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„Die Situation älterer Menschen ist in vielen Lebensbereichen unsichtbar“

Ältere Menschen werden selten in politische Prozesse eingebunden. © Elliot Manches

· Meldung

Frau Mahler, Sie sind gerade in Genf und berichten dem UN-Menschenrechtsrat über aktuelle Entwicklungen zur Situation Älterer. Dies gehört zu Ihren Aufgaben als Unabhängige Expertin der Vereinten Nationen für die Menschenrechte Älterer – ein Mandat, das dieses Jahr seinen 10. Geburtstag feiert. Können Sie die Mission des Mandats kurz beschreiben?

Das Anliegen ist es, die Sichtbarkeit älterer Menschen in den Gremien der Vereinten Nationen und im Menschenrechtsrat zu verbessern, die Stärkung ihrer Rechte voranzutreiben und diese Rechte klarer zu fassen. Letztlich geht es darum, die Lebensbedingungen Älterer weltweit durch die Umsetzung der Menschenrechte zu verbessern. Der*die unabhängige Expert*in wird jeweils für drei Jahre ernannt und zeigt auf, wie es um den Schutz der Rechte Älterer steht und wo die dringlichsten Probleme liegen. Zu meinen Aufgaben gehört es, die Umsetzung internationaler Menschenrechtsnormen zu bewerten und Schutzlücken zu identifizieren – zum Beispiel befasse ich mich mit den Themen Altersdiskriminierung, Pflege und Gewalt, soziale Sicherheit, Gesundheit und Autonomie. Dazu berichte ich dem Menschenrechtsrat in Genf und der Generalversammlung in New York thematisch und länderbezogen regelmäßig über Entwicklungen und Herausforderungen, gebe Empfehlungen an nationale Regierungen und andere Akteure und sensibilisiere sie für die Rechte älterer Menschen.

2020 haben Sie das Amt von Rosa Kornfeld-Matte übernommen. Ihre zweite und letzte Amtszeit läuft noch bis 2026. Was waren bisher die größten Herausforderungen?

Herausfordernd war natürlich die Corona-Pandemie. 2020 waren Länderbesuche und Sitzungen in Genf oder New York erstmal nicht möglich. Wir hatten auch keinerlei Planungssicherheit, da wir aufgrund der Liquiditätskrise der Vereinten Nationen mit massiven Einsparungen umgehen mussten. Um die Lücken im Menschenrechtsschutz anhand der regulären Berichterstattung aufzuzeigen, überlegte ich mir zu Beginn des Mandats die Strategie, Berichtsinhalte an aktuelle Themen der UN und des Menschenrechtsrates zu orientieren. Wir berichteten beispielsweise über die Gesundheit Älterer, die während der Pandemie besonders gefährdet war, über klimawandelbedingte Katastrophen und ihre Auswirkungen auf die Rechte Älterer oder über die Situation älterer Menschen beim Zugang zum Recht auf Wohnen. Trotz vieler Beispiele von Menschenrechtsverletzungen ist es jedoch bis heute schwierig, die notwendige politische Unterstützung für das Mandat zu erhalten. Die Situation und Bedarfe älterer Menschen sind in vielen Lebensbereichen nach wie vor unsichtbar und der Druck aus der Zivilgesellschaft reicht leider nicht aus, um das Thema als Priorität auf die politische Agenda zu setzen.

Und auf welche Highlights blicken Sie zurück?

Mich freut es besonders, dass die vier Berichte, die wir bislang verfasst haben, sowohl in Deutschland als auch international auf starke Resonanz gestoßen sind. So hat der Menschenrechtsrat schon zum zweiten Mal eine inhaltliche Resolution auf der Grundlage unseres Berichts zu Gewalt und Altersdiskriminierung erlassen – das ist ein starkes Zeichen. Erfreulich ist auch, dass sich auf Ebene der Vereinten Nationen eine organisationsübergreifende Arbeitsgruppe zum Mainstreaming von Ageing – das bedeutet, dass Altern in allen Lebenslagen und Politikfeldern mitgedacht wird – formiert hat. Zudem gibt es mittlerweile eine enge Kooperation mit weiteren Sonderberichterstatter*innen, wie dem Sonderberichterstatter zu Menschen mit Behinderungen, und mit der Arbeitsgruppe zur Diskriminierung von Mädchen und Frauen. Dieses Netzwerk von unabhängigen Expert*innen und Gremien kann das Mainstreaming von Ageing bedeutend voranbringen. So ist Altern inzwischen ein Thema, wenn über die Rechte von Menschen mit Behinderungen gesprochen wird oder über LGBTQI+-Rechte.

