Beschwerde-Nr. 57325/00
EGMR, Urteil vom 13.11.2007, Beschwerde-Nr. 57325/00, D. H. und andere gegen die Tschechische Republik
1. Sachverhalt
18 Romakinder aus Ostrava (Tschechische Republik) wurden zwischen 1996 und 1999 tschechischen Sonderschulen mit Schwerpunkt geistige Defizite und Lernschwierigkeiten zugewiesen. Die Schulen verfolgten einen reduzierten Lehrplan.
Die Zuweisungen erfolgten folgendermaßen: Die Schulen unterzogen das betreffende Kind – mit schriftlichem Einverständnis der Eltern – einem Test zur Feststellung der intellektuellen Fähigkeiten in einem externen psychologischen Zentrum. Anhand der Ergebnisse entschied die Schulleitung über die Zuweisung zu einer Sonderschule. Die Entscheidung wurde den Eltern mit Rechtsbehelfsbelehrung zugestellt.
Die Eltern der 18 Kinder hatten alle ihr Einverständnis auf einem vorformulierten Formular abgegeben; einige hatten besonders um eine Zuweisung zur Sonderschule gebeten. Kein Elternteil legte gegen die Zuweisung Rechtsbehelfe innerhalb der vorgesehenen Frist ein. 1999 baten dann aber 14 Familien die Schulbehörde, die Unterbringung ihrer Kinder in Sonderschulen außerhalb des Rechtsmittelverfahrens zu überprüfen. Sie zweifelten die Testmethoden an und behaupteten, die Eltern seien nicht ausreichend über die Folgen der Zustimmung zum Schulwechsel informiert worden. Die Schulbehörde lehnte die außerordentliche Überprüfung ab.
12 Familien erhoben daraufhin Beschwerde zum Verfassungsgericht. Sieben der Familien wandten sich allgemein gegen faktische Diskriminierung im Sonderschulsystem, fünf gegen die Entscheidungen, sie Sonderschulen zuzuweisen. Sie brachten vor, dass die Zuweisung auf einer systematischen Praxis beruhe. Faktisch existierten zwei getrennte Schulsysteme: Sonderschulen für Roma und gewöhnliche Grundschulen für die Bevölkerungsmehrheit. Umfragen bei den Leitungen aller Sonder- und Grundschulen in Ostrava hätten ergeben, dass 56% aller Schülerinnen und Schüler der Sonderschulen Roma seien. Auf allgemeinen Grundschulen seien nur 2% der Schülerinnen und Schüler Roma. Insgesamt besuchten 50% aller Romakinder Sonderschulen; bei allen anderen Kindern seien es unter 2%. Roma stellten etwa 5% der Gesamtzahl aller Schülerinnen und Schülern.
Das Verfassungsgericht wies die Beschwerde 1999 ab. Die Behörden hätten die Gesetze bei der Zuweisung zur Sonderschule verfassungsgemäß angewendet. Eine rassistische Diskriminierung von Roma liege mangels konkreter Beweise nicht vor. Ferner sei es nicht die Aufgaben des Gerichts, den gesellschaftlichen Hintergrund von Roma-Kindern zu beurteilen.
2. Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
2.1 Kammerurteil (Rz. 125 ff.)
Die 18 Kinder, unterstützt erst durch das European Roma Rights Centre (ERRC), dann durch die Open Society Initiative (OSI), erhoben im Jahr 2000 Beschwerde vor dem EGMR. Die Beschwerdeführenden beriefen sich im Wesentlichen auf Artikel 14 (Diskriminierungsverbot) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Verbindung mit Artikel 2 (Recht auf Bildung) des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK.
Mit Urteil vom 7. Februar 2006 wies die Kammer die Beschwerden ab, nachdem sie sie hinsichtlich anderer Vorschriften der EMRK bereits teilweise für unzulässig erklärt hatte. Zur Begründung führte sie aus, dass das Sonderschulsystem nicht nur für Roma eingeführt worden sei. Es diene dem legitimen Zweck, das Bildungssystem an die Bedürfnisse und Behinderungen der Kinder anzupassen. Die Beschwerdeführenden hätten das Sachverständigen-Gutachten nicht widerlegt, wonach die Kinder nicht in der Lage seien, dem Regellehrplan zu folgen. Die Eltern hätten dem Schulwechsel zugestimmt oder jedenfalls nichts dagegen unternommen. Die Statistiken seien zwar beunruhigend; die Kammer konnte aber daraus nicht entnehmen, dass die Kinder aus rassistischen Vorurteilen von den Behörden auf die Sonderschulen geschickt worden seien.
2.2. Vorlage an die Große Kammer
Im Mai 2006 beantragten alle 18 Beschwerdeführenden die Verweisung des Falles an die Große Kammer (Artikel 43 Absatz 1 EMRK). Im Juli 2006 nahm die Große Kammer den Antrag an (Artikel 43 Absatz 2 EMRK).
2.3 Argumente der Parteien vor der Großen Kammer
Die Beschwerdeführenden rügten vor der Großen Kammer im Wesentlichen vier Aspekte des Kammerurteils:
• die restriktive Definition indirekter Diskriminierung,
• die fehlende Beweislastumkehr auf Rechtfertigungsebene,
• die Weigerung, Statistiken als entscheidendes Beweismittel in Fällen mittelbarer Diskriminierung anzuerkennen,
• die fehlende vernünftige, objektive Rechtfertigung der Ungleichbehandlung.
