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CEDAW, Mitteilung Nr. 18/2008 (Vertido vs. Philippines)

CEDAW, Auffassung vom 16.07.2010, Vertido gegen die Philippinen

1. Sachverhalt

a) Hintergrund

Karen Tayag Vertido (V.) arbeitete 1996 auf den Philippinen als Geschäftsführerin bei einer städtischen Industrie- und Handelskammer. Nach ihren Angaben versprach der Präsident der Industrie- und Handelskammer, Jose B. Custodio (C.), nach einer Arbeitsbesprechung, sie und einen Freund in seinem Auto nach Hause zu bringen. Als V. bemerkte, dass er den Freund zuerst absetzen würde, wollte sie aussteigen und ein Taxi nehmen. C. fuhr jedoch, nachdem er den Freund abgesetzt hatte, schnell los und begann sie anzufassen. Nach ihren Angaben versuchte sie, C. dazu zu bringen, sie nach Hause zu fahren, doch er hielt schnell in der Garage eines Motels. V. weigerte sich auszusteigen, aber C. zog sie die drei bis vier Meter zu einem Zimmer. Er warf sie auf das Bett, sie bat ihn, sie gehen zu lassen. Er drückte sie mit seinem Körpergewicht so stark nach unten, dass sie das Bewusstsein verlor. Als sie wieder zu sich kam, war er dabei, sie zu vergewaltigen. V. versuchte, ihn zum Aufhören zu bewegen, und bat ihn weiter, von ihr abzulassen. Schließlich gelang es ihr, ihn wegzustoßen, nachdem sie ihn an den Haaren gezogen hatte. Nach den Angaben von C. war der Geschlechtsverkehr einvernehmlich. Nachdem sie sich gewaschen und angezogen hatte, C. aber noch nicht angezogen war, versuchte sie, mit dem Auto davonzufahren, konnte die Tür aber nicht öffnen. C. folgte ihr und brachte sie mit dem Auto nach Hause.

b) Verfahrensgeschichte

Innerhalb von 24 Stunden holte V. ein ärztliches Gutachten ein, das ihren Vorwurf der Vergewaltigung bestätigte. Danach erstattete sie Anzeige bei der Polizei und stellte Strafantrag gegen C. Ein Gremium von Staatsanwälten, das die Vorermittlungen führte, wies den Fall mangels hinreichenden Tatverdachts ab. Erst nach einer Beschwerde von V. beim Justizministerium wurden Ermittlungen wegen Vergewaltigung aufgenommen. Das Strafgericht erließ einen Haftbefehl, der erst 80 Tage später vollstreckt wurde.

In dem Prozess stellten eine Trauma- und Viktimologie-Expertin und ein Psychiater fest, dass V. unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leide. Die Expertin führte aus, dass das Fehlen körperlicher Gewalt für eine Vergewaltigung unter Bekannten nicht ungewöhnlich sei. Dissoziierung sei ein typisches Verhalten, um mit dem Geschehenen umzugehen. Sie sei überzeugt, dass V. die Vorwürfe nicht erfunden habe. Sie widersprach der Verteidigung dahingehend, dass sogenannte „Vergewaltigungsfantasien“ bei Frauen nicht verbreitet seien.

C. sagte aus, der Sexualverkehr sei einverständlich gewesen. V. und er hätten schon lange miteinander geflirtet. Ein Motelangestellter und ein Sicherheitsmann bekundeten, dass sie nichts gehört oder bemerkt hätten.

Nach acht Jahren Verfahrensdauer sprach eine Richterin C. 2005 aus Mangel an Beweisen frei. Die Richterin stützte sich dabei auf drei Grundsätze der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der Philippinen in Vergewaltigungsfällen:

  1. Es ist einfach, jemanden der Vergewaltigung zu beschuldigen, aber schwierig, dies zu beweisen, und noch schwieriger für die angeklagte Person, ihre Unschuld zu beweisen.
  2. Aufgrund der Besonderheit von Vergewaltigungen, an denen regelmäßig nur zwei Personen beteiligt seien, muss die Aussage der anzeigenden Person eingehend und mit außergewöhnlicher Vorsicht überprüft werden.
  3. Der Beweis für die Anklage muss für sich allein stehen können und darf keine Stärke aus der Schwäche der Verteidigung ziehen.