Und welche positiven Entwicklungen konnten Sie in Deutschland anstoßen?

Auch auf nationaler Ebene konnte die Vernetzung der verschiedenen Akteure gestärkt werden. So veranstalten wir seit 2017 zusammen mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend regelmäßig Fachgespräche, um die Sitzungen der UN-Arbeitsgruppe zu Älteren, der sogenannten UN Open-ended Working Group on Ageing, mit Vertreter*innen aus der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft vor- und nachzubereiten. Nicht zuletzt haben die zehn Jahre, die es dieses Mandat nun gibt, auch in Deutschland eine gewisse Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit für die Lebenslagen und Bedarfe von Älteren geschaffen.

Sie beobachten die Umsetzung der Menschenrechte Älterer in allen Regionen der Welt. Wie unterscheiden sich die Lebenslagen in den einzelnen Ländern?  

Ältere Menschen und ihre Rechte haben selten Priorität in der Arbeit der Staaten und sie werden selten in politische Prozesse eingebunden, das ist weltweit so. Auch die Barrieren, die Ältere daran hindern ihre Rechte wahrzunehmen, sind überall sehr ähnlich. Beispielsweise ist die Gesundheitsversorgung in den meisten Ländern nicht ausreichend auf ältere Menschen eingestellt – obwohl es sich um die am schnellsten wachsende und heterogenste Bevölkerungsgruppe der Welt handelt. Der demographische Wandel wird in nahezu keinem Land als Anlass genommen, etwas zu verändern. So fehlen häufig Mobilitätsangebote oder Wohnungen, die auf Ältere zugeschnitten sind.

Zu Ihrem Mandat gehören auch Länderbesuche, unter anderem waren Sie dieses Frühjahr in Peru. Welche Eindrücke konnten Sie gewinnen?

In Peru hat der rechtliche Rahmen zum Schutz der Rechte Älterer große Fortschritte gemacht. Herausforderungen sind jedoch unter anderem fehlende Ressourcen, unzureichende Gesundheitsversorgung und mangelnde Unterstützung in ländlichen Regionen. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang mobile Gesundheitszentren auf Booten, die eine medizinische Versorgung in entlegenen Gebieten entlang des Amazonas ermöglichen sollen. Viele ältere Menschen in Peru sind Überlebende der politischen Gewalt und warten teilweise seit mehr als 20 Jahren auf Gerechtigkeit. Auch das ist eine Lebensrealität, die im länderspezifischen Kontext zu berücksichtigen ist.
Die Länderbesuche haben im Verlauf der zehn Jahre wesentlich dazu beigetragen, die Notwendigkeit einer internationalen Regelung zum Schutz Älterer aufzuzeigen. Meine Vorgängerin Rosa Kornfeld-Matte hat einmal als Ziel der Besuche genannt, ein Netz rund um die Welt zu spannen. Das versuchen wir weiterhin.

Zum Schluss noch ein Blick nach vorne: Welche Baustellen sollten in den kommenden zehn Jahren angegangen werden, um die Rechte älterer Menschen weiter zu stärken?

Eine Daueraufgabe ist, den Älteren eine politische Stimme zu geben und sie darin zu unterstützen, dass diese Stimme national wie international gehört wird. Ein gutes Werkzeug hierfür wäre eine eigene UN-Konvention für Ältere. Diese würde den Druck auf Staaten erhöhen, sich mehr für den Schutz von älteren Menschen einzusetzen und den Staaten gleichzeitig eine bessere Anleitung geben wie die Rechte umgesetzt werden müssen. Insbesondere die Rechte älterer Menschen auf ein selbstbestimmtes Leben, auf Gesundheit und ein Altern in Freiheit und Würde müssen weiter gestärkt werden. Und auf der gesellschaftlichen Ebene gilt es, stereotypen Altersbildern entgegenzuwirken. Ein weiterer Aspekt, der im internationalen Menschenrechtsschutz bisher wenig beleuchtet wird und dem sich das Mandat verstärkt annehmen sollte, sind intersektionale Diskriminierung und Mehrfachdiskriminierung.

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