Zum ersten Punkt führen die Beschwerdeführenden aus, die Kammer habe entgegen internationaler und europäischer Standards und der vorherigen Rechtsprechung des EGMR verlangt, dass sie einen Diskriminierungsvorsatz der Behörden nachwiesen ("Thlimmenos gegen Griechenland", Große Kammer, Beschwerde-Nr. 34369/97; "Hoogendijk gegen die Niederlande", Beschwerde-Nr. 58641/00; "Nachova und andere gegen Bulgarien", Große Kammer, Beschwerde-Nrn. 43577/98 und 43579/98). Dies sei aber bei einer mittelbaren Diskriminierung nicht erforderlich.
Ferner hätte der Gerichtshof eine Beweislastumkehr annehmen müssen ("Nachova und andere gegen Bulgarien"; „"Zarb Adami gegen Malta", Beschwerde-Nr. 17209/02). Die Beschwerdeführenden hätten bewiesen, dass die Behörde sie (ohne vernünftigen, objektiven Grund) schlechter als Nicht-Roma behandelt habe. Somit hätte der EGMR die Beweislast für die Rechtfertigung nach internationalen und europäischen Standards der Regierung auferlegen müssen.
Ferner forderten die Beschwerdeführenden den Gerichtshof zu einer Klärung seiner Beweisstandards bei indirekter Diskriminierung auf. Unter Berufung auf internationale und europäische Standards sowie auf EGRM-Entscheidungen zeigen sie auf, dass internationale Spruchkörper inklusive des EGMR in Diskriminierungsfällen häufig Statistiken als Beweismittel heranziehen ("East African Asians gegen das Vereinigte Königreich", Europaratskommission, Beschwerde-Nrn. 4403/70 bis 4530/70; "Zarb Adami gegen Malta"; "Hoogendijk gegen die Niederlande"). Die internationalen Berichte und die vorgebrachten Statistiken zeigten, dass es im Vergleich zu anderen Schulkindern 27-mal wahrscheinlicher für ein Roma-Kind sei, einer Sonderschule zugewiesen zu werden.
Schließlich bringen sie vor, dass kein objektiver, vernünftiger Grund für die Differenzierung vorgelegen habe. Hier ziehen sie die Angemessenheit der Einstufungstests und die Wirksamkeit des elterlichen Einverständnisses in Zweifel. Die Kammer habe der Regierung einen unbegrenzten Beurteilungsspielraum eingeräumt. Segregation im Bildungssystem rechtfertige einen solchen Spielraum aber nicht.
Die Auswertung der Tests habe allein in den Händen des psychologischen Dienstes gelegen. Die Tests ließen viel Raum für rassistische Vorurteile und mangelnde kulturelle Sensibilität; sie hätten wissenschaftliche Mängel und seien unzuverlässig. Die Dokumente zeigten, dass einige der Beschwerdeführenden nicht wegen intellektuellen Förderbedarfs, sondern wegen Schulschwänzens, Fehlverhaltens und selbst Fehlverhaltens der Eltern, Sonderschulen zugewiesen worden seien. Die Regierung habe in Staatenberichten selbst den diskriminierenden Effekt ihrer Tests eingestanden.
Letztlich sei das "Einverständnis" der Eltern rechtlich wertlos. Mangels angemessener Informationen über Wahlmöglichkeiten, mögliche Risiken und Folgen ihrer Zustimmung hätten die Behörden die Unterschrift nicht als Verzicht verstehen dürfen, zumal man den Eltern einen vorausgefüllten Bogen zusammen mit den Testergebnissen vorgelegt habe, die sie nicht anzuzweifeln wagten. Die Regierung dürfe sich auch nicht auf das "Einverständnis" berufen, da sie vorrangig das Kindeswohl beachten müsse. Die Rückkehr an Regelschulen sei den Beschwerdeführenden aufgrund des schwächeren Lehrplans unmöglich gewesen. Die Beschwerdeführenden verweisen darauf, dass Roma vor dem Hintergrund ihrer europäischen Geschichte immer noch diskriminiert würden. Im Bildungsbereich bestehe keine Chancengleichheit; Roma seien noch immer überall von Segregation betroffen. Dies hätte bei der Bewertung des Einverständnisses berücksichtigt werden müssen.
Zuletzt legen die Beschwerdeführenden im Einzelfall dar, dass die Segregation bereits jetzt zu Perspektivlosigkeit der Beschwerdeführenden geführt habe. Die Älteren seien weitgehend arbeitslos und hätten keine höhere Schulbildung oder Berufsausbildung; bei den Jüngeren sei ein ähnlicher Bildungsverlauf absehbar (Rz. 128-145).
Zur Zulässigkeit führen die Beschwerdeführenden ergänzend aus, dass es keine angemessenen effektiven Rechtsbehelfe gegeben habe. Deshalb könne sich die Regierung nicht darauf berufen, dass nur 12 Familien Verfassungsbeschwerden eingelegt und nur fünf davon die Zuweisungsentscheidung selbst beanstandet hätten. Schon aus den fünf Entscheidungen des Verfassungsgerichts sei ersichtlich gewesen, dass eine Anfechtung erfolglos sein würde. Der Widerspruch bei der Schulverwaltung sei deshalb verfristet gewesen, da die Eltern die Informationen erst zu spät erhalten hätten. Nicht einmal das Verfassungsgericht habe ein Widerspruchsverfahren gefordert. Zudem müsse bei rassistisch begründeter Verwaltungspraxis ohnehin kein Rechtsmittelverfahren durchlaufen werden (Rz. 114).
