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CERD, Mitteilung Nr. 4/1991 (LK vs. The Netherlands)

CERD, Auffassungen vom 16.03.1993, L. K. gegen die Niederlande

1. Sachverhalt

L. K. ist marokkanischer Staatsangehöriger und lebt in Utrecht. Er besichtigte im August 1989 mit einem Freund ein von der Stadt subventioniertes Haus. Eine Gruppe von etwa 20 Personen stand vor dem Haus und skandierte: „Keine Ausländer mehr!“ Einige drohten damit, das Haus anzuzünden und sein Auto zu beschädigen, wenn er einziehe. In Gegenwart eines Mannes vom Wohnungsamt teilten Anwohner*innen ihnen mit, dass sie L. K. nicht als Nachbarn akzeptieren würden, da es „pro Straße nicht mehr als fünf Prozent Ausländer“ geben dürfe. Als sie erfuhren, dass es eine solche Regel nicht gab, unterzeichneten 28 Anwohner*innen eine Petition gegen L. K. als Nachbarn.

L. K. erstattete Strafanzeige wegen rassistischer Diskriminierung bei der Polizei. Er richtete sie gegen die Demonstrant*innen und gegen die Petent*innen. Die Polizeibediensteten weigerten sich, die Anzeige aufzunehmen. Nach Vermittlung durch eine örtliche Initiative verfassten sie einen Bericht über den Vorfall und vernahmen 17 der Unterzeichnenden. Erst nachdem sein Anwalt Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft genommen hatte, erfuhr L. K., dass der Fall dort nicht registriert sei, da Zweifel an der Strafbarkeit bestünden. Im Januar 1990 beantragte L. K. deshalb vor dem Berufungsgericht, eine strafrechtliche Verfolgung der Personen anzuordnen. Der Generalstaatsanwalt beantragte die Abweisung des Antrags, hilfsweise die Einstellung des Verfahrens mangels öffentlichen Interesses. Er gab die Ermittlungsakte erst nach Androhung einer Klage im April 1991 heraus. Im Juni 1991 wies das Gericht den Antrag zurück, nachdem es nur zwei Beteiligte geladen hatte. Der Petition liege weder  eine beleidigende Absicht zugrunde noch stifte sie zum „Rassenhass" an. Ihr Titel sei im Lichte der gehörten Aussagen auszulegen. L. K. versuchte vergeblich, den Generalstaatsanwalt zu einem Antrag auf Annullierung der Entscheidung zu bewegen. Auch ein Schreiben an den Justizminister blieb erfolglos.

2. Verfahren vor dem Anti-Rassismus-Ausschuss (CERD)

L. K. legte 1991 vor dem UN-Anti-Rassismus-Ausschuss (CERD) Beschwerde ein. Er stützte sich dabei auf Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe d, 4 Buchstabe c, 5 Buchstaben d (i) und e (iii) und 6 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung (Anti-Rassismus-Konvention; ICERD).

Diese Vorschriften seien verletzt, da die Bemerkungen der Anwohner*innen rassistisch diskriminierend gewesen seien und die Strafverfolgungsbehörden hierauf weder umgehend noch wirksame Ermittlungen eingeleitet hätten. Das niederländische Recht stelle rassistische Beschimpfungen durch Gruppen, öffentliche Anstiftung zum „Rassenhass“ und die Veröffentlichung von Dokumenten mit rassistischen Beschimpfungen unter Strafe. Demnach hätte die Tat verfolgt werden müssen. Staatsanwaltschaft und Justiz hätten den Sachverhalt jedoch nicht vollständig geprüft. Die polizeiliche Ermittlung sei weder umfassend noch vollständig gewesen, da bestimmte Personen – darunter der Freund von L. K. – gar nicht befragt worden seien. Alle anderen seien nur zur Petition, nicht zur Demonstration vernommen worden. Die Staatsanwaltschaft habe ihre ablehnende Entscheidung nicht begründet. Das Gericht habe das Verfahren ungerechtfertigt in die Länge gezogen und eine unvollständige Beweisaufnahme durchgeführt.

Mit der Ratifikation von CERD hätten die Niederlande eingewilligt, rassistische Vorfälle schnell und mit besonderer Aufmerksamkeit zu behandeln. Auch Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verlange von den Niederlanden, unnötige Verfahrensverzögerungen zu vermeiden (Rz. 3.1-3.3; 5.1-5.2).

