CEDAW, Mitteilung Nr. 47/2012 (Gonzalez Carreno vs. Espana)
CEDAW, Entscheidung vom 18.07.2014, Gonzales Carreno (vertreten durch Women’s Link Worldwide) gegen Spanien
1. Sachverhalt
Angela González Carreño trägt in ihrer Beschwerde vor, dass sie ihren Mann (F. R. C.) und Vater ihrer damals dreijährigen Tochter Andrea im September 1999 nach langjähriger häuslicher Gewalt verlassen hat, nachdem er ihr in Gegenwart der Tochter mit einem Messer in der Hand gedroht habe, sie zu töten.
Angela Carreño Gonzalez leitete dann verschiedene rechtliche Schritte ein: Sie zeigte mehrfach Vorfälle häuslicher Gewalt bei der Polizei an, beantragte die Scheidung, die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf sie und die Begleitung der Umgangskontakte ihrer Tochter mit F. R. C. Das Gericht beschränkte den Umgang von F. R. C auf freitags von 17:00-20:00 Uhr und sonntags von 10:00-14:00 Uhr.
Nach der Trennung kam es nach Angaben von Frau Carreño Gonzalez weiterhin zu gewalttätigen Übergriffen von F. R. C. Er habe sie häufig in der Gegenwart des Kindes verfolgt, beschimpft und bedroht sowie versucht, Andrea gegen deren Willen mitzunehmen. Während der Umgangskontakte habe er versucht, seine Tochter über die Lebensumstände seiner ehemaligen Frau auszufragen und habe abfällig über sie geredet. In dieser Zeit wandte sich Frau Carreño Gonzalez nach eigenen Angaben über 30-mal an verschiedene Behörden und Gerichte. Sie zeigte F. R. C. an und beantrage mehrfach Näherungsverbote für sich und ihr Kind, sowie erneut die Begleitung des Umgangs zwischen Vater und Kind.
Nur in einem Fall bezog sich ein gerichtlich angeordnetes Näherungsverbot auch auf ihre Tochter. Dies nahm das Gericht aber zurück, nachdem F. R. C die Störung seines Umgangskontaktes und die Entwicklung der Tochter-Vater-Beziehung durch das Näherungsverbot rügte. Er wurde in einem Fall zu einer Geldbuße von 45 Euro verurteilt. Im Sorgerechtsverfahren hatte das Familiengericht im Dezember 2000 das Kind angehört und daraufhin die Begleitung des Umgangskontaktes in den Räumen einer sozialen Einrichtung angeordnet. Auf der Grundlage einer darauf folgenden psychologischen Begutachtung von F. R. C. und dem Kind wurde eine Empfehlung erarbeitet, die über einen Zeitverlauf von einem Jahr eine stufenweise Erweiterung der Umgangsregeln bis hin zu unbegleitetem Übernachtungsbesuch bei F. R. C. vorsah. Die Entwicklung des Verhaltens des Vaters wurde alle drei Monate durch einen Bericht der zuständigen sozialen Dienste evaluiert. Dies führte dann im Mai 2002 zu einer gerichtlichen Anordnung des unbegleiteten Umgangs, bei dem das Kind in den Räumen der sozialen Dienste jeweils zwischen den Eltern übergeben werden sollte.
Aus den Berichten der sozialen Dienste gehe hervor, dass das Kind nicht mehr Zeit mit ihrem Vater verbringen wollte, dass sie von abfälligen und für sie verwirrenden Bemerkungen des Vaters über die Mutter berichtete und dass das Besuchssystem weiterhin gut beobachtet werden müsse.
Im April 2003, nach einer Anhörung im Verfahren um die Nutzung des gemeinsamen Hauses, habe F. R. C. gegenüber Frau González Carreño gesagt, er werde sich nehmen, was sie am meisten liebe. Am nächsten Tag während eines unbegleiteten Umgangskontaktes tötete er seine zu dem Zeitpunkt sechsjährige Tochter und brachte sich anschließend im April 2003 selbst um.
Im Anschluss daran hat Frau González Carreño durch alle Instanzen bis hin zum Verfassungsgericht erfolglos versucht, die rechtliche Anerkennung für ein Fehlverhalten der Behörden und Gerichte sowie Schadenersatz zu bekommen.
2. Verfahren vor dem Fachausschuss zur UN-Frauenrechtskonvention
Frau González Carreño legte September 2012 im eigenen Namen und im Namen ihrer Tochter Beschwerde vor dem Fachausschuss zur UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) ein. Sie stützte sich dabei auf Artikel 2, 5 und 16 der Konvention. Danach sei sie auf zwei Ebenen von Diskriminierung betroffen.