Die tschechische Regierung, an die sich die Beschwerde richtet, hält die Beschwerde für unzulässig und unbegründet.
Die Beschwerde sei unzulässig, da die Beschwerdeführenden die Rechtsbehelfe nicht ausgeschöpft hätten (Rz. 113). Die vorgesehenen Rechtsmittel gegen die Zuweisung habe niemand genutzt. Nicht alle Beschwerdeführenden hätten Verfassungsbeschwerde eingelegt; insgesamt hätten nur fünf Beschwerdeführende vor dem Verfassungsgericht überhaupt die Zuweisungsentscheidung angegriffen. Ferner hätten sich die Eltern an die Schulaufsichtsbehörden wenden oder Zivilklage erheben können.
Die Beschwerden seien unbegründet. Aufgrund der vielen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme müsse den Staaten ein weitreichender Beurteilungsspielraum gewährt werden. Es habe keine – direkte oder indirekte – Diskriminierung gegeben. Kinder seien allein aufgrund der Testergebnisse, also aufgrund intellektueller Mängel, und nur mit Zustimmung der Eltern Sonderschulen zugewiesen worden. Die vorgelegten Statistiken seien inoffiziell und mangelhaft.
Jedenfalls habe die Regierung einen legitimen Zweck verfolgt, nämlich die Anpassung des Schulsystems an die Fähigkeiten von Kindern mit besonderem Förderbedarf. Die Behörden versuchten durch die Sonderschulen besonderen Bedürfnissen von Roma im Bildungssystem besser gerecht zu werden.
Für die Zuweisung zu Sonderschulen gebe es auch eine objektive und vernünftige Rechtfertigung. Ethnische Aspekte hätten keine Rolle gespielt, da die Zuweisung nur nach pädagogischen und psychologischen Tests mit den einzelnen Kindern stattfinde. Kein Elternteil habe die Testergebnisse angegriffen. Der entscheidende Faktor sei das elterliche Einverständnis gewesen. Die Eltern seien aufgeklärt worden und hätten zudem später Widerspruch gegen die Zuweisung einlegen oder Aufklärung von den Behörden verlangen können. Die vorrangige Verantwortlichkeit für die Erziehung liege bei den Eltern. Der Staat könne und dürfe den Eltern diese Verantwortung nicht abnehmen. Die Eltern der Beschwerdeführenden hätten sich passiv gezeigt und nichts getan, um die behauptete Diskriminierung zu beseitigen.
Die Verantwortung für die schlechten Bildungsaussichten liege allein bei den Betroffenen, die ihre Schul- und Berufsausbildung aus eigener Entscheidung abgebrochen hätten. Mangels klarer Definition in der EMRK und in anderen europäischen Übereinkommen könnten dem Staat keine zusätzlichen Pflichten auferlegt werden, aktive Förderungsmaßnahmen für Minderheiten zu ergreifen. Aus Artikel 14 EMRK könne keine allgemeine Pflicht des Staates abgeleitet werden, alle Behinderungen in allen Gesellschaftsteilen durch aktive Maßnahmen auszugleichen. Jedenfalls habe die tschechische Republik mit ihren Sonderschulen innerhalb ihres Beurteilungsspielraums alle geeigneten Maßnahmen ergriffen (Rz. 146-160).
Drittinterventionen (Rz. 161 ff.)
Der EGMR erhielt Stellungnahmen der folgenden neun Nichtregierungsorganisationen: Interights und Human Rights Watch legten unter Berufung auf verschiedene Urteile des EGMR dar, dass der Gerichtshof seine Rechtsprechung im Bereich indirekter Diskriminierung an internationale Standards anpassen müsse. Hierfür sei es ausreichend, den Beweis eines diskriminierenden Effekts zu erbringen; dagegen sei Diskriminierungsvorsatz nicht erforderlich. Ferner sei es international anerkannt, dass die Beweislast auf den Staat übergehen müsse, sobald die Beschwerdeführenden den Beweis erbracht hätten, dass deutlich mehr Angehörige einer bestimmten Menschengruppe benachteiligt würden. Der EGMR müsse seine restriktive Rechtsprechung zu Statistiken im Diskriminierungsbereich aufgeben. Der Europarat verwende bereits Statistiken als Schlüsselbeweismittel für indirekte Diskriminierung. Glaubhafte Statistiken seien häufig der einzig mögliche Beweis. Hilfsweise müsse der EGMR den allgemeinen gesellschaftlichen Zusammenhang heranziehen (Rz. 161-164).
Minority Rights Group, European Network Against Racism und European Roma Information Office betonten die rassistischen Hintergründe der Zuweisung von Roma an Sonderschulen. Dafür beriefen sie sich auf Berichte von Menschenrechtsorganen Europas und der Vereinten Nationen. Die Zuweisungen beruhten häufig auf kulturellen und sprachlichen Unterschieden, die das Testverfahren nicht berücksichtige. Es obliege deshalb dem Staat, seine Testverfahren so zu ändern, dass sie keine rassistischen Bias mehr aufweisen (Rz. 165 ff.).
