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CRPD, Mitteilung Nr. 21/2014 (F vs. Austria)

CRPD, Auffassungen vom 21.08.2015, F. (vertreten durch Volker Frey) gegen Österreich

1. Sachverhalt (Rz. 2.1-2.11)

Der 1955 geborene F. ist blind und lebt in Linz. In seinem Alltag ist er, beruflich wie auch privat, auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Hauptsächlich benutzt er die Tramlinie 3, die von der Linz Linien GmbH betrieben wird. Diese ist Eigentum der Stadt Linz und ist für den Betrieb der öffentlichen Verkehrsmittel der Stadt verantwortlich. 2004 begann die Linz Linien GmbH, das Liniennetz mit digitalen Audiosystemen auszustatten. Das Audiosystem gibt die schriftlichen Informationen wieder, die auf der Standanzeige an einer Haltestelle angezeigt werden. Die Ansage erfolgt durch Drücken einer Taste auf einem Handsender. Das Audiosystem gibt Echtzeitinformationen, wie etwa die Richtung der Tramlinie, Ankunfts- und Abfahrtszeiten als auch Betriebsstörungen wieder. Sie ermöglicht dadurch blinden Fahrgästen, zu erfahren, ob sie bereits die jeweilige Tramhaltestelle erreicht haben oder wo sich diese befindet, falls sie diese nicht finden. Auch erhalten sie Echtzeitinformationen über das Tramnetzwerk durch das Audiosystem. Bis 2009 hatte die Linz Linien GmbH 40 digitale Audiosysteme aufgestellt. 2011 wurde das Streckennetz der Tramlinie 3 erweitert, jedoch ohne die neuen Haltestellen mit Audiosystemen auszustatten. Dort gibt es nur Standanzeigen. Dies zwingt blinde Fahrgäste dazu, Passant*innen um Hilfe zu bitten, um die für ihre Reise erforderlichen Informationen zu erhalten.

Daher forderte F. die Linz Linien GmbH auf, die sieben neuen Haltestellen der Linie 3 mit 14 digitalen Audiosystemen auszustatten. Er trug vor, dass er keinen unmittelbaren Zugang zu Echtzeitinformationen auf der erweiterten Tramstrecke habe. Auf diese sei er aber zur Bewältigung seines Alltags angewiesen. Auch sei das neue Liniennetz, entgegen dem Kostenvoranschlag, 10 Millionen Euro günstiger gewesen. Deshalb sei es dem Unternehmen auch in finanzieller Hinsicht möglich, die Kosten für die Audiosysteme, die sich auf etwa 25 000 EUR belaufen würden, zu tragen. Bevor F. aber eine Klage gegen die Linz Linien GmbH einreichen konnte, musste er versuchen, eine gütliche Einigung zu erreichen. Dies sieht das Antidiskriminierungsgesetz des Bundes in Österreich vor. Der Schlichtungsversuch mit der Linz Linien GmbH scheiterte im Juli 2012. In seiner Klage machte F. geltend, dass er durch die Nichtanbringung der digitalen Audiosysteme durch die Linz Linien GmbH mittelbar diskriminiert worden sei.

Im Mai 2013 gab das Amtsgericht ihm nicht Recht, da keine Diskriminierung vorliege. F. werde nicht in seinem Recht auf Zugang zu Informationen durch die fehlende Bereitstellung der digitalen Audiosysteme beeinträchtigt. Die Standanzeigen des neuen Tramnetzwerks würden nur über die verbleibenden Wartezeiten und im Ausnahmefall über Betriebsstörungen informieren. Diese Informationen seien aber auch im Internet abrufbar. Personen mit Sehbehinderungen könnten dort auf eine Spracherkennungssoftware zurückgreifen. Schließlich könne F. die Tramlinie ebenso wie ein nicht sehbehinderter Fahrgast nutzen.

F. legte Berufung ein. Das Berufungsgericht schloss sich im Juli 2013 der Entscheidung des Amtsgerichts an. Es führte an, dass die Informationen, die auf der Standanzeige wiedergegeben werden, von geringer Bedeutung seien und für gewöhnlich F. von diesen nicht abhängig sei.

2. Verfahren vor dem UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD)

F. reichte 2014 vor dem UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) eine Mitteilung unter Berufung auf die Artikel 5, 9, 19 und 21 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) ein. Diese Vorschriften der BRK seien verletzt, da die Linz Linien GmbH keine digitalen Audiosysteme auf dem neuen Linienverlauf der Tramlinie 3 bereitgestellt habe.

Er trug vor, dass gegen das „Zwei-Sinne-Prinzip“ für barrierefreie Zugänglichkeit verstoßen worden sei. Danach müssten alle Informationen, einschließlich Orientierungshilfen, durch mindestens zwei von drei Sinnen (Hören, Sehen und Fühlen) erfasst werden können, um diese seh- und hörbehinderten Menschen zugänglich zu machen. Durch die Nichtbereitstellung von digitalen Audiosystemen an den Haltestellen der Tramlinie 3 werde er aber daran gehindert, gleichberechtigt mit anderen Zugang zu Informationen über den Linienverlauf und zu öffentlichen Verkehrsmitteln zu haben. Dies verletze nicht nur Artikel 5 (Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung) und Artikel 9 BRK (Zugänglichkeit), sondern auch Artikel 19 (Unabhängige Lebensführung) und Artikel 20 BRK (Persönliche Mobilität).