Zum einen hätten die Behörden und Gerichte nicht mit der erforderlichen Sorgfalt alle ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen Maßnahmen ergriffen, um sie und ihre Tochter vor Gewalt zu schützen, was mit dem Tod ihrer Tochter endete und eine Verletzung von Artikel 2 a), b), c) d), e), f) darstelle. Die Beschwerdeführerin habe mehrfach die Behörden über die Gewalt informiert. Obwohl sie über 30-mal Schutzmaßnahmen beantragt habe, sei der Staat nicht willens und in der Lage gewesen, die Gewalt effektiv zu beenden.
Artikel 2 (f) und (g) in Verbindung mit Artikel 5 CEDAW seien verletzt, da die Praxis der spanischen Behörden und Gerichte eine vorurteilsbehaftete und stereotype Betrachtungsweise häuslicher Gewalt aufweise. Das zeige sich in der mangelnden Anwendung des Rechts gegenüber F. R. C. Die Behörden und Gerichte hätten ihre Entscheidungen unabhängig von der Gewalt und dem Verhalten des Mannes gegenüber der Beschwerdeführerin und dem Kind getroffen und die Umgangskontakte mit dem Vater über das Kindesinteresse und Kindeswohl gestellt. Unberücksichtigt sei auch die Tatsache geblieben, dass F. R. C. über Jahre folgenlos keinen Kindesunterhalt gezahlt und das Gericht lange Zeit keine Regelung über die Nutzung des gemeinsamen Hauses getroffen habe. Dies habe die Beschwerdeführerin zusätzlich in eine verletzliche Lage gebracht.
Zum anderen habe der Staat weder eine Untersuchung eingeleitet, inwieweit die Entscheidungen der Behörden und Gerichte für den Tod ihrer Tochter ursächlich gewesen seien, noch habe die Beschwerdeführerin eine Entschädigung erhalten. Dies stelle eine Verletzung von Artikel 2 b), c) der Frauenrechtskonvention dar.
Die spanische Regierung wies die Beschwerde zurück. Sie sei unbegründet, da die Behörden und Gerichte die geltenden Vorschriften eingehalten hätten. In Bezug auf das Umgangsrecht hätten sie ihre Entscheidungen auf der Grundlage der Empfehlungen der sozialen Dienste getroffen. Zwar seien diesen eine die Realität verzerrende Zwangsstörung von F. R. C. zu entnehmen gewesen. Diese habe sich aber nur auf die Beschwerdeführerin, nicht auf das Kind bezogen. Die Berichte haben auch darauf hingewiesen, dass F. R. C. dominant in der Beziehung zu seiner Tochter gewesen sei und die Ausgestaltung des Umgangs nicht gut an ihr junges Alter habe anpassen können. Alle Berichte hätten jedoch eine Annäherung zwischen Vater und Tochter empfohlen. Darüber hinaus seien alle Umgangskontakte über die sozialen Dienste organisiert und von ihnen kontrolliert worden.
Daher sei für die Behörden und Gerichte zu keinem Zeitpunkt ersichtlich gewesen, dass das Leben, die körperliche oder psychische Gesundheit des Mädchens in Gefahr gewesen seien. Die Waffe habe F. R. C. ohne Genehmigung und Kenntnis der Behörden besessen.
3. Entscheidung des UN-Fachausschusses zur Frauenrechtskonvention
Verletzung der Konvention durch das Verhalten der Behörden und Gerichte
Der Fachausschuss stellte eine Verletzung von Artikel 2 b) bis f), Artikel 5 a), 16 Abs. 1 d) in Verbindung mit Artikel 1 der Konvention und der Allgemeinen Bemerkung Nr. 19 der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter fest: Das Gericht habe aufgrund von stereotypen und damit diskriminierenden Vorstellungen über Umgangskontakte in einem Kontext häuslicher Gewalt unbegleiteten Umgang angeordnet.
Darüber hinaus liege eine Verletzung von Artikel 2 b), c) der Konvention vor, da es keine Grundlage für die Entschädigung von schweren irreparablen Schäden wie dem Verlust eines Kindes gebe.
Und schließlich sei der Staat unter der Konvention verpflichtet, Handeln oder Unterlassen staatlicher Organe, das möglicherweise mangelnden Schutz der Opfer vor Gewalt verursacht hat, zu untersuchen. Auch das sei im vorliegenden Fall nicht erfolgt und stelle somit eine Verletzung der Konvention dar.
