Seit 1948 hat die Welt sich massiv verändert: Ist das System des internationalen Menschenrechtsschutzes angesichts der Vielzahl an aktuellen Herausforderungen noch zeitgemäß?
Windfuhr: Kriege, Pandemien, die Digitalisierung oder der Klimawandel – die Liste der Herausforderungen ist in der Tat lang. Der Klimawandel beispielsweise wird massive Auswirkungen auf die Menschenrechte haben, etwa auf das Menschenrecht auf Gesundheit, auf Nahrung oder auf Wasser. Es braucht eine Politik, die versucht, Diskriminierungen zu überwinden und politische wie wirtschaftliche Macht rechtsstaatlich zu kontrollieren. Der internationale Menschenrechtsschutz ist unersetzlich, um eine verantwortliche Politik zu formulieren und um Staaten zur Verantwortung ziehen zu können.
Rudolf: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt, was es bedeutet, wenn ein Staat die internationale Ordnung ignoriert und ihre Fundamente angreift. Die Staaten, die sich für Menschenrechte einsetzen, müssen immer wieder auf den Menschenrechten als Konsens der Weltgemeinschaft bestehen. Sie müssen Rechtsbruch klar als Rechtsbruch benennen.
Politiker*innen weltweit – auch in Europa, auch in Deutschland – stellen internationale Menschenrechtsabkommen in Frage: Wie können die Menschenrechte wieder an Strahlkraft gewinnen?
Windfuhr: Es gibt immer Politiker*innen, die sich nicht kontrollieren lassen wollen und Rechenschaftspflichten ablehnen. Politik darf aber nicht der Absicherung von Privilegien, exklusiven Zugängen zu Macht oder ökonomischer Ressourcen dienen. Widerstände gibt es vor allem dann, wenn Macht abgegeben werden soll. Herrschaft darf nicht auf Dauer sein und muss kontrolliert werden können.
Rudolf: Die zentrale Frage für alle Gesellschaften ist doch: Wie wollen wir leben, heute und in der Zukunft? Die Allgemeine Erklärung sagt: mit Menschenrechten! Denn sie sind die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt. Nur wenn Staaten die Menschenrechte als Maßstab ihres Handelns ernst nehmen, erreichen wir für alle Menschen ein Leben frei von Furcht und Not. Deshalb brauchen wir auch gute Menschenrechtsbildung für alle – für die, die den Staat vertreten, ebenso wie für die Bevölkerung. Denn die Menschenrechte müssen immer wieder erstritten werden.
Interview: abe