Rassistische und antisemitische Straftaten werden in Deutschland nicht konsequent verfolgt. In Ermittlungsbehörden und Justiz fehlt es häufig an Problembewusstsein und Wissen über die Situation der Betroffenen. Was muss sich ändern, damit Menschen mit Rassismuserfahrung nicht nur auf dem Papier Zugang zum Recht erhalten? Das Institut hat in zwei Modellprojekten Handlungsempfehlungen erarbeitet.
Polizeibeamt*innen, die sich weigern, eine rassistisch motivierte Tat als Anzeige aufzunehmen oder sie bagatellisieren. Polizeiliche Ermittlungen, bei denen trotz Sprachbarrieren keine Dolmetscher*innen hinzugezogen werden, Richter*innen, die den Opfern unterstellen, erst Beleidigungen oder körperliche Übergriffe seitens des Opfers habe die Situation eskaliert: all das erleben Betroffene von Rassismus und Antisemitsmus in Deutschland immer wieder.
„Rassistische, antisemitische und rechtsextreme Straftaten werden in Deutschland nicht konsequent verfolgt und als solche behandelt. Das Thema Rassismus muss in der alltäglichen Justiz- und Polizeipraxis verankert, die Strafverfolgung und der Schutz der Opfer müssen nachhaltig verbessert werden“, fordert Beatrice Cobbinah, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts in zwei Modellprojekten. Ziel des im Dezember 2022 beendeten Projekts war es, die Auseinandersetzung mit Rassismus und Antisemitismus, insbesondere in der Strafjustiz und den Ermittlungsbehörden zu fördern. „Es ist eine menschenrechtliche Verpflichtung, rassistisch motivierte Straftaten als solche zu benennen und Menschen mit Rassismuserfahrungen diskriminierungsfreien Zugang zum Recht zu verschaffen“, ergänzt Chandra-Milena Danielzik, die die Projekte gemeinsam mit Cobbinah durchgeführt hat.
Eine juristische Definition von rassistischer Diskriminierung fehlt nach wie vor
Woran liegt es, dass rassistische Tatmotive nicht erkannt und verfolgt werden? Zum einen daran, dass es nach wie vor keine juristische Definition von Rassismus oder rassistischer Diskriminierung gibt. „Das Thema ist in der Rechtsprechung und in juristischen Kommentaren nicht ausreichend aufgearbeitet. Das führt immer wieder zu Unsicherheiten in der Anwendung der entsprechenden Normen des Strafgesetzbuchs“, so Danielzik.
Zum anderen zeigte sich in zahlreichen Gesprächen mit Beratungsstellen sowie Angehörigen von Polizei und Justiz, dass diese sich oft nicht in die Situation von Opfern rassistischer und antisemitischer Gewalt einfühlen und die Auswirkungen von vorurteilsbezogener Gewalt auf Betroffene nur schwer nachvollziehen können. „Es braucht mehr Verständnis und Wissen darüber, dass Opfer die Gewalt auf individuell unterschiedliche Art und Weise bewältigen. Das ist wichtig, damit weitere negative Folgen wie eine Retraumatisierung für die Betroffenen, vermieden werden können“, sagt Cobbinah. Vor allem Richter*innen sind im Umgang mit stark traumatisierten Zeug*innen nicht ausreichend ausgebildet. Einheitliche Standards für den Schutz der Betroffenen in Ermittlungs- und Strafverfahren gibt es nicht. Opferschutzmaßnahmen wie audiovisuelle Aufzeichnung von Vernehmungen oder psychosoziale Prozessbegleitung – die im Bereich der sexualisierten und häuslichen Gewalt mittlerweile üblich sind – werden in Gerichtsverfahren zu vorurteilsmotivierter Gewalt nicht eingesetzt. „Durch solche Maßnahmen könnten relativ schnell Verbesserungen für die Betroffenen erreicht werden“, ist sich Cobbinah sicher.