„Elternhaft ist für Kinder wie eine Zwangstrennung“
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Meldung
Muss ein Elternteil eine Haftstrafe antreten, kann das Kinder massiv belasten. Wir sprachen mit Hilde Kugler, Projektleiterin der Bundesinitiative Netzwerk KvI, und Claudia Kittel, Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention, wie Kinder bestmöglich unterstützt werden können und was sie sich diesbezüglich von dem Beschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz 2023 erwarten.
Die Inhaftierung eines Elternteils bedeutet einen drastischen Einschnitt im Leben eines Kindes. Was ist zu beachten, damit Kinder besser mit der Situation zurechtkommen?
Hilde Kugler: Wie in allen Trennungssituationen benötigen Kinder aus ihrem gesamten Umfeld Verständnis und Sicherheit. Eine Inhaftierung ist eine Art von Zwangstrennung und geprägt von Scham, Tabus und moralischen Bewertungen. Die Kinderrechte garantieren Kindern, dass ihre Rechte auch im Strafvollzug beachtet und vorrangig in Entscheidungen einbezogen werden. Konkret bedeutet dies, dass betroffene Kinder altersgerecht über ihr Recht auf direkten und persönlichen Kontakt mit dem inhaftierten Elternteil, Besuchsmöglichkeiten und Unterstützungsangebote informiert werden. Und es muss ein regelmäßiger und persönlicher Umgang mit dem inhaftierten Elternteil ermöglicht werden, sofern dies dem Kindeswohl entspricht. In der Coping Studie (Children of Prisoners, Interventions and Mitigations to Strengthen Mental Health) von 2011 zur Situation von Kindern Strafgefangener gaben die befragten Kinder durchweg an, dass ihnen der direkte Kontakt zum inhaftierten Elternteil sehr geholfen habe, mit der schwierigen Situation umzugehen. Dies erleben wir auch in der täglichen Praxis der Vater-Kind-Gruppen oder bei begleiteten Kinderbesuchen.
Kürzlich hat die Jugend- und Familienministerkonferenz einen Beschluss verabschiedet, der die Rechte von Kindern inhaftierter Eltern weiter stärken soll. Was umfasst dieser Beschluss im Einzelnen?
Claudia Kittel: Zunächst einmal bekräftigte die Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) den Beschluss der Justizminister*innen (JUMIKO) aus 2019, zukünftig gemeinsam – also ministeriumsübergreifend – Konzepte in- und außerhalb des Justizvollzugs für Kinder inhaftierter Eltern zu entwickeln. Darüber hinaus fordert die JFMK die öffentliche und freie Kinder- und Jugendhilfe auf, die Bemühungen der Justiz in diesem Bereich „zu ergänzen und zu flankieren“.
Inwiefern kann der Beschluss dazu beitragen, die Bedarfe der Kinder besser zu sichern?
Kugler: Mit dem Beschluss erkennt die JFMK die besondere Lebenssituation von Kindern inhaftierter Elternteile an und die Notwendigkeit, diese künftig stärker in den Blick zu nehmen; hierfür bekräftigt sie die gemeinsame Verantwortung mit den Justizministerien der Länder. Für die Praxis auf Länderebene sind diese beiden Bekenntnisse eine Grundlage für künftige Unterstützungskonzepte.
Wer ist für die Umsetzung des Beschlusses zuständig?
KitteI: Angesprochen sind alle zuständigen Ebenen der Kinder- und Jugendhilfe. Einmal die Bundesebene hinsichtlich der Mittelbereitstellung und Beauftragung von Studien und Evaluationen. Dann richtet sich der Beschluss an die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, etwa für die Planung von Regelangeboten und die Ermittlung von spezifischen Bedarfen vor Ort, sowie auch an die Jugend-, Familien- und Sozialministerien der Bundesländer.
Welche Schritte erwarten Sie nun?
Kugler: Wir erwarten die Einrichtung einer länderoffenen Arbeitsgruppe, in die sowohl Vertreter*innen der Jugend-, Familien und Sozialministerien als auch der Justizministerien eingebunden sind. Im Hinblick auf die kommunale Jugendhilfe sollte der Beschluss Einfluss in die Jugendhilfeplanung und die konkrete Bereitstellung von Leistungen und Angeboten nehmen.
Kittel: Optimalerweise sollte die länderoffene Arbeitsgruppe ganz im Sinne der Staatenpflicht von Bund und Ländern als Vertragsparteien der UN-KRK auch die Meinungen und Perspektiven von Kindern mit inhaftierten Eltern berücksichtigen. Dies werden wir als Monitoring-Stelle auf jeden Fall im Blick behalten.
Wo liegen weiterhin große Herausforderungen?
Kugler: Angesichts sinkender Haushaltsmittel ist wohl die größte Herausforderung, ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen bereitzustellen, um die ressortübergreifende Zusammenarbeit strukturell zu verankern. Gleichermaßen herausfordernd ist die Bewusstseinsbildung auf allen Verantwortungsebenen: Die gemeinsame Verantwortung für Kinder von Inhaftierten bedeutet eben, in den Strafvollzug hineinzuwirken, eine Eltern-Kind-Beziehung zu ermöglichen und zu unterstützen sowie eigene Haltungen und Entscheidungen aus kinderrechtlicher Perspektive zu überprüfen. Als Bundesinitiative werden wir den interdisziplinären Austausch und die Vernetzung fördern und möglichst alle Bundesländer bei der Umsetzung der Europaratsempfehlungen beraten. Die sechs neu eingerichteten Landesfachstellen „Netzwerk KvI“ werden landesweite und regionale Netzwerke aufbauen.
Kittel: Für ein möglichst kinder- und familienfreundliches Unterstützungskonzept braucht es auch Wissen, etwa auf Seiten der involvierten Fachkräfte im Justizvollzug und bei den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe. Hierfür veröffentlichen wir heute eine Praxis zu den ambulanten Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe für Kinder mit Eltern in Haft. Und vor allen Dingen Wissen unter allen Kindern, damit Inhaftierung nicht so ein Tabuthema bleibt. Es gibt zum Beispiel noch viel zu wenig Kinderbücher, in denen die Inhaftierung eines Elternteils in der Geschichte vorkommt, oder kindgerechte Internetangebote, in denen Informationen rund um Haft und Gefängnis zu finden sind. Von Schulbüchern, in denen diese Lebenswirklichkeit vorkommt, mal ganz zu schweigen. Auch da sind Bund und Länder gefragt, anregend zu wirken und mit gutem Beispiel voranzugehen und beispielsweise zusammen ein Infoportal für betroffene Kinder zu initiieren.
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