Begründung der Pflichtverletzung
Der Fachausschuss sieht es zunächst als erwiesen an, dass die Tötung des Kindes im Kontext langjähriger häuslicher Gewalt stattgefunden hat. In diesen Kontext bezieht der Ausschuss explizit auch die Weigerung, Unterhalt zu zahlen mit ein sowie die Weigerung, dem Elternteil, das die tatsächliche Sorge für Kinder ausübt, die Familienwohnung zu überlassen, wie es gesetzlich in Spanien vorgesehen ist.
Der Ausschuss teilt nicht die Auffassung der spanischen Regierung, dass weder das Verhalten des Mannes noch die Gefahr für das Kind vorhersehbar gewesen seien und begründet dies ausführlich. Erstens habe die Beschwerdeführerin seit ihrer Trennung eine Vielzahl von gewalttätigen Übergriffen gegen sie in Anwesenheit des Kindes angezeigt. Gerichtlich angeordnete Näherungsverbote habe F. R. C. ohne rechtliche Konsequenzen nicht befolgt. Zweites hätten sich Näherungsverbote nicht auf das Kind bezogen. Drittens hätten die Berichte der sozialen Dienste auf die Zwangsstörung von F. R. C. hingewiesen und dokumentiert, dass er die Umgangskontakte genutzt habe, um Nachrichten an die Beschwerdeführerin zu übermitteln und sie über das Kind herabzuwürdigen. Die Berichte, die in der zweiten Phase des unbegleiteten Umgangs erstellt wurden, hätten deutlich darauf hingewiesen, dass er immer wieder nach der privaten Situation der Beschwerdeführerin gefragt habe und dass die Besuchskontakte kontinuierlich kontrolliert werden müssten.
Der Ausschuss stellt fest, dass die Justizbehörden trotz dieses Wissens in ihren Entscheidungen zum Umgangsrecht vorrangig das Ziel verfolgt hätten, die Beziehung zwischen Vater und Tochter zu normalisieren. Sie hätten nicht weiter evaluiert, inwieweit die Besuchskontakte sich zum Schaden oder Vorteil der Tochter ausgewirkt haben. Im Rahmen der Entscheidung, den unbegleiteten Umgang anzuordnen, seien weder die Beschwerdeführerin noch ihre Tochter gehört worden. Auch habe die Tatsache, dass F. R. C. die Zahlung von Unterhalt verweigerte, keine Berücksichtigung gefunden. Diese Aspekte spiegeln nach Auffassung des Ausschusses ein Handlungskonzept wider, das ein stereotypes Verständnis des Umgangsrechts, basierend auf formaler rechtlicher Gleichheit, aufweise. Dieses Konzept bevorzuge auf der einen Seite F. R. C. trotz seines misshandelnden Verhaltens und spiele die Situation der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter als Betroffene häuslicher Gewalt herunter, was sie in eine verletzliche Lage bringe. In diesem Zusammenhang erinnert der Ausschuss daran, dass bei einer Entscheidung über das Sorge- oder Umgangsrecht das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen sei. Dabei sei ein Kontext häuslicher Gewalt mit einzubeziehen.
Nach Auffassung des CEDAW-Ausschusses hat das Gericht unbegleiteten Umgang angeordnet, ohne die erforderlichen Schutzmaßnahmen und das „System häuslicher Gewalt“ zu berücksichtigen, das das Familienleben jahrelang geprägt habe und das auch nach der Trennung noch präsent gewesen sei.
Empfehlungen des Fachausschusses an den Staat
In dem individuellen Fall empfiehlt der Ausschuss dem spanischen Staat
- der Beschwerdeführerin eine ihren Verletzungen angemessene Entschädigung zu zahlen,
- eine unabhängige Untersuchung durchzuführen, um herauszufinden, inwieweit Unzulänglichkeiten der staatlichen Strukturen oder der Praxis zu dem mangelnden Schutz der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter geführt haben.
Allgemein empfiehlt der Ausschuss
- geeignete und effektive Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass der gesamte Verlauf häuslicher Gewalt bei der Entscheidung über das Sorge- und Umgangsrecht berücksichtigt wird,
- die Umsetzung der rechtlichen Regelungen zu stärken, um sicherzustellen, dass die zuständigen Behörden und Gerichte adäquat mit der erforderlichen Sorgfalt auf häusliche Gewalt reagieren,
- Training für Richter*innen und Behörden anzubieten, das Wissen zu häuslicher Gewalt, Geschlechterstereotypen und zu der Konvention enthält.
4. Entscheidung im Volltext
CEDAW_18.07.2014_Gonzalez_Carreno_v._Espana_SPA.pdf (PDF, 389 KB, nicht barrierefrei)