Aktuelles

Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte vorerst gescheitert

© iStock.com/zazamaza

· Meldung

Seit mehr als drei Jahren ringt die Bundesregierung darum, einen neuen Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) abzustimmen – die Regierungskoalition konnte sich aber schlussendlich nicht auf einen Text einigen. Der erste Nationale Aktionsplan, der den Weg für das deutsche Lieferkettengesetz geebnet und die Finanzierung zahlreicher wichtiger Begleit- und Unterstützungsmaßnahmen gesichert hat, ist formal bereits Ende 2020 ausgelaufen, wird derzeit aber regelmäßig verlängert. Damit steht die Bundesregierung nun schon das fünfte Jahr in Folge ohne eine gemeinsame Strategie für Wirtschaft und Menschenrechte da, die den aktuellen wirtschaftlichen und menschenrechtlichen Anforderungen entspricht.

Wofür brauchen wir einen Nationalen Aktionsplan?

Nationale Aktionspläne sind politische Grundsatzdokumente, in denen Regierungen Prioritäten und Maßnahmen darlegen, die sie zur Umsetzung internationaler oder nationaler Verpflichtungen und Zusagen in Bezug auf einen bestimmten Politikbereich ergreifen werden.

Im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte spielt der NAP eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Entlang von deren „drei Säulen“ sollen im NAP sowohl die völkerrechtlichen Pflichten der Bundesregierung zum Schutz der Menschenrechte als auch die aus der unternehmerischen Verantwortung abgeleitete menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Unternehmen festgeschrieben werden. Das Ziel ist dabei zum einen die Verbesserung der Menschenrechtslage entlang globaler Lieferketten und zum anderen das Hinwirken auf faire Wettbewerbsbedingungen durch verlässliche Rahmenbedingungen für deutsche Unternehmen.

Sowohl der UN-Menschenrechtsrat als auch die UN-Arbeitsgruppe für Menschenrechte und transnationale Unternehmen und andere Wirtschaftsunternehmen fordern alle Staaten nachdrücklich auf, solche Aktionspläne für Wirtschaft und Menschenrechte zu entwickeln, zu verabschieden und zu aktualisieren. Sie sollen der Umsetzung der UN-Leitprinzipien dienen, die der Menschenrechtsrat 2011 im Konsens verabschiedet hat.

Auch EU-Institutionen, der Europarat und viele europäische Regierungen, nicht zuletzt die Bundesregierung, haben bei zahlreichen internationalen Gelegenheiten die Bedeutung von Nationalen Aktionsplänen für die Umsetzung der UN-Leitprinzipien hervorgehoben. Der Bundesregierung sei es „ein zentrales Anliegen, dass möglichst viele Staaten die VN-Leitprinzipien mit qualitativ hochwertigen Politikprogrammen, zumeist in Form von Nationalen Aktionsplänen, umsetzen“, so die Website der Bundesregierung zu Unternehmensverantwortung.

Woran ist der NAP-Prozess gescheitert?

Zur Initiierung des NAP-Fortschreibungsprozesses beauftragte das Auswärtige Amt das Deutsche Institut für Menschenrechte im Herbst 2021 mit einer Bestandsaufnahme, einem sogenannten „National Baseline Assessment“, die das Institut im Sommer 2022 vorlegte.
In den darauffolgenden Entwurfs- und Abstimmungsrunden konnte kein Konsens zu den Inhalten und vorgeschlagenen Maßnahmen zwischen den Ressorts der Bundesregierung hergestellt werden. Zu den Streitpunkten zwischen den Ressorts gehören unterschiedliche Bewertungen des deutschen Lieferkettengesetzes und unterschiedliche Erwartungshaltungen gegenüber den Unternehmen.

Ob und wann die neue Bundesregierung den Prozess wieder aufnimmt, und ob sie ihn zu einem erfolgreichen Ende führen kann, ist noch nicht abzusehen.

Welche Konsequenzen hat das Scheitern?

Ohne NAP fehlt den Beteiligten aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft eine langfristige Planungssicherheit hinsichtlich der politischen Erwartungen und Ziele der Bundesregierung im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte.

International leidet die Glaubwürdigkeit Deutschlands, da die Bundesregierung auf internationaler Ebene für die Verabschiedung von Nationalen Aktionsplänen wirbt. Seit Jahren fördert sie „die Erarbeitung von NAPs auch in Entwicklungs- und Schwellenländern“ im Rahmen der Außen- und Entwicklungspolitik. Diese Position wird geschwächt, wenn es nicht gelingt, den eigenen NAP fortzuschreiben. Die eigene Innen- und Außenpolitik in Einklang zu bringen erfordert, sich den eigenen Hausaufgaben zu stellen, bevor man andere dazu auffordert.

Auch für die deutsche Wirtschaft ist es nicht zuträglich, wenn die Fortschreibung von Nationalen Aktionsplänen ins Stocken gerät. Denn je mehr Staaten die UN-Leitprinzipien umsetzen, desto näher kommen wir dem Ziel von fairen, verlässlichen und vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen weltweit.

Problematisch ist außerdem, dass nicht bekannt ist, wie sich die Bundesregierung aktuell zu relevanten internationalen Prozessen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte positioniert: Spricht sich die Bundesregierung dafür oder dagegen aus, dass die EU im UN-Prozess um ein Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte mitverhandelt? Welche Haltung hat die Bundesregierung zur Umsetzung der EU-Gesetzgebungsakte für eine sozial-ökologische Transformation? Wie sollen Menschenrechte in künftigen Freihandelsabkommen verankert werden? In einem neuen Nationalen Aktionsplan könnte und sollte sie über all diese Fragen Klarheit schaffen.

Bis jedoch ein neuer Plan vorliegt, wird im Inland wie im Ausland Unsicherheit darüber herrschen, wie Deutschland künftig im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte zu handeln gedenkt.

Ansprechpartner*in

Mehr zu diesem Thema

Zum Seitenanfang springen