Einen weiteren Grundsatz, wonach „das Versäumnis des Opfers zu fliehen eine Vergewaltigung nicht ausschließe“, wandte das Gericht nicht an. Es sei unverständlich, weshalb V. nicht geflohen sei, da sie doch so viele Gelegenheiten gehabt habe. Ferner sei, wiederum gestützt auf Urteile des Obersten Gerichtshofs der Philippinen, die Beschreibung der Vergewaltigung selbst nicht plausibel. Hätte sie C. tatsächlich wegstoßen können, sei es unklar, wie ein über Sechzigjähriger dann noch bis zur Ejakulation kommen konnte. Zudem werde die Aussage des Angeklagten teilweise durch Zeugenaussagen gestützt. Damit schürten, wiederum gestützt auf Urteile des Obersten Gerichtshofs, die Beweise der Anklage zu viele Zweifel, um zu der notwenigen Verurteilungsgewissheit zu gelangen.

2. Verfahren vor dem Fachausschuss zur UN-Frauenrechtskonvention

V. legte 2007 Beschwerde vor dem Fachausschuss zur UN-Frauenrechtskonvention ein. Sie stützte sich dabei auf Artikel 2 (c), (d) und (f) (Verpflichtung, geschlechtsspezifische Diskriminierung zu beenden und für Gleichheit zwischen Männern und Frauen zu sorgen) sowie 5 (a) (Schutz vor ungerechtfertigten Geschlechterstereotypen) von CEDAW und die Allgemeine Empfehlung Nr. 19 zu Gewalt gegen Frauen. Die Philippinen hätten gegen das Diskriminierungsverbot, das Recht auf wirksame Beschwerde und das Recht auf Schutz vor ungerechtfertigten Geschlechterstereotypen verstoßen. Das Urteil stütze sich auf geschlechtsspezifische Mythen und Fehlvorstellungen von Vergewaltigungen und Vergewaltigungsopfern. Das habe sie reviktimisiert. Ohne diese Fehlvorstellungen wäre der Angeklagte verurteilt worden. Ein Urteil, dass sich auf solche Mythen oder Fehlvorstellungen stütze oder das arglistig ergangen sei, könne nicht als Urteil eines gerechten, unparteilichen und sachkundigen Gerichts betrachtet werden. Die Philippinen hätten damit gegen ihre Verpflichtung verstoßen, sicherzustellen, dass Frauen gegen Diskriminierung durch staatliche Behörden und Gerichte geschützt werden. Die Beschwerdeführerin legte im Folgenden die Fehlvorstellungen und Mythen ausführlich und in Bezug auf jeden Grundsatz des Obersten Gerichtshofs dar (nachzulesen in Rz. 3.4-3.17).

Ferner habe die Vergewaltigung neben der posttraumatischen Belastungsstörung auch schwere weitere Belastungen für sie und ihre Familie mit sich gebracht. Über den Fall sei öffentlich berichtet worden. Sie sei entlassen worden. Aufgrund ihrer körperlichen und seelischen Verfassung habe sie keinen neuen Arbeitsplatz gefunden. Sie und ihre Familie hätten die Gemeinde verlassen müssen, weil sie es wagte, einen wohlhabenden und einflussreichen Mann zu verklagen. Das Urteil habe zu zusätzlichen Depressionen geführt.

Unter Vorlage sieben weiterer Gerichtsentscheidungen zwischen 1999 und 2007 legte die Beschwerdeführerin dar, dass viele Urteile in den Philippinen diskriminierende Vorurteile über Vergewaltigungsopfer aufgriffen und damit verstärkten. Wie in ihrem Fall sieht sie in den Urteilen folgende Ansatzpunkte für diskriminierendes Verhalten der Gerichte (Rz. 3.8):

  • Behauptung eines Einverständnisses, weil (angeblich) intime Kontakte vor der Vergewaltigung bestanden hätten („sweetheart defense“).
  • Die Gerichte haben festgestellt, dass das Verhalten vor, während oder nach der Vergewaltigung nicht der „natürlichen“ Reaktion einer Frau, die eine Vergewaltigung behauptet, entspricht.
  • Fehlen von Verletzungen bei Opfer und/oder Täter.

