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Rückblick auf die 8. Werner Lottje Lecture Schutz im Kollektiv – Indigene Menschenrechtsverteidiger_innen in Kolumbien

· Meldung

Kolumbien ist weltweit das mit Abstand gefährlichste Land für Menschenrechtsverteidiger_innen. Nach Zahlen der kolumbianischen NGO Indepaz wurden in den letzten fünf Jahren über 1.100 Aktivist_innen im Land ermordet. Die Werner Lottje Lecture 2021 griff am 20. April die besonders schwierige Situation der indigenen Menschenrechtsverteidiger_innen aus Kolumbien auf. Sie ehrte nicht wie gewöhnlich eine einzelne Person, sondern ein ganzes Kollektiv: Die Guardia Indígena - Kiwe Thegnas - die mit friedlichen Mitteln die angestammten Territorien einzelner Dorfgemeinschaften der indigenen Nasa in der Region Cauca im Südwesten Kolumbiens beschützen.

Die Kiwe Thegnas patrouillieren in ihren angestammten Gebieten und wehren sich friedlich gegen das Eindringen bewaffneter Gruppen. Darüber hinaus sind ihre Ortsgruppen wichtig für politische Bildung sowie Bewahrung und Wiederbelebung traditioneller kultureller Praktiken. Menschenrechte werden hier im und durch das Kollektiv geschützt. Vier Mitglieder stellten die Arbeit des Kollektivs im Online-Format der diesjährigen Werner Lottje Lecture vor. Als Expert_innen von deutscher und internationaler Seite diskutierten die UN-Sonderberichterstatterin für die Situation von Menschenrechtsverteidiger_innen, Mary Lawlor, sowie der deutsche Botschafter in Kolumbien, Peter Ptassek, mit Kiwe Thegnas.

Fehlender staatlicher Schutz

Yina Baicue und Arbey Noscue betonten, dass sie vor allem von der schleppenden Umsetzung des Friedensabkommens von 2016 enttäuscht seien, da die versprochene Friedensdividende ihre Gemeinschaften nicht erreicht habe. So sei durch die Demobilisierung der FARC-Truppen ein Machtvakuum in der Region entstanden, das schnell durch bewaffnete Gruppen gefüllt wurde, die in organisierte Kriminalität und dem Drogenhandel verwickelt sind. Auf das Konto dieser Gruppen gingen auch die meisten der Morde an Menschenrechtsaktivist_innen und indigenen Anführer_innen, wenn diese sich gegen die illegalen Machenschaften auf ihrem Gebiet zur Wehr setzten. Vom kolumbianischen Staat könne hingegen kein Schutz erwartet werden. Zu oft steckten korrupte Staatsvertreter_innen mit der organisierten Kriminalität unter einer Decke. Die Corona-Pandemie habe die Lage weiter verschärft. Während die politische Arbeit der Guardia Indígena erheblich eingeschränkt sei, könnten sich die bewaffneten Gruppen frei bewegen und ihren Geschäften nachgehen. Angesichts geschlossener Schulen habe die Rekrutierung von Kindersoldat_innen zugenommen.

Auch Mary Lawlor wies darauf hin, dass der kolumbianische Staat seiner Schutzverantwortung gegenüber den bedrohten Aktivist_innen nicht nachkomme. Zwar habe Kolumbien viele relevante Menschenrechtsverträge ratifiziert und sogar ein staatliches Schutzprogramm für Menschenrechtsverteidiger_innen ins Leben gerufen, allerdings sei das Programm unterfinanziert und leide am mangelnden Vertrauen der kolumbianischen Menschenrechtsverteidiger_innen.

Internationale Aufmerksamkeit kann Sicherheit erhöhen

Laut Ptassek ist die massive Bedrohung von Menschenrechtsverteidiger_innen im Land aber weniger auf die Regierung zurückzuführen, sondern liegt an der strukturellen Schwäche des kolumbianischen Staats. Dieser sei so schwach, dass er in vielen Regionen, wie eben in Cauca, gar nicht die Möglichkeit gehabt hätte, das durch den Friedensschluss entstandene Machtvakuum zu füllen. Trotzdem habe der Friedenprozess jetzt schon zu einer Verbesserung der Lage geführt. Nun müsse alles dafür getan werden, den Friedensvertrag vollständig umzusetzen. Hierbei sieht der Botschafter auch die internationale Gemeinschaft und Deutschland in der Pflicht.

Die deutsche Botschaft wolle für Menschenrechtsaktivist_innen und soziale Anführer_innen als Motoren des sozialen Wandels werben. Entscheidend sei es für Sichtbarkeit ihres Engagements zu sorgen. Für einen echten Schutz von indigenen Aktivist_innen sei es aber notwendig, dass langfristig wieder Vertrauen zwischen ihren Gemeinschaften und den staatlichen Institutionen aufgebaut werde.

Wie beschädigt dieses Vertrauen in den Staat im Moment ist, machte zum Ende der Veranstaltung nochmal Alejandro Ramos von Kiwe Thegnas deutlich: „Alle staatlichen Institutionen sind korrupt. Ich habe gesehen, wie 50 Meter neben einer Polizeistation jemand ermordet wurde. Und danach hat der Mörder die Polizisten gegrüßt. Wie sollen wir da dem Staat vertrauen?“ Von der internationalen Gemeinschaft und der weltweiten Zivilgesellschaft wünscht sich das Kollektiv eine Begleitung ihrer Arbeit. Sie erhoffen sich, dass Besuche von Vertreter_innen aus dem Ausland ihre Sicherheit erhöhen.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte und Brot für die Welt luden bereits zum achten Mal zur Werner Lottje Lecture ein. In Erinnerung an den großen Visionär der Menschenrechtsarbeit in Deutschland werden hier jedes Jahr aktuelle Herausforderungen des Schutzes von Menschenrechtsverteidiger_innen diskutiert. Zudem werden mit der Veranstaltungsreihe auch couragierte Menschenrechtsaktivist_innen ausgezeichnet.

Johannes Icking (Brot für die Welt)

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