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Die AfD im Unterricht als rechtsextreme Partei thematisieren

Der Bildungsauftrag verlangt von Schulen, auf die Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts zu reagieren. Dazu gehört: rechtsextreme Argumentationsmuster, Strategien und Verschwörungserzählungen aufdecken und analysieren. © iStock.com/skynesher

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Wie mit verfassungsfeindlichen Parteien im Unterricht umgehen? Diese Frage stellen sich derzeit viele Lehrkräfte und sind mit Blick auf die AfD verunsichert, ob das Gebot der parteipolitischen Neutralität einer kritischen Thematisierung entgegensteht. Der Rechtsexperte Hendrik Cremer macht im Interview deutlich: Schulen müssen über die Gefahren verfassungsfeindlicher Positionen aufklären. 

Herr Cremer, im September stehen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an. Wahlen können ein Anlass sein, über politische Parteien und ihre Positionen in der Schule zu sprechen. Viele Lehrkräfte sind allerdings mit Blick auf die AfD verunsichert, wie sie diese Partei thematisieren sollen. Was sollten sie dabei beachten?

Hendrik Cremer: Viele Lehrkräfte sind unsicher, wie das Gebot der parteipolitischen Neutralität in der Bildung zu verstehen ist. Zugleich setzt die AfD ihre Kritiker*innen, insbesondere im Bildungsbereich, immer wieder mit Hinweis auf das Neutralitätsgebot unter Druck. Doch das Neutralitätsgebot schützt Parteien nicht vor einer sachlichen Befassung mit ihnen. Maßgeblich ist, dass Lehrer*innen fundiert und sachlich über die Positionen von Parteien aufklären und sprechen. Dazu gehört im Fall der AfD auch, über ihre national-völkische Ideologie und ihre tatsächlichen Ziele aufzuklären. Die AfD darf insbesondere nicht verharmlost werden. Es muss vielmehr deutlich werden, dass sich die AfD zu einer rechtsextremen Partei entwickelt hat. Politische Bildung muss ihren Adressaten vermitteln, wofür die AfD steht und dass sie sich von demokratischen Parteien grundsätzlich unterscheidet.

Wie verträgt sich dieser Anspruch mit dem Gebot der parteipolitischen Neutralität? Schließlich ist die AfD demokratisch gewählt.

Cremer: Die AfD ist zwar demokratisch gewählt. Daraus zu schlussfolgern, es handele sich um eine demokratische Partei, greift aber deutlich zu kurz. Die Partei zielt auf die Abschaffung der freiheitlichen rechtstaatlichen Demokratie ab. Das Neutralitätsgebot besagt keinesfalls, dass Lehrkräfte sich nicht kritisch mit rechtsextremen Parteien auseinandersetzen dürfen. Vielmehr gehört es zum Bildungsauftrag, rassistische, antisemitische oder andere menschenverachtende Positionen als solche zu benennen und zu hinterfragen, auch wenn diese von demokratisch gewählten Parteien vertreten werden. Lehrkräfte dürfen sich nicht hinter dem Neutralitätsgebot verstecken.

Lehrkräfte dürfen sich also im Unterricht kritisch über die AfD äußern?

Cremer: Ja, selbstverständlich. Politische Bildung fußt auf der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. Dies betonen auch die Schulgesetze der Länder und die Kultusministerkonferenz. Daher ist es geboten, Positionen, die die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit die Menschenrechte angreifen, als solche einzuordnen. Das ist ein wesentlicher Bestandteil des Bildungsauftrags. Gerade die deutsche Geschichte hat gezeigt, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung eines Staates zerstört werden kann, wenn menschenverachtende Grundhaltungen nicht rechtzeitig auf energischen Widerstand stoßen und sich so verbreiten und durchsetzen können.

Stehen kritische Bewertungen der AfD durch Lehrkräfte in Einklang mit den Grundsätzen für die politische Bildung, dem sogenannten Beutelsbacher Konsens?   