Es ist ein bestimmtes Maß an Drohungen, Einschüchterung beziehungsweise Gewalt, die gegen das Opfer gerichtet wurden, erforderlich. Diese Urteile versagten Frauen die Gleichheit vor dem Gesetz, verweigerten ihnen einen gerechten und effektiven Rechtsbehelf für erlittenes Unrecht und zwängen sie weiterhin in eine Männern untergeordnete Stellung. Die Rechtsprechungsgrundsätze seien insgesamt widersprüchlich und unüberschaubar. Ursache für die Einstellung oder Abweisung von Vergewaltigungsfällen seien geschlechterbasierte Mythen und Fehlvorstellungen. Diese führten letztendlich zur Reviktimisierung,der Betroffenen.

Vor dem Hintergrund der Gerichtsurteile bringt V. auch vor, dass die Richterin in ihrem Fall und alle anderen Richterinnen und Richter, die über Vergewaltigungsfälle entschieden, nicht genügend aus- und fortgebildet seien. Dadurch liefen auch alle Gesetzesreformen letztlich ins Leere, da es aufgrund des Verhaltens und der Vorurteile der Richterschaft an geeigneten und effektiven Rechtsbehelfen fehle. Deshalb seien besondere Fortbildungen für die Richterschaft zu sexualisierter Gewalt und Vergewaltigung gerade von erwachsenen Frauen erforderlich (Rz. 3.11).

Die Regierung der Philippinen wies die Beschwerde zurück.

3. Entscheidung des Fachausschusses zur UN-Frauenrechtskonvention

Der Fachausschuss stellte eine Verletzung von Artikel 2 (c) (Recht auf wirksame Beschwerde) und (f) sowie 5 (a) (Recht auf Schutz vor ungerechtfertigten Geschlechterstereotypen) CEDAW in Verbindung mit Artikel 1 CEDAW und der Allgemeinen Empfehlung Nr. 19 (Gewalt gegen Frauen) fest, da

  • das philippinische Gericht sich in seinem Urteil auf diskriminierende Geschlechterstereotypen gestützt habe und
  • die Philippinen die Praxis der Verwendung diskriminierender geschlechtsspezifischer Stereotypen in Gerichtsverfahren nicht unterbunden hätten (Sorgfaltspflichtverletzung).

Aus der Sicht des Fachausschusses bestand kein Anlass, zusätzlich Artikel 2 (d) CEDAW (Staatenverpflichtung, diskriminierende Handlungen oder Praktiken gegen Frauen zu unterlassen) zu prüfen, da dieser weniger relevant sei.

3.1 Prüfungsmaßstab des Ausschusses

Der Ausschuss macht deutlich, dass er nur überprüft, ob das Gericht den Freispruch auf die behaupteten geschlechtsbasierten Mythen und Fehlvorstellungen über Vergewaltigungen und Vergewaltigungsopfer gestützt habe und ob dieses Verhalten einen Verstoß gegen die genannten Normen darstellt. Er betont, dass er weder die Feststellung des Sachverhalts durch die staatlichen Behörden in Frage stellt noch sich dazu äußern wird, ob C. hätte verurteilt werden müssen.

3.2 Verstoß gegen Artikel 2 (c) CEDAW – Recht auf wirksame Beschwerde

Der Fachausschuss stellt fest, dass der Konvention und besonders Artikel 2 (c) CEDAW ein Recht auf wirksame, effektive Beschwerde innewohnt. Ein Rechtsbehelf gilt als effektiv, wenn Vorwürfe wegen Vergewaltigungen und anderer Sexualstraftaten vor den Gerichten fair, unparteilich, schnell und rechtzeitig entschieden werden. Gegen diese Grundsätze und damit gegen das Recht auf wirksame Beschwerde hätten die Philippinen verstoßen, da das Verfahren bis zum Freispruch acht Jahre gedauert habe.

3.3 Verstoß gegen das Recht, keinen ungerechtfertigten Geschlechterstereotypen ausgesetzt zu sein (Artikel 2 (f) und 5 (a) CEDAW); Staatenverpflichtungen bei der Beweiswürdigung und Urteilsfindung im Strafprozess (Rz. 8.4 ff.)