Die niederländische Regierung, an die sich die Beschwerde richtete, wies diese als unbegründet zurück, da keine Verletzung vorliege. Einige Befragungen hätten sich auch mit der Drohung befasst, das Haus anzuzünden. Eine Vernehmung des Freundes hätte keine anderen Ergebnisse erbracht, da die Äußerungen selbst nicht umstritten gewesen seien. Die Einstellungsentscheidung habe der Staatsanwalt gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft ausführlich begründet. Die Länge des Verfahrens habe keinen Einfluss auf die Effektivität des Rechtsbehelfs gehabt. Die niederländischen Gesetze zu rassistischer Diskriminierung entsprächen den Anforderungen des ICERD. Sie wären auch auf den Fall anwendbar gewesen. Es habe nur aus Mangel an Anhaltspunkten und Beweisen für eine Verletzung des CERD keine Ermittlungen gegeben. Artikel 4 ICERD erfordere nicht, dass stets Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet werden müssten. Zudem habe L. K. mit dem Antrag auf Aufnahme von Ermittlungen einen effektiven Rechtsbehelf gehabt, den er auch genutzt habe. Schließlich sei auch Artikel 5 Buchstaben d (i) und e (iii) nicht verletzt, da L. K. jederzeit freie Wohnsitzwahl gehabt habe. Die Niederlande erfüllten die Anforderungen des Ausschusses und verfügten insbesondere über ein Verfahren zur gerechten Verteilung von Wohnraum, das im Fall von L. K. auch angewendet worden sei (Rz. 4.1-4.7).

3. Entscheidung des Anti-Rassismus-Ausschusses

Der Fachausschuss stellte eine Verletzung jedenfalls von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe d in Verbindung mit Artikel 4 Buchstabe a und 6 ICERD fest (Rz. 6.7-6.8). Die Niederlande hätten ihre Pflicht verletzt, rassistische Diskriminierung durch Privatpersonen angemessen zu verfolgen und L. K. dadurch wirksam zu schützen.

3.1 Verletzung der Pflicht, Privatpersonen durch effektive Ermittlungen gegen rassistische Äußerungen zu schützen (Rz. 6.3-6.9)

Der Ausschuss stellt eine Verletzung von Artikel 4 Buchstabe a ICERD fest. Die Bemerkungen und Drohungen gegenüber L. K. stellten Aufforderungen zu rassistischer Diskriminierung und zu Gewalttaten gegen Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder ethnischer Herkunft dar. Die Ermittlungen dieses Vorfalles durch Polizei und Staatsanwaltschaft seien unvollständig gewesen. Der Ausschuss betont, dass allein die Schaffung von Strafgesetzen gegen rassistische Diskriminierung nicht ausreiche.

Das Übereinkommen stelle das Ermessen der Behörden, eine Straftat zu verfolgen, nicht in Frage. Allerdings müssten die staatlichen Behörden diese Entscheidung in Fällen rassistischer Diskriminierung im Lichte der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen treffen („Yilmaz-Dogan gegen die Niederlande“, Mitteilung Nr. 1/1984). Staaten seien verpflichtet, bei Drohungen mit rassistisch begründeter Gewalt mit der gebotenen Sorgfalt und Geschwindigkeit zu ermittelt. Dies gelte besonders für öffentliche Drohungen durch Personengruppen. Diese Pflicht hätten die Niederlande verletzt, da das polizeiliche Ermittlungsverfahren und das gerichtliche Verfahren L. K. nicht effektiv schützten und ihm keine effektive Wiedergutmachung im Sinne des Artikels 6 ICERD verschafften.

3.2 Empfehlungen (Rz. 6.8 f.)

Der Fachausschuss empfahl den Niederlanden, Verfahren und Praxis der Strafverfolgung von rassistischer Diskriminierung zu überprüfen und L. K. eine angemessene Entschädigung bzw. Schmerzensgeld zu zahlen.

4. Bedeutung für die Rechtspraxis

Die kurze Entscheidung fasst die Anforderungen an den Staat bei rassistischen Äußerungen von Privatpersonen prägnant zusammen und stellt Kriterien für staatliche Ermittlungen im Falle rassistischer Diskriminierungen auf. Diesen Katalog hat der Ausschuss in späteren Entscheidungen ausgeformt (siehe „Türkischer Bund Berlin-Brandenburg gegen Deutschland“ Mitteilung Nr. 48/2010).

In Fällen von mangelhafter Strafverfolgung bei rassistischen Äußerungen kann diese Entscheidung als Modell für eigene Schriftsätze dienen.

5. Follow Up

Im 13. Staatenbericht (1997) legten die Niederlande mit Hinweis auf die Entscheidung umfassende Informationen über neu eingeführte, striktere Antidiskriminierungsrichtlinien für Polizei und Staatsanwaltschaft vor. Ferner berichtete die Regierung, dass sie im Einvernehmen mit L. K. und seinem Anwalt eine Entschädigung von 8.500 niederländischen Gulden gezahlt hätten. 

6. Entscheidung im Volltext

CERD_16.03.1993_LK_v._The_Netherlands_ENG.pdf (PDF, 96 KB, nicht barrierefrei)

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