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„Ich würde gerne endlich mein Leben anfangen“

„Deshalb habe ich ein Haus gemalt. Weil ich gerne in einem Haus wohnen würde.“ (Mädchen, 12 Jahre, Unterkunft Nord) © UNICEF/UNI423811/Zimmermann

Kinderrechte sind Menschenrechte und in der UN-Kinderrechtskonvention verbrieft. Sie gelten selbstverständlich auch für Kinder und Jugendliche, die nach Deutschland fliehen. Über ihre Situation ist wenig bekannt – dabei machen sie rund 40 Prozent der insgesamt über zwei Millionen Asylsuchenden seit 2015 und 32 Prozent der Schutzsuchenden aus der Ukraine seit 2022 aus. Tausende von ihnen verbringen viele Monate oder sogar Jahre in Unterkünften für geflüchtete Menschen.

Einige der dort untergebrachten Kinder und Jugendlichen können sich nun Gehör verschaffen: In der Studie „Das ist nicht das Leben“ vom Deutschen Institut für Menschenrechte und UNICEF Deutschland berichten sie in eigenen Worten und Bildern über ihren Alltag. Das Fazit: In Unterkünften für geflüchtete Menschen werden die Rechte von Kindern und Jugendlichen gravierend eingeschränkt. Kindgerechte Bedingungen sind dort weder strukturell verankert, noch werden sie systematisch überprüft.

Einblicke in die Lebensrealitäten

Als belastend erleben die befragten Kinder und Jugendlichen vor allem beengte Wohnverhältnisse und einen Mangel an Privatsphäre. Ihr größter Wunsch: mehr Spiel- und Sportmöglichkeiten und geeignete Kontakte zur Außenwelt. Vielen von ihnen fehlt ein Ort, um in Ruhe zu lernen oder sich zurückzuziehen. Noch gravierender ist, dass einige von ihnen berichten, von ihren Eltern getrennt und in Zimmern mit Fremden untergebracht zu werden. Auch Stauraum für Kleidung und Spielsachen ist knapp und manchmal fehlt sogar der Platz für einen Schreibtisch, um die Hausaufgaben zu machen. Die beengten Verhältnisse führen außerdem zu schlechten hygienischen Bedingungen, vor allem in Wohneinheiten mit Gemeinschaftsbädern und -küchen.

Auch Gewalt und Diskriminierung sind für viele der Kinder alltägliche Erfahrung, mit der sie allein gelassen werden. Eine große Rolle in den Schilderungen spielen erhebliche Schwierigkeiten beim Zugang zum Beispiel zu psychologischer Versorgung, vor allem aber zu Bildung. Nicht alle können eine Regelschule besuchen, sie erhalten unzureichenden Ersatzunterricht in der Unterkunft. Dort fehlt es zudem häufig an Internetzugang und Endgeräten – ein Hindernis nicht nur für die schulische, sondern auch für die soziale und kulturelle Teilhabe. Sie können nicht wirklich ankommen in Deutschland, so ein häufig geschilderter Eindruck der Kinder und Jugendlichen. 

Mangel herrscht auch bei der gesundheitlichen Grundversorgung, angefangen von Kinderärzt*innen bis hin zu psychologischer Beratung. Vor allem Kinder und Jugendliche über 13 Jahren berichten von Schulstress und Einsamkeit. Sie wünschen sich mehr Ansprechpartner*innen, denen sie sich anvertrauen können.

„Deshalb habe ich ein Haus gemalt. Weil ich gerne in einem Haus wohnen würde.“ (Mädchen, 12 Jahre, Unterkunft Nord) © UNICEF/UNI423811/Zimmermann
„Ich saß hier draußen auf der Couch, als ich noch mit der fremden Familie in einem Zimmer wohnte. Weil es fast unmöglich war, sich in diesem Zimmer aufzuhalten.“ (Mädchen, 16 Jahre, Unterkunft Süd) © UNICEF/UNI423811/Zimmermann
„Das ist das Gemeinschaftsbad. Die Bäder sind schmutzig. Jedes Mal, wenn ich da hin gehe, ist es schmutzig.“ (Junge, 16 Jahre, Unterkunft Nord) © UNICEF/UNI423811/Zimmermann
„Die Mülltonnen sind immer voll, wenn sie nicht abgeholt werden. Die nerven, auch beim Fußballspielen. Und die Container nerven auch.“ (Junge, 10 Jahre, Unterkunft Ost) © UNICEF/UNI423811/Zimmermann

Deutschland zur Umsetzung der Kinderrechte verpflichtet

Die Aussagen der Kinder und Jugendlichen stehen in scharfem Kontrast zu den Rechten aus der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK), die jedem Kind und Jugendlichen zustehen. In der Bundesrepublik Deutschland gelten die dort festgeschriebenen Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte von Kindern seit 1992. „Alle Menschen in Deutschland, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet“ haben, können sich darauf berufen (Artikel 1 der UN-KRK). Im Zentrum der Konvention steht die Anerkennung von Kindern und Jugendlichen als Träger*innen eigener, subjektiver Rechte.

Kinder und Jugendliche, die nach Deutschland fliehen, fallen demnach unter den Schutzstatus der UN-KRK. Das bedeutet: Sie müssen menschenrechtskonform, kind- und jugendgerecht aufgenommen und versorgt werden. Dass dies derzeit nicht der Fall ist, wurde in den letzten Jahren wiederholt aufgezeigt. So bemängelt etwa der UN-Ausschuss für die Rechte von Kindern seit 1992 den langen Aufenthalt einiger Kinder in Unterkünften für geflüchtete Menschen. Er fordert Deutschland auf, asylsuchende und geflüchtete Kinder bei der Zuweisung auf die Kommunen zu priorisieren und sicherzustellen, dass die Aufnahmeeinrichtungen kinderfreundlich sind.

Forderungen an die Politik

Die Schilderungen der Kinder bestätigen Erfahrungen und Untersuchungen von UNICEF Deutschland und dem Deutschen Institut für Menschenrechte aus den vergangenen Jahren. Danach werden in den Unterkünften die Rechte auf Gleichbehandlung, Gesundheit, Bildung, Freizeit, gewaltfreie Erziehung und Privatsphäre vernachlässigt: „Jedes einzelne dieser Kinder braucht die Chance auf eine Kindheit, die den Namen verdient“, so Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland. UNICEF Deutschland und das Deutsche Institut für Menschenrechte fordern deshalb eine entschlossene, ressortübergreifend abgestimmte Politik für Kinderrechte von Bund, Ländern und Kommunen, um die Bedingungen vor Ort zu verbessern. Dringend nötig ist vor allem die dezentrale Unterbringung von geflüchteten Familien sowie der unmittelbare Zugang zu Kindergarten, Schule oder Ausbildung.

„Deutschland muss dringend seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen nachkommen. Was fehlt, ist eine entschlossene und ressortübergreifend abgestimmte Politik für Kinderrechte auf allen staatlichen Ebenen.“

Michael Windfuhr hat kurzes Haar, einen graumelierten Bart und eine Brille. Er trägt einen blauen Anzug, ein weißes Hemd und eine blaugemusterte Krawatte.
© DIMR/A. Illing
Michael Windfuhr 
Stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte

UNICEF Deutschland und das Deutsche Institut für Menschenrechte fordern für Kinder- und Jugendliche in Unterkünften für geflüchtete Menschen von Bund, Ländern und Kommunen:

  • eine menschenwürdige, dezentrale Unterbringung zusammen mit ihren Eltern bzw. Sorgeberechtigten
  • eine möglichst kurze maximale Verweildauer in den Unterkünften mit verbindlich geltenden und regelmäßig überprüften kinderrechtlichen Mindeststandards für die Unterbringung
  • einen schnellen Zugang zu Kita, Schule und Ausbildung nach der Ankunft (unmittelbar, spätestens aber nach drei Monaten)
  • einen barrierearmen Zugang zur örtlichen Kinder- und Jugendhilfe
  • einen Zugang zu unabhängigen, wirksamen Mechanismen, um Beschwerden einzureichen und Rechtsmittel einzulegen
  • diskriminierungsfreien Zugang zu ärztlicher Versorgung und psychologischer bzw. psychotherapeutischer Beratung

Kinderrechte, die verletzt werden (UN-KRK)

  • Gleichheit: Alle Kinder haben die gleichen Rechte. Kein Kind darf benachteiligt werden. (Artikel 2)
  • Gesundheit: Kinder haben das Recht gesund zu leben, Geborgenheit zu finden und keine Not zu leiden. (Artikel 24)
  • Bildung: Kinder haben das Recht zu lernen und eine Ausbildung zu machen, die ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten entspricht. (Artikel 28)
  • Spiel und Freizeit: Kinder haben das Recht zu spielen, sich zu erholen und künstlerisch tätig zu sein. (Artikel 31)
  • Freie Meinungsäußerung und Beteiligung: Kinder haben das Recht bei allen Fragen, die sie betreffen, mitzubestimmen und zu sagen, was sie denken. (Artikel 12 und 13)
  • Schutz vor Gewalt (Artikel 19, 32 und 34)
  • Zugang zu Medien: Kinder haben das Recht, sich alle Informationen zu beschaffen, die sie brauchen, und ihre eigene Meinung zu verbreiten. (Artikel 17)
  • Schutz der Privatsphäre und Würde (Artikel 16)
  • Schutz auf der Flucht (Artikel 22)

Publikationen zu diesem Thema

Ansprechpartner*in

Claudia Kittel hat braune kinnlange Haare. Sie trägt ein gelbes Oberteil und einen schwarzen Blazer.
© DIMR/B. Dietl

Claudia Kittel

Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention

Telefon: 030 259 359 - 414

E-Mail: apitz(at)institut-fuer-menschenrechte.de

© DIMR/B. Dietl

Sophie Funke

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Telefon: 030 259 359 - 475

E-Mail: funke(at)institut-fuer-menschenrechte.de

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