Der Fachausschuss stellt eine Verletzung von Artikel 2 (f) und 5 (a) CEDAW fest. Diese Vorschriften verpflichten die Staaten, angemessene Maßnahmen zu treffen, um Gesetze und Rechtsverordnungen, aber auch Praktiken, Sitten und Gebräuche zu verändern oder abzuschaffen, die Frauen diskriminieren (Sorgfaltspflichtverletzung). Der Ausschuss betont, dass die Anwendung von Stereotypen die Rechte von Frauen auf ein faires und gerechtes Gerichtsverfahren beeinträchtige. Gerichte dürften keine unflexiblen Standards schaffen, wie Frauen oder Mädchen „zu sein hätten“, sich in der Situation einer Vergewaltigung „zu verhalten hätten“, oder dazu, was ein Vergewaltigungsopfer oder ein Opfer sexualisierter Gewalt „ausmache“. Der Fachausschuss verweist hierzu ergänzend und ohne weitere Erläuterungen auf seine Allgemeine Empfehlung Nr. 19 zu Gewalt gegen Frauen, wonach „... Diskriminierung gemäß der Konvention nicht auf Handlungen durch oder im Namen von Regierungen beschränkt ist“ und „[g]emäß allgemeinem Völkerrecht und Menschenrechtsverträgen Staaten auch für private Handlungen verantwortlich sein können, wenn sie es unterlassen, mit gebührender Sorgfalt zu handeln, um Verletzungen von Rechten zu verhindern oder Gewaltakte zu untersuchen und zu bestrafen, sowie Entschädigung zu leisten“.

Rechtsanwendungspflicht: Geschlechtersensibilität des Gerichtsverfahrens und des Urteils

Ob der Staat seiner Verpflichtung, Geschlechterstereotypen zu beseitigen, genügt habe, sei daran zu messen, welches Maß an Geschlechtersensibilität das Gerichtsverfahren aufgewiesen habe.

Beurteilung der Glaubwürdigkeit von V. und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage

Gemessen hieran stellt der Fachausschuss mehrheitlich fest, dass die Richterin das Verhalten der Beschwerdeführerin auf der Grundlage von geschlechtsspezifischen Stereotypen bewertet und ihre Glaubwürdigkeit als Zeugin in Frage gestellt habe, weil sie sich nicht wie erwartet gemäß dieser Stereotypen verhalten hat. Der Fachausschuss stellt fest, dass insbesondere auch der erste der drei angeführten Grundsätze des Obersten Gerichtshofes der Philippinen („Es ist einfach, jemanden der Vergewaltigung zu beschuldigen, …“)  selbst einen Gender Bias (Voreingenommenheit) enthalte (Rz. 8.5).

Selektive Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze: stereotype Verhaltensstandards

Der Fachausschuss kommt zu dem Schluss, dass das Urteil auch die folgenden Grundsätze des Obersten Gerichtshofs hätte aufgreifen müssen:

  1. „Körperlicher Widerstand ist kein Umstand, anhand dessen man eine Vergewaltigung beweist.“
  2. „Menschen reagieren unterschiedlich unter emotionalem Stress.“
  3. „Das Versäumnis des Opfers zu fliehen schließt eine Vergewaltigung nicht aus.“
  4. „Jedenfalls erlegt das Gesetz der betroffenen Person nicht die Last auf, Widerstand zu beweisen.“

Diese Grundsätze wende das Gericht aber bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit von V. und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage nicht an und setze sie nicht in Beziehung zu den Erwartungen an ihr Verhalten vor, während und nach der Vergewaltigung.

Mythos: „Idealopfer“

Die Richterin komme dagegen zu dem Ergebnis, dass V. sich widersprüchlich verhalten habe, indem sie einerseits Widerstand leisten wollte, andererseits sich aber dem Angeklagten unterwarf. Das Gericht habe gerade nicht den Grundsatz „Das Versäumnis des Opfers zu fliehen schließt eine Vergewaltigung nicht aus“ angewendet. Es habe vielmehr von V. erwartet, sich auf eine bestimmte Art zu verhalten, da sie „keine zurückhaltende Frau sei, die sich leicht einschüchtern lasse“. Der Fachausschuss führt ein längeres Zitat aus dem Urteil an und schließt daraus, dass die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage von V. durch das Gericht durch mehrere Stereotypen beeinflusst gewesen sei, wie sich ein „vernünftiges Idealopfer“ nach Auffassung des Gerichts bei einer Vergewaltigung zu verhalten habe oder sich verhalten würde.

Mythos: „Mangelnder körperlicher Widerstand bedeutet Einverständnis“

Der Fachausschuss stellt fest, dass die Erwartung – trotz entgegenstehender Rechtsprechungsgrundsätze –, die Beschwerdeführerin habe in der geschilderten Situation Widerstand leisten müssen, in besonderer Weise den Mythos verstärkt, dass mangelnde körperliche Gegenwehr auf ein Einverständnis schließen lässt. Der Ausschuss betont, dass es keine gesetzliche oder tatsächliche Vermutung geben dürfe, dass eine Frau einverstanden sei, weil sie keinen körperlichen Widerstand gegen den ungewollten Sexualkontakt geleistet habe. Dies gelte unabhängig davon, ob der Täter mit körperlicher Gewalt gedroht oder Gewalt angewendet habe.

Stereotype zu „männlicher“ und „weiblicher“ Sexualität (Rz. 8.6)

Ferner nehme das Urteil mehrfach Bezug auf Stereotype hinsichtlich „männlicher“ und „weiblicher“ Sexualität, die die Glaubwürdigkeit des als mutmaßlicher Täter Angeklagten letztlich höher bewerteten als diejenige der Betroffenen („Ejakulationsfähigkeit eines Über-60-Jährigen“).

Mythos: „Kein Sexualkontakt gegen den Willen der betroffenen Person bei vorheriger Bekanntschaft mit dem Täter“

Zudem messe das Urteil dem Umstand, dass sich C. und V. kannten, zu viel Bedeutung bei und unterliege damit einer weiteren geschlechterbasierten Fehlvorstellung.

3.4 Rechtsetzungspflicht: Definition des Rechtsbegriffs „Vergewaltigung“ (Rz. 8.7)

Der Fachausschuss stellt fest, dass entgegen seinen Bemerkungen gegenüber verschiedenen Staaten im Staatenberichtsverfahren das fehlende Einverständnis nicht zentrales Element der philippinischen Vergewaltigungsdefinition sei. Er beruft sich auf die Allgemeine Empfehlung Nr. 19, wonach „die Unterzeichnerstaaten sicherstellen sollen, dass Gesetze gegen Gewalt und Missbrauch in der Familie, Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe und andere geschlechtsspezifische Gewalt den angemessenen Schutz aller Frauen sowie ihre Unversehrtheit und Würde gewährleisten“. Im Staatenberichtsverfahren habe der Fachausschuss immer wieder klargestellt, dass Vergewaltigung die Rechte von Frauen auf persönliche Sicherheit und körperliche Unversehrtheit verletze und dass das wesentliche Element einer Vergewaltigung das fehlende Einverständnis sei.

3.5 Empfehlungen des Fachausschusses (Rz. 8.9)

Der Fachausschuss empfahl den Philippinen, V. eine der Schwere der Verletzung angemessene Entschädigung zu zahlen.

Allgemein empfahl er:

(a) angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Gerichtsverfahren bei Vergewaltigung ohne unangemessene Verzögerung stattfinden

(b) durch folgende konkrete Maßnahmen zu bewirken, dass Verfahren wegen sexualisierter Gewalt unparteilich, fair und nicht von Vorurteilen oder Stereotypen geprägt sind:

  • Einführung einer neuen gesetzlichen Definition von „Vergewaltigung“, in deren Zentrum das (fehlende) Einverständnis der betroffenen Person steht
  • Einführung einer neuen gesetzlichen Definition von „sexuellen Übergriffen“, die kein Element enthält, dass diese Übergriffe Gewalt oder Zwang oder den Beweis erzwungener Penetration erforderten
  • Einführung einer neuen gesetzlichen Definition von „sexuellen Übergriffen“, die
    • entweder ein freiwilliges und eindeutiges Einverständnis des Opfers erfordert (und der angeklagten Person die Beweislast für Schritte auferlegt, die sie unternommen hat, um sich des Einverständnisses zu versichern)
    • oder verlangt, dass die Tat unter „zwingenden Umständen“ begangen sein muss, und dabei eine große Bandbreite solcher Umstände aufzählt (mit Verweis auf das UN-„Handbook for legislation on violence against women“, 2009)
  • Anordnung von angemessenen und regelmäßigen Schulungen für Richter*innen, Anwält*innen Exekutivbeamt*innen sowie medizinisches Personal zum geschlechtersensiblen Verständnis von Sexualstraftaten unter Einbeziehung von CEDAW und des Fakultativprotokolls sowie der Allgemeinen Empfehlung Nr. 19

4. Entscheidung im Volltext

CEDAW_16.07.2010_Vertido_v._Philippines_ENG (PDF, 95,5 KB, nicht barrierefrei)

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