich mit dem Thema des diskriminierungsfreien Zugangs zum Recht, der Fokus lag dabei auf Antiziganismus. Insbesondere ging es um die Realitäten und Erfahrungen von Betroffenen mit Polizei und Justiz, den historischen Kontinuitäten antiziganistischer Praxen der Ermittlungsbehörden sowie die notwendigen Änderungen, die auf institutioneller Ebene initiiert werden müssen.
Kontinuitäten antiziganistischer Diskriminierung
Die historische Dimension des Themas stellte Anja Reuss, nun Leiterin des Büros des Beauftragten der Bundesregierung gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland, in einem einleitenden Vortrag dar. Die Diskriminierung bis hin zur Verfolgung von Sinti*zze und Rom*nja weist eine lange Tradition in Deutschland, auch in der polizeilichen Sondererfassung, auf. Bereits im deutschen Kaiserreich wurden Sinti*zze und Rom*nja als Sicherheits- und Ordnungsproblem unter Generalverdacht gestellt und umfangreiche verdachtsunabhängige Personenerfassungen angelegt. Diese Datensammlung bildete die Grundlage für die Deportation und Ermordung von Sinti*zze und Rom*nja im NS-Staat, da die Nationalsozialist*innen nahtlos an die Praxis anknüpfen konnten. Nach 1945 wurde diese Form der Erfassung jedoch nicht beendet, sondern unter veränderten Vorzeichen fortgeführt. So gab es etwa beim Bundeskriminalamt zwischen 1980 und 2001 eine eigene Sachbearbeitungsstelle mit dem Tatkomplex sogenannter „reisender Täter“. Reuss arbeitetet heraus, wie „durch die Existenz dieser Stelle(n) die Überzeugung bei der Polizei gefestigt wurde, dass Rom*nja und Sinti*zze aufgrund ihrer kulturellen Eigenschaften gesondert in der Strafverfolgung zu betrachten seien.“
In der anschließenden Diskussion bestätigte Elmedin Sopa von der Dokumentationsstelle Antiziganismus die Fortsetzung antiziganistischer Praktiken bei den Sicherheitsbehörden: „Wir beobachten, dass Menschen mit zugeschriebenem Roma-Hintergrund unverhältnismäßige oder unrechtmäßige gewaltsame Maßnahmen durch die Polizei erfahren.“ Als Beispiel dafür beschrieb Sopa einen Fall, in welchem ein Jugendlicher am Boden fixiert und mit dem Z*-Wort beschimpft worden sei, lediglich weil er keinen Fahrschein vorweisen konnte. Sehr häufig würden Betroffene in solchen Fällen keine Anzeige erstatten, erklärte der Nebenklageanwalt und heutige Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung Dr. Mehmet Daimagüler. Die Gründe dafür seien vielfältig. Es fehle den Betroffenen an Geld und an generellem Vertrauen in das juristische System. Außerdem komme es häufig zu Gegenanzeigen vonseiten der Polizei, zusätzlich bestehe das Risiko der Retraumatisierung während des Prozesses.
Die Ausgrenzung, Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung „zieht sich wie ein roter Faden durch unser Leben. [All das] ist nicht mit dem NS-Völkermord beendet worden“, so benennt Fatima Hartmann, Gründungsmitglied Rom e.V. Köln und Übersetzerin, die Kontinuität der Unterdrückung von Sinti*zze und Rom*nja in Deutschland. Hartmann zitiert das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs von 1956, welches die Entschädigung von Sinti*zze und Rom*nja für im NS erfahrene „Zwangsumsiedlung“ verweigerte, da diese nicht rassistisch, sondern vermeintlich berechtigt erfolgte: „[Sinti*zze und Rom*nja] neigen, wie die Erfahrung zeigt, zu Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien.“ Dieses Urteil sei „heute noch in allen Köpfen der Mehrheitsgesellschaft und den Polizeibehörden“. Und so beschreibt Hartmann eindrücklich, welche tägliche Ausgrenzung, strukturelle Verarmung und Entwürdigung Sinti*zze und Rom*nja in Deutschland ertragen müssen. Sie selbst hätte Glück gehabt, dass ihre Eltern einen jugoslawischen Pass besaßen und sie somit zunächst „nur als Ausländerin und nicht als Romnja“ erkannt und diskriminiert wurden.