International Step by Step Association, Roma Education Fund und European Early Childhood Research Association betonten, dass die verwendeten Testmethoden für Kinder aus Romafamilien ungeeignet und verfälschend seien. Sie wiesen auf die Überrepräsentation von Kindern aus gesellschaftlichen Minderheiten in mittel-osteuropäischen Sonderschulen. Häufig beruhe die Zuweisung auf sachfremden Gründen, unter anderem auf rassistischen Vorurteilen. Schließlich betonten sie die Schädlichkeit von Segregation für die Gesellschaft (Rz. 168 ff.).
Die International Federation for Human Rights (FIDH) rügte die Bedeutung, die die Kammer dem elterlichen Einverständnis beigemessen hatte. Ein Grundrechtsverzicht müsse bei (rassistischer) Diskriminierung ausgeschlossen werden. Jedenfalls habe das Einverständnis den Staat unter den vorliegenden Umständen nicht von seinen Pflichten entbunden (Rz. 172-174).
3. Entscheidung des EGMR
Der Gerichtshof stellt eine Verletzung von Artikel 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit Artikel 2 des 1. Zusatzprotokolls (Recht auf Bildung) fest, da die tschechischen Behörden trotz aller Bemühungen die besonderen Bedürfnisse der benachteiligten Roma im Bildungssystem nicht ausreichend berücksichtigt hätten. Durch die diskriminierende Praxis der Zuweisung an Sonderschulen seien die Rechte aller Beschwerdeführenden verletzt worden, sodass keine individuelle Prüfung erforderlich sei.
Die Ungleichbehandlung sei nicht gerechtfertigt. Durch die schlechtere Ausbildung an Sonderschulen und die Trennung von der übrigen Bevölkerung würden die Schwierigkeiten der Beschwerdeführenden als Angehörige einer benachteiligten Minderheit noch gesteigert und ihre weitere persönliche Entwicklung und Integration behindert (Rz. 205 ff.)
3.1 Zulässigkeit: Rechtswegerschöpfung (Rz. 110-122)
Der Gerichtshof erklärt die Beschwerde für zulässig. Bezogen auf das Urteil des tschechischen Verfassungsgerichts hielt es der EGMR für übertrieben formalistisch, die Erschöpfung eines Rechtsbehelfs zu verlangen, den nicht einmal das oberste Gericht des Staates für notwendig hielt. Auch dass nicht alle Beschwerdeführenden Verfassungsbeschwerde erhoben haben, hält der EGMR für unschädlich, da es an einer vernünftigen Erfolgsaussicht fehlte. In fünf Fällen habe das tschechische Verfassungsgericht Gelegenheit gehabt, rechtlich Stellung zu der Praxis der Schulbehörden zu beziehen. Dabei habe das Gericht nur die Rechtsanwendung ohne mögliche diskriminierende Auswirkungen geprüft. Es sei nicht ersichtlich, dass seine Entscheidung in den anderen 13 Fällen anders ausgefallen wäre.
3.2 Verletzung von Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 2 Zusatzprotokoll 1 EMRK
Allgemeine Grundsätze für Diskriminierungsfälle (Rz. 175-181)
Anerkennung indirekter und faktischer Diskriminierung
Der EGMR bestätigt unter Berufung auf frühere Urteile, dass auch eine indirekte oder faktische Diskriminierung Artikel 14 EMRK verletzen kann. Er führt unter Verweis auf ("Hoogendijk gegen die Niederlande" und "Zarb Adami gegen Malta") aus,
"dass Diskriminierung bedeutet, Personen in vergleichbarer Lage ohne objektive und vernünftige Rechtfertigung unterschiedlich zu behandeln (…). Art. 14 verbietet es den Mitgliedstaaten jedoch nicht, Gruppen unterschiedlich zu behandeln, um 'faktische Ungleichheiten' zwischen ihnen zu beseitigen; unter bestimmten Umständen kann das Fehlen des Versuchs, Ungleichheit durch eine unterschiedliche Behandlung zu korrigieren, sogar selbst zu einer Verletzung dieses Artikels führen (…). Der Gerichtshof hat auch anerkannt, dass eine allgemeine Politik oder Maßnahme, die sich auf eine bestimmte Gruppe überdurchschnittlich nachteilig auswirkt, für diskriminierend erachtet werden kann, auch wenn sie nicht speziell gegen diese Gruppe gerichtet ist." (Rz. 75).
Rassistische Diskriminierung
Der EGMR macht deutlich, dass Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft eine Form rassistischer Diskriminierung ist. Aufgrund ihrer gefährlichen Folgen müssten die Behörden besonders wachsam sein und darauf energisch und mit allen möglichen Mitteln reagieren. Der Gerichtshof betont, dass eine Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung, die ausschließlich oder entscheidend auf der ethnischen Herkunft einer Person beruht, ausgeschlossen ist ("Timishev gegen Russland", Beschwerde-Nrn. 55762/00 und 55974/00; Rz. 176).
Beweislastverteilung und Beweismittel in Diskriminierungsfällen (Rz. 177 ff.)
Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführenden grundsätzlich die Beweislast für die Ungleichbehandlung tragen ("Chassagnou und andere gegen Frankreich", Große Kammer, Beschwerde-Nrn. 25088/94, 28331/95, 28443/95; "Timishev gegen Russland"). Gelingt der Beweis, sei es Sache der Regierung nachzuweisen, dass die Ungleichbehandlung gerechtfertigt war ("Nachova gegen Bulgarien"). Der EGMR führt aus, dass es keine genauen Vorgaben gebe, wann die Beweislast sich umkehre. Der Gerichtshof nehme immer eine freie Beweiswürdigung vor. Er erkenne sowohl hinreichend starke, klare und übereinstimmende Folgerungen als auch nicht widerlegte tatsächliche Vermutungen an. Dabei gelte nicht notwendigerweise der Grundsatz, dass diejenige Partei, die sich auf einen Umstand beruft, diesen auch beweisen muss. Das Maß an Überzeugung und die Verteilung der Beweislast hänge vielmehr von den Besonderheiten des Falls, der Art der Behauptung und dem betroffenen EMRK-Recht ab.
Der Gerichtshof erklärt, dass er an seinem restriktiven Umgang mit Statistiken als Beweis für Diskriminierung nicht festhält (Rz. 180 f.). Bereits in "Hoogendijk" und "Zarb Adami" habe sich der EGMR zum Nachweis einer Ungleichbehandlung intensiv auf Statistiken gestützt. Er erkennt an, dass ohne Statistiken der Beweis einer indirekten Diskriminierung in der Praxis kaum möglich sei.
Abschließend (Rz. 181 f.) weist der EGMR darauf hin, dass die Behörden in Anbetracht der verletzlichen Situation von Roma und "Gypsies" deren Bedürfnisse und Lebensstil bei der Rechtssetzung und -anwendung besonders berücksichtigen müssen ("Chapman gegen das Vereinigte Königreich", Große Kammer, Beschwerde-Nr. 27238/95; "Connors gegen das Vereinigte Königreich", Beschwerde-Nr. 66746/01).
Anwendung dieser Grundsätze (Rz. 182 ff.-208)
Der EGMR weist unter Bezug auf die Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates darauf hin, dass besonderer Schutz der Roma auch im Bildungsbereich und ganz besonders bei Minderjährigen gewährleistet werden müsse. Der Gerichtshof betont, dass die Beschwerdeführenden bei mittelbarer Diskriminierung nur beweisen müssten, dass sie schlechter als Kinder behandelt worden sind, die keine Roma sind ("Hoogendijk"). Unter Bezug auf Richtlinien 97/80/EC und 2000/43/EU der Europäischen Union sowie die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) stellt er klar, dass indirekte Diskriminierung keinen Diskriminierungsvorsatz voraussetze.
Bestehen einer tatsächlichen Vermutung für eine indirekte Ungleichbehandlung (Rz. 185-194)
Der EGMR beanstandet den Wortlaut der Gesetze über die Zuweisung zu Sonderschulen nicht. Es ginge allein darum, ob die Anwendung der Gesetze zur ungerechtfertigten, unverhältnismäßigen Zuweisung von Roma zu Sonderschulen führe und ob diese Kinder dadurch einen erheblichen Nachteil erlitten.
Der EGMR stellt fest, dass bei mittelbarer Diskriminierung geringere Beweisanforderungen gelten müssten, um einen effektiven Schutz zu gewährleisten ("Nachova gegen Bulgarien"). Der Gerichtshof zählt unter Verweis auf die Drittinterventionen auf, dass neben ihm selbst auch die Richtlinien der Europäischen Union und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die Gerichte zahlreicher Staaten sowie die Spruchkörper der Vereinten Nationen regelmäßig Statistiken als Beweismittel für Diskriminierungen zuließen. Daraus schließt er Folgendes: bei der Einschätzung der Auswirkungen einer Maßnahme oder Praxis auf eine Person oder eine Gruppe genügen verlässliche und aussagekräftige Statistiken für einen Anscheinsbeweis. Dieser führt zur Beweislastumkehr: Der Staat muss nachweisen, dass die unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt ist.
Nach Auffassung des Gerichtshofs liegt eine indirekte Ungleichbehandlung vor. Er erkennt an, dass die vorgelegten Statistiken nicht absolut verlässlich sind. Allerdings habe die tschechische Regierung keine anderen Zahlen vorgebracht und das allgemeine Problem in seinen Staatenberichten anerkannt. Deshalb nimmt der EGMR an, dass die Statistiken den vorherrschenden Trend widergaben. Auch internationale Gremien wie ECRI, der Beratende Ausschuss zur Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten, der UN-Anti-Rassismus-Fachausschuss und die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC; heute Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, FRA) hätten die unverhältnismäßige Zahl von Roma an Sonderschulen bestätigt. Damit sei bewiesen, dass die Vorschriften in der Praxis wesentlich größere Auswirkungen auf Roma als auf andere Kinder hätten und zu unverhältnismäßig häufigen Unterbringungen von Roma in Sonderschulen führten. Hieraus leitet der EGMR die starke Vermutung einer mittelbaren Ungleichbehandlung ab. Dies sei für eine Beweislastumkehr ausreichend.
Bestehen einer objektiven, vernünftigen Rechtfertigung (Rz. 196-205)
Der Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass die tschechische Regierung den erforderlichen Beweis für eine Rechtfertigung nicht erbracht habe. Trotz des weiten Beurteilungsspielraums sei eine objektive, vernünftige Rechtfertigung der Ungleichbehandlung nicht ersichtlich. Der EGMR weist darauf hin, dass der Begriff der objektiven und vernünftigen Rechtfertigung so restriktiv wie möglich ausgelegt werden müsse, wenn die Ungleichbehandlung auf "Rasse" (1) , Hautfarbe oder ethnischer Herkunft beruht.
