11. Werner Lottje Lecture
„Alle Diktaturen fallen irgendwann“
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Meldung
Einschüchterungen, Überwachung, Diffamierungen, Todesdrohungen – Menschenrechtsverteidiger*innen aus Nicaragua sind in ihrem Heimatland akut bedroht. Viele sind gezwungen, den Weg ins Exil anzutreten. Wendy Flores Acevedo vom Colectivo de Derechos Humanos Nicaragua Nunca Más ist eine von ihnen. Sie lebt und arbeitet seit 2019 in Costa Rica. Doch auch im Nachbarland sind ihre Kolleg*innen und sie nicht vollkommen sicher. Ende April berichtete sie auf der 11. Werner Lottje Lecture in Berlin, dass ihre Organisation auch in Costa Rica Gefahren ausgesetzt sei. Es gebe beispielsweise Beweise dafür, dass ihre Kolleg*innen und sie heimlich fotografiert und überwacht werden. „Die Verfolgung nicaraguanischer Menschenrechtsverteidiger*innen ist auch im Ausland eine Tatsache“, betonte die Aktivistin. Auf den ebenfalls in Costa Rica lebenden Menschenrechtsverteidiger Joao Maldonado wurde etwa kürzlich ein Attentat verübt.
Verfolgungsdruck in Nicaragua
Seit die Regierung Daniel Ortegas im Jahr 2018 Proteste gewaltsam niederschlug, hat sich die menschenrechtliche Situation in Nicaragua stark verschlechtert. Über 300 Nicaraguar*innen wurde die Staatsbürgerschaft entzogen und 3.700 gemeinnützigen Organisationen ihre Rechtspersönlichkeit, wodurch zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume massiv eingeschränkt sind. Circa 10 Prozent der Bevölkerung hat seither das Land verlassen, hauptsächlich Richtung Costa Rica. So wie Acevedo. Mit der Organisation CENIDH hatte sie in Nicaragua bereits vor den Protesten staatliche Repression offengelegt und Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Nachdem der polizeiliche Verfolgungsdruck im Zuge der Proteste deutlich zunahm, musste sie sich jedoch dazu entschließen, ins Ausland zu gehen – und dadurch sowohl ihr Land als auch ihre Familie und ihren bisherigen Beruf zurücklassen.
Im Interview mit Silke Pfeiffer, Leiterin des Referats Menschenrechte und Frieden bei Brot für die Welt, gab Acevedo Einblicke in die Exil-Tätigkeit ihrer im Februar 2019 gegründeten Organisation Nunca Más. „Mit der Entstehung von Nunca Más wollten wir ein klares Zeichen in Richtung Nicaragua senden: Das Regime setzt unserer Arbeit kein Ende!“, so Acevedo. Unter anderem verfassten ihre Mitstreiter*innen und sie einen Bericht über Folterfälle in Nicaragua, für dessen Erstellung sie ehemalige politische Häftlinge im Exil befragten: „Wir haben 40 verschiedene Foltermethoden dokumentiert. Diese reichen von sexueller Gewalt zu ‚russischem Roulette‘ und zum langen Aussetzen nackter Gefangener in kalter Zugluft. Das ist es, was gerade in Nicaragua passiert. Das ist eine Diktatur!“. Zudem biete Nunca Más psychosoziale Hilfe für Betroffene an und habe bereits über 1.300 Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, was der Organisation international ein hohes Ansehen verschafft habe.
Zentralamerikanische Staaten werden zunehmend autoritärer
Im Podiumsgespräch mit Johannes Icking von Brot für die Welt und der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Luise Amtsberg, betonte Acevedo die verheerende Signalwirkung der aktuellen nicaraguanischen Politik. Mit dem Austritt aus dem interamerikanischen Menschenrechtsschutzsystem und der Weigerung, am Allgemeinen Periodischen Überprüfungsverfahren (UPR) des UN-Menschenrechtsrats teilzunehmen, könne Nicaragua anderen Ländern als schlechtes Beispiel dienen und autoritäre Tendenzen in der Region stärken. Einige Staaten würden zudem bereits repressive Gesetze und Maßnahmen direkt kopieren. Als Positivbeispiel in der Region sei hingegen Costa Rica aufzuführen, was auch Amtsberg hervorhob. Es bezöge Stellung in internationalen Gremien und sei gleichzeitig als Transitland für Geflüchtete selbst in einer schwierigen Versorgungslage: „Wir erleben in Costa Rica eine der größten Flüchtlingskrisen der Welt, die jedoch kaum Beachtung findet.“
Costa Rica ist nicht das einzige Land auf der Welt, das Menschenrechtsverteidiger*innen Rückzugsorte bietet. Icking wies darauf hin, dass gerade viele afrikanische Staaten solche Orte schaffen würden, da sie ausländischen Menschenrechtsverteidiger*innen eine hohe Bewegungsfreiheit gewähren und sie ihnen keine rechtlichen Hürden bei der Gründung von Organisationen setzen. Ein Beispiel hierfür sei Uganda. Viele Negativbeispiele fänden sich hingegen in Asien, da ein förderliches Umfeld für die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen selbst in ursprünglichen „Safe Havens“ wie Thailand kaum mehr gegeben sei. Icking identifizierte zahlreiche weitere Faktoren, die nötig seien, damit Menschenrechtsverteidiger*innen gut und sicher im Exil leben und arbeiten können. Dazu gehöre etwa ein gesicherter Aufenthaltsstatus, der Schutz vor grenzüberschreitender Verfolgung oder die Unterstützung der Familien im Heimatland.
Deutschland unterstützt Menschenrechtsverteidiger*innen
Amtsberg zufolge unterstützt Deutschland Menschenrechtsverteidiger*innen sowohl in ihren Heimatländern als auch im Exil mit diversen Programmen, etwa der Elisabeth-Selbert-Initiative oder der Hannah-Arendt-Initiative. Diese Initiativen will Amtsberg gerne ausbauen und weitere finanzielle Mittel bereitstellen, um einen nennenswerten Unterschied bewirken zu können. „Es geht darum, sowohl Leib und Leben als auch die Arbeit der Menschenrechtsverteidiger*innen zu schützen. Sie müssen weiterhin in der Lage sein, Informationen zu generieren und Kontakt in ihre Heimat halten zu können“, sagte die Politikerin.
Acevedo honorierte zudem die Rolle, die deutsche NGOs wie Brot für die Welt bei der Unterstützung von Nunca Más spielen, und wünschte sich darüber hinaus, dass die deutsche Regierung sich verstärkt für die Zivilgesellschaft in Nicaragua einsetzt sowie über internationale Gremien Druck auf das Regime ausübt. Eine Aufgabe, die Amtsberg gerne annehmen möchte: „Wir müssen denselben Elan zeigen, für Menschenrechte in Nicaragua einzutreten, wie wir es vor unserer eigenen Haustüre tun, etwa in der Ukraine.“ Acevedo gibt sich abschließend hinsichtlich der Zukunft ihres Heimatlandes zuversichtlich: „Alle Diktaturen fallen irgendwann.“
Die Werner Lottje Lecture findet seit 2013 jährlich statt und diskutiert aktuelle Probleme und Herausforderungen des Menschenrechtsschutzes, insbesondere des Schutzes von Menschenrechtsverteidiger*innen. Jedes Jahr nimmt sie ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Region in den Fokus. Die Werner Lottje Lecture wird von Brot für die Welt und dem Deutschen Institut für Menschenrechte veranstaltet.
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