„Nichts über uns ohne uns!“
Menschen mit Behinderungen sind Expert*innen in eigener Sache und können am besten beurteilen, wie man zu sinnvollen und umsetzbaren Lösungen kommt, ohne weitere Barrieren zu schaffen. „Nichts über uns ohne uns!" lautet der Grundsatz der Behindertenrechtsbewegung, der auch Eingang in die UN-BRK gefunden hat. Dies gilt für alle Politikbereiche, die Menschen mit Behinderungen direkt betreffen, etwa die Sozialgesetzgebung. Es gilt aber auch für Bereiche, die sie auf den ersten Blick nur indirekt betreffen, etwa die Verkehrsplanung oder die Pandemiebekämpfung. „Menschen mit Behinderungen dürfen nicht auf die Rolle als ‚Expert*in in eigener Sache‘ reduziert und lediglich an so genannten behindertenpolitischen Entscheidungen beteiligt werden“, fordert deshalb Leander Palleit, Leiter der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention des Instituts. „Nur wenn ihre Expertise auch in anderen Politikfeldern von Anfang an gehört und berücksichtigt wird, können wirksame Maßnahmen geplant und echte Fortschritte bei der Umsetzung der UN-BRK erzielt werden. Dass die Beteiligung von lebensentscheidender Bedeutung sein kann, hat die Pandemie-Politik deutlich gemacht.“
Zu Beginn der Pandemie wurden beispielsweise Menschen mit Behinderungen, die ihr Leben mithilfe von Assistent*innen selbst organisieren, vollkommen vergessen. „Wir haben keine Masken oder Schutzausrüstungen bekommen. Als es mit den Tests los ging, hat man uns wieder vergessen“, berichtet Nancy Poser, Behindertenrechtsaktivistin von Ability Watch. Auch beim Start der Impfaktionen hätten Menschen mit Behinderungen, die ambulant leben, sowie ihre Assistent*innen keinen prioritären Zugang zu Impfungen gehabt, obwohl sie Teil der Risikogruppe waren.
Partizipation braucht Barrierefreiheit
„Bund, Länder und Kommunen sollten Beteiligungsprozesse barrierefreier als bislang gestalten“, findet Palleit. Dabei sollten sie sich an den Vorgaben des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen orientieren. Dieser hat beispielsweise gefordert, Beteiligungsprozesse von Anfang an transparent zu machen.
Um Beteiligung zu ermöglichen, müssen die verschiedenen Bedarfe der politisch Aktiven berücksichtigt werden: Das kann Gebärdensprachdolmetschung sein, ein rollstuhlgerechter Zugang oder eine Übersetzung in Leichte Sprache. „Ich bin froh, dass mich mein Assistent bei den Sitzungen unterstützt und mir ab und zu mal ins Ohr flüstert,“ so eine Person mit intellektueller Beeinträchtigung aus Berlin, für die die komplexen Inhalte von Behindertenbeiratssitzungen schwer verständlich sind.
Es müssen vor allem auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es allen Selbstvertreter*innen ermöglichen, sich zu beteiligen. „Ich habe viele Expert*innen in eigener Sache getroffen, die darüber hinaus wahre Vertretungen für viele Menschen mit Behinderungen waren. Es gilt, die Menschen mit Behinderungen zu finden, die sich der Aufgabenstellung gewachsen fühlen. Eine Aufwandsentschädigung muss selbstverständlich werden“, fordert etwa einer der befragten Berliner Bezirksbeauftragten. Neben einer Aufwandsentschädigung für die Teilnahme an Beteiligungsprozessen sind auch realistische Fristen für ehrenamtliche Tätige wichtig.