Ja, absolut. Die Grundsätze für die politische Bildung, die der Beutelsbacher Konsens definiert, sind: Indoktrinationsverbot, Kontroversitätsgebot und Schülerorientierung. Das bedeutet: die Themen sollten sachlich und ausgewogen diskutiert und dabei unterschiedliche Perspektiven beleuchtet werden, und die Lernenden sollten sich ihre Meinung selbst bilden können. Das heißt aber nicht, dass politische Bildung wertneutral ist. Das Gegenteil ist der Fall. Das Schulrecht der Länder wie auch die Kultusministerkonferenz betonen: Politische Bildung ist nicht neutral, sondern basiert auf Werten. Dies gilt gleichermaßen für die schulische wie außerschulische Bildung. Rechtsextreme Positionen dürfen demzufolge nicht als gleichberechtigte legitime politische Positionen behandelt werden. Lehrkräfte müssen die Werte der Verfassung darstellen und zuwiderlaufende verfassungsfeindliche Bestrebungen klar benennen.

Was raten Sie Lehrkräften, die sich vor Bedrohungen bei parteikritischen Äußerungen fürchten?

Cremer: Versuche, Lehrkräfte beziehungsweise Schulen einzuschüchtern, gibt es immer wieder. Die betroffenen Lehrkräfte können dann vor erheblichen Herausforderungen stehen. Die Schulbehörden sind gehalten, Lehrkräfte zu schützen, wenn diese wegen ihres Einstehens für die Werte des Grundgesetzes bedroht werden. Abgesehen davon kann es hilfreich sein, wenn sich Lehrer*innen Unterstützung einholen und Beratungsangebote wahrnehmen, etwa von zivilgesellschaftlichen Organisationen mit einem entsprechenden Aufgabenprofil.

Rechte Parolen im Unterricht, einschlägige Sticker auf Klamotten, rassistische, antisemitische oder andere menschenverachtende Äußerungen von Schüler*innen: Was sollen Lehrkräfte tun, wenn sie mit solchen Vorfällen konfrontiert sind?

Cremer: Lehrkräfte sollten solche Vorkommnisse auf keinen Fall ignorieren, jeder Vorfall sollte ernstgenommen werden. Wenn also Positionen geäußert werden, die die Menschenrechte und den Schutz der Menschenwürde in Frage stellen, müssen Lehrkräfte intervenieren – auch um von Diskriminierung betroffene Personen gegebenenfalls zu schützen. Dies gilt für die schulische Bildung genauso wie für die außerschulische Bildung, aber auch für die Aus- und Fortbildung in staatlichen Institutionen etwa bei der Polizei oder der Bundeswehr.

Die AfD ist auf Social-Media-Kanälen wie TikTok sehr aktiv. Wie können Lehrkräfte darauf reagieren?

Cremer: Die massiven Aktivitäten rechtsextremer Akteure auf Social-Media-Kanälen untermauern die Notwendigkeit, dass Schulen auf die Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts reagieren. Dazu gehört es, rechtsextreme Argumentationsmuster und Strategien aufzudecken und Verschwörungserzählungen zu analysieren. Schüler*innen müssen erkennen können, wie rechtsextreme Akteure heute agieren und Menschen für ihre Zwecke manipulieren wollen.

Was können Schulen gegen rechtsextreme Ideologien tun?

Cremer: Es braucht mehr fächer- und formatübergreifende politische Bildung, zum Beispiel mit Projekttagen und Workshops zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Lehrkräfte sollten den Mut haben, sich kritisch mit Parteien, die menschenverachtende Ziele verfolgen, auseinanderzusetzen. Eines ist allerdings auch klar: Die AfD und andere rechtsextremistische Gruppierungen im Umfeld der Partei in ihrem Angriff auf die freiheitliche rechtsstaatliche Demokratie zu stoppen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Daher sollten sich sämtliche Akteure, insbesondere auf der lokalen Ebene, an der Aufklärungsarbeit über die AfD beteiligen. Die Zeit dafür drängt.

Zur Person

Dr. Hendrik Cremer ist Jurist und seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Rassismus, Rechtsextremismus und das Recht auf Asyl. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Studien veröffentlicht und war schon häufig im Bundestag und in Landtagen als Sachverständiger geladen.

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