Europarat: Menschenrechtsabkommen

Europäische Sozialcharta (ESC)

Die Europäische Sozialcharta (ESC) von 1961 trat am 26. Februar 1965 in Kraft. Sie ergänzt die Europäische Menschenrechtskonvention im Bereich der sozialen Rechte. Im Jahr 1996 wurde eine revidierte Fassung ausgearbeitet, die am 1. Juli 1999 in Kraft trat.

Die ESC von 1961 garantiert 19 grundlegende soziale und wirtschaftliche Rechte. Jeder Staat, der Vertragspartei der ESC werden möchte, muss fünf von sieben konkret benannten Artikeln verbindlich akzeptieren. Dazu gehören: das Recht auf Arbeit, das Vereinigungsrecht, das Recht auf Kollektivverhandlungen, das Recht auf soziale Sicherheit, das Recht auf Fürsorge, das Recht der Familie auf sozialen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Schutz und das Recht der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien auf Schutz und Beistand. Zusätzlich müssen mindestens fünf Artikel oder 45 nummerierte Absätze der Charta akzeptiert werden.

Die Revidierte Europäische Sozialcharta (RESC) enthält weitere Rechte, darunter das Recht auf Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung, das Recht auf Wohnung, das Recht auf Arbeitslosenunterstützung und das Recht auf Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Vertragsstaaten müssen sechs von neun konkret benannten Artikeln verbindlich akzeptieren und darüber hinaus weitere Artikel oder Absätze anerkennen, so dass sie insgesamt an mindestens sechzehn Artikel oder 63 nummerierte Absätze gebunden sind. Artikel E der RESC enthält ein umfassendes Diskriminierungsverbot.

Die Garantien der Sozialcharta sind als Handlungsaufforderung für den Staat formuliert und nicht als subjektive Rechte von Einzelpersonen. Es ist die Aufgabe des Staates, vorrangig durch eine entsprechende Gesetzgebung die in der ESC garantierten Rechte zu verwirklichen

Texte und Ratifikationsstand

Anders als bei der EMRK ist die Ratifizierung der Sozialcharta kein Aufnahmekriterium für neue Mitgliedstaaten des Europarates. Im April 2024 hatten 27 von 47 Mitgliedstaaten die Charta von 1961 ratifiziert und 35 Staaten die revidierte Sozialcharta.

Europäischer Ausschuss für soziale Rechte

Der Europäische Ausschuss für soziale Rechte (ECSR) entscheidet im Rahmen von Länderberichtsverfahren und Kollektivbeschwerden, ob die nationalen Gesetze und Praktiken der Vertragsstaaten mit den Bestimmungen der Charta übereinstimmen. Seine 15 unabhängigen Mitglieder werden vom Ministerkomitee des Europarates für eine einmal verlängerbare Amtszeit von sechs Jahren gewählt.

Berichtsverfahren bis 2022

Die Sozialcharta etabliert ein Kontrollsystem, nach dem die Vertragsstaaten regelmäßig Berichte über die Umsetzung der Charta vorlegen. Bis 2022 wurden die Berichte nach einem festgelegten Zyklus anhand von vier thematischen Gruppen erstellt:

  • Gruppe 1: Beschäftigung, Ausbildung, Chancengleicheit
  • Gruppe 2: Gesundheit, soziale Sicherheit und sozialer Schutz
  • Gruppe 3: Arbeitsrechte
  • Gruppe 4: Kinder, Familien, Migrant*innen

Der Europäische Ausschuss für soziale Rechte prüfte die Berichte und entschied darüber, ob die Situation in den Vertragsstaaten mit der Charta übereinstimmt. Er leitete seine Schlussfolgerungen (Conclusions) an den aus Vertreter*innen der Vertragsstaaten gebildeten Regierungsausschuss weiter. Das Ministerkomitee des Europarates schloss den Überwachungszyklus mit einer Resolution ab, die Empfehlungen an den Vertragsstaat zur Verbesserung der rechtlichen oder tatsächlichen Situation der sozialen Rechte enthalten konnten.

Am 27. September 2022 verabschiedete das Ministerkomitee ein Reformpaket zur Modernisierung des Systems der Europäischen Sozialcharta (CM(2022)114-final). Ziel ist es, die Vertragsstaaten dabei zu unterstützen, die Achtung der sozialen Rechte im Einklang mit ihren Verpflichtungen zu gewährleisten. Zu diesem Zweck wird die Notwendigkeit eines verstärkten Dialogs zwischen den Organen der Charta (Europäischer Ausschuss für soziale Rechte und Regierungsausschuss) und den Vertragsstaaten sowie allen relevanten Akteuren (nationale Menschenrechtsinstitutionen, nationale Gleichstellungsstellen, Gewerkschaften und andere Organisationen der Zivilgesellschaft) betont.