Legitimer Zweck
Der Gerichtshof erkennt an, dass die Regierung eine Lösung für Schulkinder mit besonderen Bedürfnissen finden wolle. Insbesondere habe Tschechien sich bemüht, die benachteiligte Gruppe der Roma sozial und wirtschaftlich zu integrieren. Dem habe es durch die getrennten Schulsysteme und das besondere Eingehen auf kulturelle Besonderheiten im Sonderschulsystem Rechnung tragen wollen (Rz. 205). Wie andere Einrichtungen des Europarates zeigt er sich jedoch beunruhigt über den reduzierten Lehrplan und die Segregation.
Keine Rechtfertigung durch Einstufungstests (Rz. 199-201)
Der EGMR äußert auch Bedenken über die Einstufungstests, die keine objektive und vernünftige Rechtfertigung darstellten. Zum einen hätten alle Kinder, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, die gleichen Tests erhalten. Die Tests seien aber an der Mehrheitsgesellschaft ausgerichtet und berücksichtigen die besonderen Belange der Minderheiten nicht. Der EGMR bemerkt, dass die Behörden selbst, aber auch ECRI, der Beratende Ausschuss zur Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten und der Menschenrechtskommissar des Europarates dargelegt hätten, dass zuweilen Kinder mit (über)durchschnittlicher Intelligenz nur aufgrund sprachlicher und kultureller Unterschiede Sonderschulen zugewiesen würden. Einige Drittinterventienten hätten auf rassistische Vorurteile bei der Zuweisungsentscheidung verwiesen. Abschließend stellt der EGMR fest, dass zumindest die Gefahr bestehe, dass die Tests nicht zu objektiven Ergebnissen führten. Ferner sei es möglich, dass auch bei der Auswertung der Ergebnisse die Besonderheiten der Roma nicht berücksichtigt worden seien.
Keine Rechtfertigung durch elterliches Einverständnis (Rz. 202-204)
Der Gerichtshof sieht auch die elterliche Zustimmung nicht als Rechtfertigung an. Ein Menschenrechtsverzicht sei nur zulässig, wenn er unmissverständlich, ohne Zwang und in voller Kenntnis der Tatsachen erfolgt ("Pfeifer und Planckl gegen Österreich", Beschwerde-Nr.10802/84). Der EGMR ist nicht davon überzeugt, dass diese Voraussetzungen vorliegen. Die Eltern der Beschwerdeführenden seien Mitglieder einer benachteiligten Gemeinschaft mit geringem Bildungsstand. Daher zweifelt der EGMR daran, dass diese alle Aspekte der Situation und die Folgen ihrer Zustimmung absehen konnten. Es habe sich um vorausgefüllte Bogen gehandelt, die keine Informationen über mögliche Alternativen und die unterschiedlichen Lehrpläne enthalten hätten. Die Behörden hätten keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass die Eltern alle Informationen erhielten. Damit hätten sich die Eltern in einem Dilemma befunden: Sie mussten sich entscheiden zwischen der Regelschule, die auf den besonderen Bedarf der Roma nicht eingestellt gewesen sei und in der den Kindern Isolation und Ausgrenzung drohte, und den Sonderschulen, die mehrheitlich Roma besuchten. Angesichts der grundlegenden Bedeutung des Verbots rassischer Diskriminierung hält der EGMR einen Verzicht auf das Recht, nicht aus rassistischen Gründen diskriminiert zu werden, allgemein für unzulässig ("Nachova gegen Bulgarien"; "Hermi gegen Italien", Große Kammer, Beschwerde-Nr. 18114/02).
Letztlich erkennt der EGMR an, dass die Wahl zwischen verschiedenen Schulsystemen, zwischen Segregation und Förderung, eine große Herausforderung darstellt, mit der viele Staaten Schwierigkeiten hätten. Er stellt aber fest, dass es an Schutzmaßnahmen gefehlt habe, um sicherzustellen, dass der Staat seinen Beurteilungsspielraum nicht überschreite ("Connors"; "Buckley gegen das Vereinigte Königreich", Beschwerde-Nr. 20348/92).
3.3 Entschädigung für immaterielle Schäden
Der EGMR sprach jedem der 18 Kinder 4.000 Euro Schmerzensgeld für die erlittenen Demütigungen und Frustration zu (Rz. 217).
3.4 Sondervoten
Dem Urteil sind vier abweichende Sondervoten von Richtern beigefügt, in denen eine Verletzung der EMRK verneint und der Großen Kammer vorgeworfen wird, politisch geleitet entschieden zu haben.
