Berlin. Antiziganismus stellt ein massives gesamtgesellschaftliches Problem in Deutschland dar. So lautet das Resümee des Berichts der Unabhängigen Kommission Antiziganismus, der vom Deutschen Bundestag in Auftrag gegeben wurde. Die zentralen Inhalte des Kommissionsberichts werden am 4. und 5. Juni 2021 bei einer Online-Veranstaltung präsentiert. Der Bericht stützt sich auf 15 aktuelle, von der Kommission initiierte Studien. Sie greifen besonders die Perspektiven der Betroffenen auf. Hierfür wurden breite empirische Erhebungen durchgeführt.
Antiziganistischer Rassismus ist eine „allumfassende Alltagserfahrung für Sinti*ze und Rom*nja“, so die Kommission. Der Bericht konstatiert ein „Versagen deutscher Politik, deutscher Gesetzgebungen und deren Rechtsanwendung“. Untersucht wurde Antiziganismus beispielsweise in kommunaler Verwaltung, Schulbüchern und Polizei. Mehrere empirische Studien weisen hier institutionellen Antiziganismus nach.
Die Kommission fordert eine umfassende Strategie gegen Antiziganismus. „Wir brauchen einen grundlegenden Perspektivwechsel in der deutschen Gesellschaft, der die strukturellen Ursachen des Problems in den Blick nimmt.“ Entscheidend sei in diesem Kontext auch eine „Politik der nachholenden Gerechtigkeit“, „die das seit 1945 begangene Unrecht gegenüber Überlebenden und deren Nachkommen ausgleicht“.
Zudem fordert die Kommission, „effektive und nachhaltige Partizipationsstrukturen für die Communitys der Sinti*ze und Rom*nja auf allen Ebenen zu schaffen“. Diese müssten verbindlich und auf Dauer angelegt sein.
Die Unabhängige Kommission Antiziganismus empfiehlt Bund und Ländern, Beauftragte gegen Antiziganismus zu berufen und eine ständige Bund-Länder-Kommission zu schaffen, um die Arbeit gegen Antiziganismus auf höchster Ebene politisch zu verankern.
Eine weitere Forderung der Kommission lautet: „Die zahlreichen Defizite bei der ‚Wiedergutmachung’ des Unrechts gegenüber Sinti*ze und Rom*nja müssen umgehend kompensiert und den Überlebenden ein Leben in Würde ermöglicht werden.“ Darüber hinaus solle ein umfassender Prozess der Aufarbeitung der sogenannten Zweiten Verfolgung nach 1945 durch eine von Perspektiven von Sinti*ze und Rom*nja geprägte Wahrheitskommission eingeleitet werden.
Der Bericht macht weiterhin deutlich, dass es in der Asylpolitik seit Jahrzehnten zu einer erheblichen Benachteiligung von Rom*nja, die in Deutschland Schutz vor Verfolgung, Diskriminierung, Gewalt und Krieg suchten, gekommen ist. Die Unabhängige Kommission Antiziganismus empfiehlt der Bundesregierung auch vor dem Hintergrund der europäischen Dimension des nationalsozialistischen Genozids ein klares Bekenntnis zu einer besonderen Verantwortung: „Die Abschiebung von Rom*nja aus der Bundesrepublik sowie die Perspektivlosigkeit derjenigen, die bis heute mit dem unsicheren Status einer Duldung leben müssen, sind zu beenden.“
Über die unabhängige Kommission Antiziganismus
Die Unabhängige Kommission Antiziganismus wurde vom Deutschen Bundestag eingesetzt. Das Gremium hat sich – nach vorangegangenen fachlichen Konsultationen mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma – am 27. März 2019 im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat konstituiert. Ihm gehören 11 Personen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft an, die sich mit Antiziganismus beziehungsweise Rassismus gegen Sinti*ze und Rom*nja befassen.
Der gesamte Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus „Perspektivwechsel – Nachholende Gerechtigkeit – Partizipation“ ist bisher noch nicht erschienen; er wird in Kürze unter anderem als Bundestagsdrucksache veröffentlicht werden.