Berichtsverfahren ab 2023

Seit 2023 sind die Bestimmungen der Charta infolge der Reform von 2022 in zwei Gruppen unterteilt.

Gruppe 1
Artikel 1, Artikel 2, Artikel 3, Artikel 4, Artikel 5, Artikel 6, Artikel 8, Artikel 9, Artikel 10, Artikel 18, Artikel 19, Artikel 20, Artikel 21, Artikel 22, Artikel 24, Artikel 25, Artikel 28, Artikel 29.

Gruppe 2
Artikel 7, Artikel 11, Artikel 12, Artikel 13, Artikel 14, Artikel 15, Artikel 16, Artikel 17, Artikel 23, Artikel 26, Artikel 27, Artikel 30, Artikel 31.

Die Vertragsstaaten, die das Kollektivbeschwerdeverfahren nicht akzeptiert haben (auch Deutschland), berichten alle zwei Jahre über eine der Gruppen. Folglich wird die Charta als Ganzes alle vier Jahre evaluiert. Die Vertragsstaaten, die das Kollektivbeschwerdeverfahren akzeptiert haben, berichten nur alle vier Jahre über eine der Gruppen.

Um das Verfahren aktueller und fokussierter zu gestalten, werden vom Europäischen Ausschuss für soziale Rechte (ECSR) und dem Regierungsausschuss vor den Berichten so genannte „Zielfragen“ (Targeted questions) vorbereitet, die in den Berichten behandelt werden sollen.

Die in diesem Zyklus vorgelegten nationalen Berichte werden – unter Einbeziehung von Kommentaren Dritter sowie von in Sitzungen erhaltenen Informationen – durch den ECSR geprüft, der darüber entscheidet, ob die darin beschriebenen nationalen Situationen mit der Charta vereinbar sind. Der ECSR ist das einzige Gremium, das befugt ist, eine solche rechtliche Bewertung der Konformität einer Situation mit der Charta vorzunehmen. Seine Ergebnisse verabschiedet der ECSR in den Schlussfolgerungen (Conclusions) zur Umsetzung der (Revidierten) Europäischen Sozialcharta durch jeden der betroffenen Staaten.

Die Weiterverfolgung (Follow-up) dieser Schlussfolgerungen wird vom Ministerkomitee (Committee of Ministers) sichergestellt. Seine Arbeit wird vom Regierungsausschuss (Governmental Committee of the European Social Charter and European Code of Social Security) vorbereitet, der sich aus Vertreter*innen der Vertragsstaaten der Charta zusammensetzt und von Beobachter*innen unterstützt wird, die europäische Gewerkschaften und Arbeitgeber*innen-Organisationen vertreten. Das sind der Europäischer Gewerkschaftsbund (European Trade Union Confederation), BusinessEurope (ehemals UNICE) und die Internationale Arbeitgeberorganisation (International Organisation of Employers).

Das Ministerkomitee verabschiedet auf Grundlage der Vorschläge des Regierungsausschusses eine Resolution. Die Resolution schließt jeden Berichtszyklus ab und kann individuelle Empfehlungen an den Vertragsstaat zur Verbesserung der rechtlichen oder tatsächlichen Situation der sozialen Rechte enthalten.

Ad-hoc Berichte

Zusätzlich zum regulären Berichtsverfahren führt das Reformpaket aus dem Jahr 2022 die Möglichkeit ein, die Vertragsstaaten aufzufordern, Ad-hoc-Berichte zu neuen oder kritischen Fragen mit breitem oder transversalem Umfang oder paneuropäischer Dimension zur Analyse oder Überprüfung durch den ECSR einzureichen. Thema und Zeitpunkt der Ad-hoc Berichte werden durch den ECSR und dem Regierungsausschuss festgelegt. Der ECSR wird im Rahmen des Ad-hoc-Berichtsverfahrens jedoch keine Schlussfolgerungen zur Vereinbarkeit der Situation mit der Charta ziehen. Stattdessen kann der ECSR gegebenenfalls allgemeine Leitlinien vorschlagen.

Kollektivbeschwerden

Das 1995 verabschiedete Zusatzprotokoll ermöglicht eine Kollektivbeschwerde von internationalen und nationalen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften sowie von internationalen NGOs, die Beobachterstatus beim Europarat haben. Das Protokoll wurde bislang (Stand September 2022) von 13 Staaten ratifiziert.

Der Europäische Ausschuss für soziale Rechte entscheidet zunächst darüber, ob die Beschwerde zulässig ist. Wenn dies der Fall ist, untersucht er die Beschwerde und leitet das Ergebnis an das Ministerkomitee des Europarates weiter, das eine dementsprechende Resolution an den betreffenden Staat verfasst.

Umsetzung der Sozialcharta in Deutschland

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