Der tschechische Richter Jungwiert, unterstützt von Richter Zupančič, zweifelt die faktische Grundlage des Urteils an und legt den historischen und demografischen Hintergrund der Roma in Tschechien vor. Es sei unlogisch, gerade die Maßnahmen Tschechiens anzugreifen. Tschechien sei einer der wenigen Staaten, in denen nahezu alle Romakinder zur Schule gingen, während anderswo 50% von ihnen keine Schulbildung erhielten. Die Mehrheitsmeinung der Richterinnen und Richter sei vermessen und unrealistisch, da sie eine sofortige, unfehlbare Lösung für ein Jahrzehnte altes Problem fordere. Richter Zupančič ergänzt, dass es absurd sei, eine Diskriminierung festzustellen. Die Argumentation laufe darauf hinaus, dass Tschechien nicht verurteilt worden wäre, wenn es die besonderen Schwierigkeiten von Romakindern im Bildungssystem einfach nicht beachtet hätte.
Richter Borrego hält das Kammerurteil für richtig. Er kritisiert das Urteil der Großen Kammer in zwei Punkten: in der Herangehensweise und in der Beurteilung des Einverständnisses der Eltern. Zum ersten Punkt führt er aus, dass der EGMR letztlich nicht über den Fall selbst geurteilt habe, sondern über die (angebliche) Diskriminierung von Roma in Europa im Allgemeinen. Die eigentlichen Beschwerdeführenden hätten keine Rolle gespielt. Zum zweiten Punkt bemerkt er, dass sich der EGMR paternalistisch über die Eltern hinwegsetze und in seinen Ausführungen ein Gefühl der Überlegenheit vermittele und damit die Würde der Eltern verletze. Er spreche den Eltern selbst bei entsprechender Aufklärung die Fähigkeit ab, über die Schulbildung ihrer Kinder zu entscheiden, und bekämpfe damit Rassismus durch Rassismus.
Richter Šikuta bringt vor, dass die Entscheidung, ein Sonderschulsystem für Kinder mit Lernschwierigkeiten aufzubauen, vom staatlichen Beurteilungsspielraum umfasst und die Ungleichbehandlung gerechtfertigt gewesen sei. Das Schulsystem garantiere allen Kindern immerhin eine Schulbildung und sei daher als Verbesserung zu werten. Der Richter weist auf die Zustimmung der Eltern und Behörden sowie auf die professionellen Tests hin, durch die die Kinder nach nicht-rassistischen Auswahlkriterien eingestuft worden seien. Deshalb liege allenfalls eine (gerechtfertigte) Ungleichbehandlung zwischen Kindern auf Regel- und Kindern auf Sonderschulen vor. Alle Sonderschulkinder, Roma oder nicht, seien gleich behandelt worden.
4. Bedeutung für die Rechtspraxis
Die Entscheidung ist das Grundsatzurteil des EGMR zu rassistischer Diskriminierung in Bildungssystemen. Aufbauend auf "Nachova gegen Bulgarien" entwickelt der EGMR hier umfassende Standards zum Vorliegen indirekter Diskriminierung sowie zum Umgang mit Beweisen bei Vorwürfen indirekter Diskriminierung. Er erkennt verlässliche Statistiken als (möglicherweise auch alleiniges) Beweismittel an, betont aber, dass der Beweis mittelbarer Diskriminierung weiterhin auch anders erbracht werden kann. Bedeutsam ist auch die Beweislastumkehr, sobald die beschwerdeführende Person nachgewiesen hat, dass sie schlechter als die Angehörigen der Vergleichsgruppe behandelt worden ist.
Als gelungenes Beispiel für strategische Prozessführung mit engmaschiger Begleitung durch Nichtregierungsorganisationen und neun Drittinterventionen ist dieser Fall für Rechtsanwendende in Diskriminierungsfällen von besonderer Bedeutung, zumal hier die Beweisanforderungen – unabhängig vom gerügten Recht – von den üblichen Standards abweichen. Auch wenn sich das Urteil gegen Tschechien richtet, sind die Feststellungen dennoch für Deutschland verbindlich. Zwar binden EGMR-Urteile unmittelbar nur die beteiligten Parteien, also Beschwerdeführerin beziehungsweise Beschwerdeführer und Vertragsstaat (Artikel 46 Absatz 1 EMRK). Die Wirkung geht aber mittelbar darüber hinaus, indem zur innerstaatlichen Rechts- und Entscheidungsfindung im Lichte der EMRK deren Inhalt und Entwicklungsstand in Betracht zu ziehen sind. Die EMRK wird als "living instrument" verstanden, das vom EGMR ausgelegt und fortentwickelt wird. Als der insoweit höchsten Autorität kommt dem EGMR die Befugnis zur Konkretisierung der Konventionsnormen zu, die innerstaatlich berücksichtigt werden muss – unabhängig davon, gegen welchen Staat die Entscheidung erging (ausdrücklich BVerfGE 111, 307, 319, 328; zuvor bereits BVerfGE 74, 358, 370; 82, 106, 120). Die Argumente des EGMR können also bei Verhandlungen, vor deutschen Behörden sowie deutschen und internationalen Spruchkörpern vorgebracht werden.
In "D. H. gegen die Tschechische Republik" verfolgte der EGMR einen neuen Ansatz in Bezug auf Artikel 14 EMRK. Bemerkenswert ist, wie umfassend der EGMR auf internationale und europäische Standards – Normen wie Rechtsprechung – sowie Berichte und sonstige Dokumente zurückgreift, um seine Rechtsprechung zu indirekter Diskriminierung und deren Beweisanforderungen zu schärfen. In seinem umfangreichen Normenteil (Rz. 54-107; siehe unten) führt er zahlreiche Quellen des menschenrechtlichen Anti-Diskriminierungsrechts auf. Zudem untersucht der Gerichtshof die tschechische Praxis ausführlich und greift zur Bewertung der Statistiken auf Staatenberichte, Berichte von unabhängigen Mandatstragenden, Ausschüssen und Agenturen, wie der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) und der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), sowie Nichtregierungsorganisationen zurück. Dadurch trägt dieses Urteil maßgeblich zur Vereinheitlichung der Diskriminierungsrechtsprechung bei. All diese Rechtsquellen können zur Vorbereitung von Schriftsätzen oder Urteilen verwendet werden.
