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Berliner Senat und Bezirke dürfen nicht weiter in Sondersysteme investieren

Die im Land Berlin angestrebte Aufrechterhaltung der Förderschulen geht zu Lasten der Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. © Gesellschaftsbilder.de/Andi Weiland

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Anlässlich der aktuell in verschiedenen Berliner Bezirken laufenden Debatte über den Neubau von Förderschulen mahnt das Deutsche Institut für Menschenrechte, die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sowie des Berliner Landesgleichberechtigungsgesetzes und des Berliner Koalitionsvertrages einzuhalten.

Förderschulneubau verstößt gegen grundlegende Rechte von Kindern mit Behinderungen

„Wenn etwa in Neukölln, Marzahn und Steglitz-Zehlendorf neue Förderschulen, also Schulen, die nur Schüler*innen mit Behinderungen besuchen, gebaut werden sollen, wird nicht nur das Recht dieser Kinder auf inklusive Bildung und gemeinsames Lernen, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention vorgibt, missachtet. Auch würde die Vorgabe des Berliner Landesgleichberechtigungsgesetzes ignoriert, wonach gewährleistet werden muss, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern und Jugendlichen alle Rechte, insbesondere auch das Recht auf Bildung genießen können. Das im Berliner Koalitionsvertrag enthaltene Bekenntnis zur UN-Behindertenrechtskonvention und das Versprechen, die Inklusion an den Berliner Schulen zu unterstützen und qualitativ weiterzuentwickeln, wird durch die Errichtung neuer Förderschulen zu reiner Rhetorik“, konstatiert Catharina Hübner, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention am Deutschen Institut für Menschenrechte und Leiterin des Projekts „Monitoring-Stelle Berlin“.

Entwicklung im Land Berlin geht in die falsche Richtung

Der Ausbau des Förderschulwesens wird seitens des Berliner Senats und der Bezirke vor allem durch das „Elternwahlrecht“, gerechtfertigt. So lange, wie Erziehungsberechtigte die Förderschule als Beschulungsort wählen, sollen Sonderstrukturen vorgehalten werden. „Damit wird eine zentrale Steuerungsleistung für das Gelingen der schulischen Inklusion in die Hände von Erziehungsberechtigten gegeben. Dies läuft Artikel 24 UN-BRK zuwider, da die Aufrechterhaltung von Sonderstrukturen nicht durch das Elternwahlrecht begründet werden kann“, betont Hübner. Die in der Konsequenz etablierte kostenintensive Doppelstruktur aus Förderschulen plus Gemeinsamer Unterricht führt zu einem Mangel an sonderpädagogischen Lehrkräften für inklusive Bildungsangebote, da die Mehrheit des pädagogischen Personals in Sondereinrichtungen gebunden bleibt. Die vergleichsweise gut ausgestatteten Sondereinrichtungen mit einer geringen Klassenfrequenz stellen sich für Eltern folglich als die bessere Alternative für ihr Kind dar.

Durch die Errichtung von Förderzentren wird der Aufbau eines inklusiven Bildungssystems also weiter verzögert oder gar verhindert. Die erforderliche Verlagerung von Fachwissen und (finanziellen) Mitteln in das Regelschulsystem wird erschwert, das Sonderschulwesen gestärkt und die Segregation von Schüler*innen mit Behinderungen zementiert.

„Um Eltern und Schüler*innen mit Behinderungen eine zufriedenstellende Option an einer Regelschule anzubieten und die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe dieser Schüler*innen zu verwirklichen, braucht es den politischen Willen zum Aufbau eines flächendeckenden wohnortnahen Angebots hochwertiger inklusiver Regelschulen und die damit verbundene verbesserte finanzielle und personelle Ausstattung für die schulische Inklusion“, so Hübner.

Transformation kann gelingen – andere Bundesländer zum Vorbild nehmen

Bundesländern wie Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein ist es gelungen, die Sonderbeschulung zugunsten der schulischen Inklusion effektiv zu reduzieren. Hierfür waren strukturelle Veränderungen nötig, wie etwa dass sich Förderschulen langfristig zu Förderzentren „ohne Schüler*innen“ entwickeln. Sie dienen dann ausschließlich der Unterstützung des gemeinsamen Unterrichts. Der segregierte Lernort wird auf diese Weise langfristig aufgelöst. Die Lehrkräfte an den ehemaligen Förderschulen werden mit dieser Maßnahme Teil des Lehrerkollegiums an den allgemeinen Schulen. „Berlin sollte durch ähnliche Strukturen die Integration von Sonderpädagogen*innen und multiprofessionellen Teams, bestehend aus Schulgesundheitsfachkräften, Therapeut*innen, Sozialarbeiter*innen, Schulassistent*innen und anderen Professionen, in den Regelschulbetrieb stärken, anstatt Schüler*innen in separaten Einrichtungen zu betreuen und diese auszubauen“, fordert Hübner.

Zudem sollte auch für das Land Berlin ein Inklusionskonzept verabschiedet werden, das die qualitativen Aspekte des schulischen Inklusionsprozesses stärker in den Fokus rückt. Als Handlungsfelder wären unter anderem

  • die Schaffung ausreichender Planstellen für Lehrkräfte,
  • angemessene Aus- und Fortbildungsprogramme,
  • die wirksame Verankerung von multiprofessionellen Teams
  • und eine systematische Kooperation mit allen Leistungs- und Kostenträgern festzulegen.

Das Konzept sollte einen konkreten Zeitrahmen enthalten, personelle und finanzielle Ressourcen zuweisen sowie Verantwortlichkeiten für die Umsetzung und Überwachung benennen. Die aktive Mitwirkung von Schüler*innen mit Behinderungen, ihren Familien und sie repräsentierenden Organisationen bei der Erarbeitung eines solchen Konzepts ist nach den Vorgaben der UN-BRK erfoderlich.

Exklusionsketten die Grundlage entziehen

Die im Land Berlin angestrebte Aufrechterhaltung der Förderschulen geht zu Lasten der Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Bildungswissenschaftliche Studien belegen, dass die Beschulung in Förderschulen erhebliche Nachteile für die Schüler*innen bedeutet, da sie nur den Beginn von lebenslangen Exklusionsketten markiert. Schüler*innen verbleiben auch nach der Schulzeit häufig in Sondersystemen wie Werkstätten für Menschen mit Behinderungen beziehungsweise sind auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen. „Dies steht im Gegensatz zum Inklusionsprinzip der UN-Behindertenrechtskonvention. Durch den Abbau der Sondersysteme im schulischen Bereich zugunsten inklusiver Lösungen könnte der skizzierte Verlauf verhindert und Schüler*innen mit Behinderungen die Persepektive auf eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden“, so Hübner mit Blick auf die anstehenden Entscheidungen in den Berliner Bezirken zum Ausbau des Förderschulwesens.

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