Behörden müssen ihre Strukturen aufbrechen
Betroffenen den direkten Zugang zur Meldung von Hassverbrechen zu ermöglichen ist eines der Ziele der 2020 eingerichteten Zentralstelle Hasskriminalität der Staatsanwaltschaft Berlin. „Unser Anliegen ist, Hasskriminalität wirksam zu verfolgen und dabei auf alle Opfergruppen und Communities zuzugehen. Sowohl in der Polizei als auch in der Justiz müssen wir uns damit auseinanderzusetzen, welche Vorurteile möglicherweise bestehen und welche Verhaltensweisen das Vertrauen in die Justiz erschüttern“, so die Oberstaatsanwältin Ines Karl, Leiterin der Zentralstelle. Das aktive Zugehen auf die Communities ist auch laut Eva Petersen entscheidend. Die Kriminalrätin fungiert unter anderem als Ansprechperson für Antisemitismus und andere Phänomene gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die Anfang 2021 bei der Zentralstelle für Prävention beim Landeskriminalamt Berlin eingerichtet wurde. Petersen betonte, dass die Verfügbarkeit von Ansprechpartner*innen das Anzeigeverhalten von Betroffenen positiv beeinflusse. Ihr Fazit ist vorsichtig optimistisch: „Es gibt hier Fortschritte in den letzten Jahren. Wir sind aber auf die Hilfe der Zivilgesellschaft angewiesen, um besser zu werden.“
Der Dialog mit der Zivilgesellschaft allein werde jedoch laut Herbert Heuß, wissenschaftlicher Leiter beim Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, nicht ausreichen. Die Problematik sei strukturell und ein Spezifikum von Antiziganismus sei eben die Kriminalisierung von Sinti*zze und Rom*nja. Dieses rassistische Wissen würde in den Ermittlungsbehörden jeweils an die nächsten Generationen weitergegeben und tradiert. Es gebe Belege von und Wissen um Antiziganismus durch die Behörden auch innerhalb der Institutionen, der Korpsgeist verhindere jedoch, dass diese Gewaltstruktur aufgebrochen und auch geahndet wird. Darüber hinaus sei es entscheidend, Themen wie Menschenrechte und Antiziganismus in die Ausbildung von Polizist*innen mitaufzunehmen: „Wenn junge Beamt*innen nicht entsprechend geschult werden, dann wird sich Antiziganismus auch in der nächsten Polizeigeneration festsetzen“, ergänzt Reuss.
Abschließend betonte Daimagüler, dass es nicht nur darum gehen kann, Kontakt zu den Betroffenen zu suchen, sondern es müssten auf institutioneller Ebene auch konkrete Konsequenzen gezogen werden, aus dem, was Betroffene berichten. „Keiner meiner Klienten hat positive Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Meine Forderung ist, dass wir dieses Thema ernst nehmen und eine Untersuchung anstoßen, die tatsächlich auch die Betroffenen miteinbezieht“.
Der zweite Teil der virtuellen Veranstaltungsreihe „Antiziganismus im Kontext von Justiz und Polizei – Staatliche Politik in der Verantwortung“ findet am Mittwoch, den 11. Mai 2022, statt.
Das Projekt „Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus – Stärkung von Strafverfolgung und Opferschutz“ wird gefördert von und in Kooperation mit dem Bundesministerium der Justiz durchgeführt
Die Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte hat im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration im Zeitraum 2023 - 2024 das Monitoring der Kinder- und Jugendrechte in Hessen durchgeführt. Im…
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Der Kampf gegen Rassismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen ist ein Kernanliegen der Menschenrechte. Dazu verpflichten das Grundgesetz sowie europäische und Internationale Menschenrechtsverträge wie die EMRK und das ICERD.
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