Liste der im Urteil aufgeführten Quellen zur Vertiefung:
Europarat
• Empfehlung R(2000)4 des Ministerrats zur Bildung von Roma und "Gypsies";
• Empfehlung Nr. 1203 der Parlamentarischen Versammlung zu "Gypsies" in Europa und Nr. 1557 zur Rechtslage von Roma in Europa;
• Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) mit ihren allgemeinen Empfehlungen Nr. 3 und 7 sowie den drei Berichten zur Lage in Tschechien von 1997, 2000 und 2004;
• Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten mit den tschechischen Staatenberichten und den Einschätzungen des Beratenden Ausschusses;
• Abschlussbericht des Hochkommissars für Menschenrechte über die Lage von Roma, Sinti und Travellern in Europa;
Europäische Union
• ex-Artikel 13 des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft;
• Artikel 2 Absatz 2 und 4 Absatz 1 der Richtlinie 97/80/EC des Rates;
• Richtlinien 2000/43/EC und 2000/78/EC und ihre Erwägungsgründe;
• Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs mit weiteren Zitaten ("Giovanni Maria Sotgiu gegen die Deutsche Bundespost", Rs. 152-73; "Bilka-Kaufhaus GmbH gegen Karin Weber von Hartz", Rs. 170/84; "Regina gegen Secretary of State for Employment, ex parte Nicole Seymour-Smith und Laura Perez", Rs. 167/97; "Hilde Schönheit gegen die Stadt Frankfurt am Main", Rs. C-4/02, und "Silvia Becker gegen das Land Hessen", Rs. C-5/02; "Debra Allonby gegen Accrington & Rossendale College, Education Lecturing Services ... and Secretary of State for Education and Employment", Rs. C-256/01; "Kommission gegen Österreich", Rs. C-147/03).
Vereinte Nationen
• Artikel 26 des Zivilpaktes, Allgemeine Bemerkung Nr. 18 des Menschenrechtsausschusses und Stellungnahme Nr. 516/1992 gegen Tschechien;
• Artikel 1 des Anti-Diskriminierungsübereinkommens und Allgemeine Empfehlungen Nr. 14, 19 und 27 des Ausschusses sowie dessen Bemerkungen zum tschechischen Staatenbericht 1998;
• Artikel 28 und 30 des UN-Kinderrechtsübereinkommens;
• UNESCO (Artikel 1 bis 3 Übereinkommen gegen Diskriminierung in der Bildung; Erklärung über "Rassen" und rassistische Vorurteile).
andere Quellen:
• Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA);
• Rechtsprechung des House of Lords ("Regina v. Immigration Officer at Prague Airport und andere ex parte European Roma Rights Centre und andere");
• Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika ("Griggs gegen Duke Power Co.", 401 US 424).
4. Follow Up (Stand: November 2013)
Die Umsetzung des Urteils steht noch immer unter "verstärkter Überwachung" im Ministerkomitee des Europarates, weil Tschechien die Entscheidung noch nicht zur Zufriedenheit des Ministerkomitees umgesetzt hat. Tschechien wurde aufgefordert, seinen Aktionsplan zur Umsetzung zu überarbeiten. In der 1157. Sitzung (Dezember 2012) begutachtete das Ministerkomitee den überarbeiteten tschechischen Aktionsplan und wertet (durchaus zweifelhaft) als positiv,, dass Kinder ohne Behinderungen nicht mehr in Klassen für Kinder mit Behinderungen unterrichtet werden dürften. Negativ merkte es an, dass laut Statistiken noch immer überproportional viele Roma in Programmen für Schulkinder mit "leichter geistiger Behinderung" seien. Es forderte die Regierung auf, die geplanten Maßnahmen schnell umzusetzen und zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, um schnell konkrete Ergebnisse herbeizuführen.
Im Juni und Oktober 2013 reichten die tschechischen Behörden erneut Informationen über die Umsetzung des Aktionsplans beim Ministerkomitee ein (Dokumente DH-DD(2013)718 und DH-DD(2013)1133). Die Open Society Initiative verfolgt diesen Fall weiter (siehe Website Open Society Foundations).
(1) Das Deutsche Institut für Menschenrechte lehnt diesen Begriff ab. Siehe für Begründungen und Alternativen Hendrik Cremer, Ein Grundgesetz ohne "Rasse" – Vorschlag für eine Änderung von Artikel 3 Grundgesetz (Policy Paper; Deutsches Institut für Menschenrechte, 2010); ders., "... und welcher Rasse gehören Sie an?" - Zur Problematik des Begriffs "Rasse" in der Gesetzgebung (Policy Paper, Deutsches Institut für Menschenrechte, 2. Auflage 2009).
Entscheidung im Volltext:
Deutsche Fundstellen via egmr.org: EuGRZ 2009, 81; NVwZ 2008, 533