Inklusive Bildung: Bundeszuständigkeit stärken
Menschenrechtsbericht 2022 – Versäumnisse in Bildungs-, Migrations- und Klimapolitik
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Pressemitteilung
Berlin. Sechs Themen und insgesamt fast 50 Empfehlungen: Menschenrechtlich gibt es für Bund, Länder und Kommunen einiges zu tun. Das belegt der 7. Menschenrechtsbericht, den das Deutsche Institut für Menschenrechte heute veröffentlicht. Ein besonderes Augenmerk richtet der diesjährige Bericht auf das Recht auf inklusive Bildung. Darüber hinaus bewertet das Institut fünf weitere Themen, die vom 1. Juli 2021 bis 30. Juni 2022 in Deutschland menschenrechtlich relevant waren: Klimaschutzpolitik, die Situation an den EU-Außengrenzen zu Belarus, die Förderung einer kindgerechten Justiz, die Rechte älterer Menschen und die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen. Bei all diesen Themen sieht das Institut politischen und gesetzgeberischen Handlungsbedarf und formuliert dazu Empfehlungen.
Im Schwerpunktkapitel Inklusive Bildung kommt das Institut zu dem Schluss: Vielen Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen wird der diskriminierungsfreie Zugang zu einem inklusiven Schulsystem in Deutschland de facto verwehrt. Allerdings ist die Situation in den Bundesländern unterschiedlich. „Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein setzen mit großem Engagement das Recht auf inklusive Bildung um. In den meisten anderen Bundesländern fehlt der politische Wille hierzu. In Baden- Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und dem Saarland sehen wir sogar Rückschritte: Immer mehr Kinder werden aus dem regulären Schulsystem ausgeschlossen. Dieser Ausschluss stellt meist den Auftakt lebenslanger Exklusionsketten dar“, kritisiert Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
Die Exklusionsquote – das ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die im Verhältnis zur Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler in Förderschulen unterrichtet werden – ist bundesweit seit Jahren nahezu gleichbleibend hoch. „Die UN-Behindertenrechtskonvention ist seit 14 Jahren in Deutschland in Kraft, aber eine Gesamtstrategie für inklusive Bildung fehlt immer noch“, so Rudolf. „Die Bundesregierung kann sich ihrer menschenrechtlichen Handlungspflicht und Gesamtverantwortung nicht entziehen, indem sie auf die Bildungshoheit der Länder verweist.“ Um inklusive Bildung zu gewährleisten, empfiehlt das Institut Grundgesetzänderungen sowie einen Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern, einen „Pakt für Inklusion“.
Die versäumte Klimaschutzpolitik der vergangenen Jahre gefährdet in Deutschland einige Regionen und bestimmte Bevölkerungsgruppen besonders stark, so der Bericht. „Der grund- und menschenrechtliche Auftrag ist unmissverständlich und der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021 hat es bestätigt: Der Staat muss die Menschen vor den Folgen des Klimawandels schützen“, unterstreicht Instituts-Direktorin Rudolf. „Es ist gut, dass sich die Bundesregierung klar zum Klimaschutz bekennt und in der Klima- und Energiepolitik bereits Maßnahmen in die Wege geleitet hat. Doch es braucht mehr und vor allem menschenrechtlich angemessene Vorsorge- und Anpassungsmaßnahmen sowie ein bundesweites Klimaanpassungsgesetz.“
Beim Thema Flucht konzentriert sich der Bericht auf den Umgang mit Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen – konkret an der polnisch-belarussischen Grenze. Schutzsuchende erleben dort massive Menschenrechtsverletzungen, weil sich die EU-Staaten nicht unter Druck setzen lassen wollen. Als Reaktion auf das politisch motivierte Ausnutzen der Not und Verzweiflung von Menschen werden also die Rechte eben dieser Schutzsuchenden verletzt. „Die Ampelregierung bekennt sich zu einer umfassenden Menschenrechtspolitik und will laut Koalitionsvertrag das Leid an den EU-Außengrenzen beenden. Daran muss sich ihre Position morgen bei der Abstimmung im Rat der EU über die sogenannte Instrumentalisierungs-Verordnung messen lassen,“, mahnt Rudolf an. „Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich morgen entschieden gegen die Absenkung der Standards des gemeinsamen EU-Asylsystems ausspricht und Ausnahmen für einzelne Mitgliedstaaten ablehnt.“
Auch bei weiteren Themen, zu denen das Institut schon seit Jahren arbeitet, stellt der Menschenrechtsbericht 2022 politische Handlungsdefizite fest: Fehlende Regelungen zum Schutz Älterer hätten sich vor allem bei der Frage der Triage in der Corona-Pandemie und im Zusammenhang mit der zunehmenden Altersarmut sowie alltäglicher Diskriminierung gezeigt. Um die Schutzlücken bei den Grund- und Menschenrechten älterer Menschen zu schließen, empfiehlt das Institut der Bundesregierung, sich mit Nachdruck für eine UN- Konvention für die Rechte Älterer einzusetzen.
Auf dem Weg zu einer kind- und jugendgerechten Justiz muss der UN-Kinderrechtskonvention noch mehr Rechnung getragen werden, so der Menschenrechtbericht. Gerichte, Staatsanwältinnen und -anwälte sowie Verfahrensbeistände müssten den Anspruch des Kindes auf Gehör stärker in die Verfahren integrieren und besser im Umgang mit Kindern geschult werden.
In der Gesundheitspolitik und im Gesundheitswesen fordert das Institut, Menschen mit Behinderungen und ihre Bedarfe auf allen Ebenen stärker zu berücksichtigen. Deutschland müsse sicherstellen, dass sie die gleiche Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite und Qualität erhalten wie Menschen ohne Beeinträchtigung. „Wir begrüßen, dass der Koalitionsvertrag einen Aktionsplan für ein diverses, barrierefreies und inklusives Gesundheitswesen vorsieht. An seiner Erarbeitung sollten Menschen mit Behinderungen mitwirken“, so Rudolf.
Der Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS-Anpassungsgesetz) enthält Regelungen, die die Rechte von Schutzsuchenden beschränken und zudem unionsrechtlich nicht zwingend sind. Das…
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Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht vor Krieg, Gewalt oder Verfolgung. Andere migrieren, um zu arbeiten oder zu studieren. Das DIMR beschäftigt sich unter anderem mit Asyl, Migration, EU-Politik und Seenotrettung.
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