Beschwerdenummer 44599/98
EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerdenummer 44599/98, Bensaid gegen Vereinigtes Königreich
1. Sachverhalt
In der Entscheidung "Bensaid gegen Vereinigtes Königreich" beschäftigte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit der Vereinbarkeit der Ausweisung eines psychisch kranken Menschen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Der Beschwerdeführer, Abdel Kader Bensaid (A. K. B.), ein unter Schizophrenie leidender algerischer Staatsangehöriger, kam im Jahr 1989 in das Vereinigte Königreich und bekam eine zeitlich begrenzte Aufenthaltserlaubnis. Im Jahr 1993 heiratete er eine britische Staatsangehörige und erhielt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Während seines gesamten Aufenthalts in Großbritannien wurde er medizinisch versorgt, sodass sein Zustand stabil war.
Im Jahr 1996 reiste er aus, um sein Heimatland zu besuchen. Ein Monat später kam bei seiner Rückkehr bei den Einwanderungsbehörden der Verdacht auf, dass A. K. B. die Ehe nur wegen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis geschlossen hatte. Am 24. März 1997 wurde aus diesem Grund seine Ausweisung verhängt. Seine Beschwerden dagegen in Großbritannien blieben erfolglos.
2. Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
A. K. B. erhob 1998 im Hinblick auf die bevorstehende Abschiebung Beschwerde beim EGMR dahingehend, dass der niedrigere Standard der medizinischen Versorgung in seinem Heimatland sowie der schlechtere Zugang zu notwendigen Behandlungen schwerwiegende Konsequenzen für seine Gesundheit haben könnten. Er brachte zum Beispiel vor, dass sich das nächstgelegene Krankenhaus ca. 80 km vom Wohnort seiner Familie entfernt befinde. Auch das notwendige Medikament würde ihm nicht mehr kostenlos zur Verfügung stehen. Er berief sich vor allem auf Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) und Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung der Privatsphäre).
3. Entscheidung des EGMR
Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass Staaten berechtigt sind, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu regeln. Dabei seien sie jedoch an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden. Die Ausweisung und Abschiebung von Personen in Länder, in denen sie Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe ausgesetzt wären, seien mit der Konvention nicht vereinbar. Dieses Prinzip gelte unabhängig von einem strafbaren Verhalten der betroffenen Person.
Vor diesem Hintergrund prüfte der Gerichtshof, ob die Ausweisung von A. K. B. im Hinblick auf seine gesundheitliche Verfassung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde.
Im Ergebnis stellte der Gerichthof fest, dass trotz der möglichen Schwierigkeiten eine sachgerechte medizinische Behandlung in Algerien möglich sei. Die Tatsache, dass der Zugang zur medizinischen Versorgung in Großbritannien für A. K. B. günstiger und einfacher wäre, sei alleine nicht entscheidend. Die befürchtete Gefährdung und Verschlechterung seines Gesundheitszustands aufgrund einer Rückkehr in seinen Heimatstaat sei nicht genügend bewiesen und daher nur hypothetisch.
Deswegen würde eine Abschiebung nach Algerien nicht gegen Art. 3 und 8 EMRK verstoßen.
4. Bedeutung der Entscheidung
Das Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung, das in Art. 3 EMRK enthalten ist, überschneidet sich zu einem großen Teil mit Art. 15 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK).
Trotz des negativen Ausgangs des Verfahrens für den Beschwerdeführer verdeutlicht der Fall, dass auch die Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen unter dem Aspekt des Verbots der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu berücksichtigen und zu prüfen ist. In dem konkreten Fall konnte der Beschwerdeführer nicht beweisen, dass ihm ein reales Risiko einer massiven Verschlechterung seines Gesundheitszustandes drohte. Denkbar sind jedoch andere Sachverhalte, in denen zum Beispiel eine notwendige und lebenswichtige medizinische Behandlung in dem Empfängerstaat gar nicht möglich wäre, so dass eine gleichwohl vollzogene Ausweisung den Standards des Art. 3 EMRK bzw. des Art. 15 UN-BRK zuwiderlaufen würde.
Entscheidung im Volltext: