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„Wir haben erlebt, dass sich alles zum Besseren ändern kann“

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Interview mit Stephan Bickhardt, ehemaliger DDR-Bürgerrechtler

Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Stephan Bickhardt war zusätzlich zu seinem mutigen Engagement in diversen oppositionellen Gruppen entscheidend an Produktion und Vertrieb der sogenannten „radix-Blätter“ Ende der 1980er Jahre beteiligt.

Diese von zahlreichen Autor_innen geschriebenen und unter großen Risiken geheim hergestellten Hefte erreichten eine erstaunliche Auflagenhöhe und thematisierten gesellschaftliche und politische Missstände in der DDR. Die Blätter griffen verschiedene Themen auf: Neben der Kritik an Atomwaffen und Wahlfälschungen forderten die Texte der insgesamt elf Blätter vehement die Garantie und Durchsetzung von Grund- und Menschenrechten. Aufgrund der grafischen Gestaltung hatten die Blätter auch immer einen ästhetischen Anspruch.

Über seine Verlegertätigkeit und seinen Beitrag zur Friedlichen Revolution sprach der heutige Direktor der Evangelischen Akademie in Sachsen Bickhardt mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte.

Herr Bickhardt, Sie waren in alles, was die „radix-Blätter“ betrifft, involviert beziehungsweise eingeweiht: Redaktion, Produktion und Verteilung. Was war das Schwierigste und was hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?

Stephan Bickhardt: Am meisten Spaß hat die Verteilung gemacht: Zu spüren, wie Leute reagieren; auch der Stolz, das „Du schaffst da“ oder die Freude der Mitautoren darüber, wie sich das so alles im Sinne eines Blätterwaldes schnell verteilt hat. Schwierig war der Umstand, dass wir bei meinen Eltern in der Wohnung gedruckt haben. Dass ich sie so in Anspruch genommen habe, betrachte ich heute durchaus als schwierig. Meine Mutter war doch ganz schön damit konfrontiert und hatte auch mehr Ängste als mein Vater, und als ich sowieso. Besonders schwierig war es damals, genügend Farbe zu bekommen. Um das zu organisieren, habe ich wirklich Aufstände gemacht. Aber letztlich hat es immer geklappt.

Wie liefen die Themenfindung und die Redaktion konkret ab?

Bickhardt: Wir haben dann das Heft „Aufrisse 1“ gemacht, die Leute angeschrieben und mit Ihnen debattiert. Wir fragten uns auch, welche Pfarrer und Pfarrerinnen interessante Predigten haben und wie wir diese in die Themen aufnehmen können. Das Heft zur Geschichte der Friedensbewegung entstand aus dem Gefühl heraus, das etwas in der bisherigen Form zu Ende geht. Wir dachten, die Akklamation des Anti-Atomkraft-Konsenses oder des Anti-Atomwaffen-Konsenses ist einfach nicht hinreichend. Wir müssen die inneren Ursachen der Blockkonfrontation, wie wir das immer gern nannten, beschreiben und fingen bei uns an. So entstand ein Heft um das andere.

Was haben Sie durch die Arbeit an den „radix-Blättern“ für Ihr Leben gelernt?

Bickhardt: Ich glaube, dieser schlichte Spruch „Nichts bleibt, wie es ist“ passt hier. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich Verhältnisse wirklich wandeln können. Und dass neben den materiellen Kräften, die der faszinierende Westen entwickelt, auch geistige Positionen und aus unserer Sicht verbriefte Rechte wie Menschenrechte ein entscheidendes Moment sind. Viele Menschen, glaube ich, denken ganz tief, dass sich nichts ändert. Wir haben erlebt, dass sich alles zum Besseren ändern kann. Deshalb ist nicht alles schick. Aber die Grunderfahrung, dass geistige Arbeit auch eine wirklich wirksame ist, habe ich sozusagen selbst erlebt. Und das kriege ich auch nicht mehr aus mir heraus.

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