Im Fokus

10 Jahre UN-Übereinkommen gegen das Verschwindenlassen

© DIMR/A. Losier

Vor zehn Jahren, am 23. Dezember 2010, trat das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Gewaltsamen Verschwindenlassen völkerrechtlich und in Deutschland in Kraft. Es ist das jüngste Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen, obwohl das Verbrechen schon seit Jahrzehnten auf der ganzen Welt begangen wird. Gäbe es eine Jubiläumsfeier, wäre der Kreis allerdings klein, denn erst 63 Staaten haben die Konvention ratifiziert.

Gewaltsames Verschwindenlassen bedeutet, dass Menschen im Auftrag oder mit Duldung von Regierungen entführt und an geheimen Orten gefangen gehalten oder getötet werden. Familien wissen oft jahrelang nicht, was mit ihren Angehörigen geschehen ist, ob sie überhaupt noch leben, und wer dafür verantwortlich ist. Nicht selten werden suchende Angehörige selbst bedroht oder Schlimmeres.

Besonderer Blick auf die Opfer

Zu den großen Errungenschaften des UN-Abkommens gehören die präzise Definition des sehr komplexen Verbrechens und die entsprechend ausführlich geregelten Rechte der Opfer. Zu diesen gehört laut Übereinkommen nicht nur die verschwundene Person selbst, sondern „jede natürliche Person, die als unmittelbare Folge eines Verschwindenlassens geschädigt worden ist“, wie etwa die Angehörigen, enge Freund*innen oder Arbeitskolleg*innen. Zusammen mit den Verpflichtungen für die Staaten zur Suche nach Verschwundenen, zur Aufklärung und zur strafrechtlichen Verfolgung der Täter*innen ist das Übereinkommen ganz wesentlich auf die Prävention dieser schweren Menschenrechtsverletzung ausgerichtet.

Eilaktionen für die Suche nach Verschwundenen

Dazu tragen auch die Befugnisse des UN-Ausschusses gegen das Verschwindenlassen bei, der die Einhaltung der Konvention überprüft. Seine zehn unabhängigen Mitglieder diskutieren Staatenberichte, prüfen und entscheiden Individualbeschwerden und geben grundsätzliche Empfehlungen ab für die Suche nach Verschwundenen. Einzigartig ist aber deren Befugnis, mit sogenannten Eilaktionen Angehörige oder eine Person oder Organisation mit einem berechtigten Interesse bei der Suche nach einer verschwundenen Person zu unterstützen. Der UN-Ausschuss fordert dann den betreffenden Staat auf, Auskunft zu geben bzw. konkrete Maßnahmen zum Auffinden der verschwundenen Person zu ergreifen. Über 900 dieser Eilaktionen hat der Ausschuss bisher bearbeitet. Auch wenn nur in wenigen Fällen Personen lebend oder tot wiedergefunden werden, ist es gegenüber den betreffenden Staaten und den antragstellenden Angehörigen ein wichtiges Signal, dass diese Menschenrechtsverletzungen nicht folgenlos bleiben.

Die Folgen der Covid-19-Pandemie haben auch den Ausschuss gegen das Verschwindenlassen vor besondere Herausforderungen gestellt. Doch die Arbeit wurde so gut wie möglich online weitergeführt, um für die Opfer und ihre Angehörigen ein deutliches Zeichen zu setzen. Den Staaten wurde signalisiert, dass ihre Verpflichtungen weiterhin gelten und der Ausschuss keinerlei Entschuldigungen für das gewaltsame Verschwinden von Menschen akzeptiert.

Definition des Verschwindenlassens

Nach Artikel 2 des 2010 in Kraft getretenen Internationalen Übereinkommens zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen gilt als Verschwindenlassen „die Festnahme, Haft, Entführung oder jede andere Form von Freiheitsentzug durch Bedienstete des Staates, durch eine Person oder durch Personengruppen, die mit der Erlaubnis, Unterstützung oder Duldung (billigende Inkaufnahme) des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, die Freiheitsberaubung zu bestätigen, oder von einer Verschleierung des Schicksals oder des Aufenthaltsortes der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird.“

OHCHR: International Convention for the Protection of All Persons from Enforced Disappearance

Ansprechpartner*in

© Photografic Berlin

Dr. Silke Voß-Kyeck

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Telefon: 030 259 359 - 465

E-Mail: voss-kyeck(at)institut-fuer-menschenrechte.de

Kurzbiografie Dr. Silke Voß-Kyeck

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