Artikel 5 Absatz 2 BRK (Diskriminierungsverbot) sei verletzt, da das österreichische Bundesantidiskriminierungsgesetz keinen mit der BRK vergleichbaren Diskriminierungsschutz biete. Das Gesetz sehe nur finanzielle Ausgleichszahlungen und nicht die Verpflichtung vor, Hindernisse für Menschen mit Behinderungen zu beseitigen. Ein Hindernis werde dem Gesetz zufolge nur dann als Diskriminierung angesehen, wenn es rechtswidrig oder absichtlich errichtet worden sei. Dies entspreche nicht dem Diskriminierungsbegriff des Artikels 2 BRK. In der Praxis führe dies dazu, dass Gerichte das Bundesantidiskriminierungsgesetz zu eng anwendeten (Rz. 3.1-3.4).

Die österreichische Regierung, an die die Beschwerde gerichtet war, wies diese als teilweise unzulässig und unbegründet zurück.

Die Beschwerde sei unbegründet, da F. nicht Opfer einer Diskriminierung geworden sei. Das Bundesantidiskriminierungsgesetz verbiete unmittelbare und mittelbare Diskriminierung. Zu den Grundprinzipien des Gesetzes zähle die Barrierefreiheit. Diese sei dann gegeben, wenn Menschen mit Behinderungen ohne Schwierigkeiten und ohne fremde Hilfe auf Dienste und Einrichtungen wie zum Beispiel Transportmittel und Informationstechnologien zugreifen könnten.

Die Regierung führte aus, dass die Linz Linien GmbH 720 Haltestellen betreibe, wovon 374 Haltestellen mit Standanzeigen ausgestattet seien. Diese zeigten die aktuelle An- und Abfahrtszeit der jeweiligen Tram an und informierten darüber, in wie vielen Minuten die Tram die Haltestelle erreiche. Einen vollständigen Fahrplan gäben die Standanzeigen nicht wieder. Von diesen 374 Haltestellen verfügten 44 über digitale Audiosysteme. Diese lägen an Verkehrsknotenpunkten. Aus technischen Gründen könnten nur solche Haltestellen mit einem digitalen Audiosystem ausgestattet werden, die über eine Standanzeige verfügen.

Die Gerichte hätten auch keine mittelbare Diskriminierung des F. feststellen können. Es bestehe für ihn kein Zugangshindernis zu notwendigen Informationen. Alle Fahrgastinformationen, einschließlich voraussichtlicher oder planmäßiger Betriebsstörungen, könne F. im Internet abrufen. Diese Informationen seien ihm durch ein Spracherkennungssystem zugänglich. F. sei daher nur begrenzt auf fremde Hilfe an den Haltestellen angewiesen und könne die Tram im Prinzip wie jeder andere Fahrgast nutzen.

F. werde nicht gegenüber anderen Fahrgästen benachteiligt. Die Linz Linien GmbH habe angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen getroffen. Die Nichtbereitstellung eines digitalen Audiosystems bedeute nicht, dass F. das Liniennetz nicht nutzen könne. Ihm sei es möglich, seinen alltäglichen Verpflichtungen mithilfe der Tram nachzukommen. Echtzeitinformationen könne F. im Internet abrufen oder kostenlos auf seinem Handy bekommen. Hierdurch sei es ihm auch möglich sein, eine Echtzeitprognose der An- und Abfahrt der Tram anzustellen und live nachzuverfolgen, an welcher Haltestelle sich die Tram befinde. Personen ohne Internetzugang stehe die Kundenbetreuung der Linz Linien GmbH zur Verfügung. Diese sei jederzeit telefonisch zu erreichen, um schnell an aktuelle Informationen über den Linienverlauf zu gelangen. F. habe nicht dargelegt, weshalb die Informationen, die die Linz Linien GmbH durch ihren Online- und Telefonservice bereitstelle, nicht ausreichten, um ihm Zugang zu den für ihn erforderlichen Informationen zu verschaffen.

F. werde nicht in seiner unabhängigen Lebensführung verletzt. Die Bereitstellung digitaler Audiosysteme sei nicht notwendig, um öffentliche Verkehrsmittel nutzen zu können. Das Audiosystem stelle keine Informationen bereit, die zwingend für ihn als Fahrgast erforderlich seien. Insbesondere mache die BRK keine Vorgaben, welche Vorkehrungen notwendig seien, um den Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln zu fördern. Vielmehr stehe es im Ermessen der Betreiber, die Art und Weise der Umsetzungsmaßnahmen zu bestimmen. Die Linz Linien GmbH habe sich, in Kooperation mit dem Blinden- und Sehbehindertenverband Oberösterreich, entschieden, digitale Audiosysteme nur an Haltestellen anzubringen, die an Verkehrsknotenpunkten liegen. Alle anderen Haltestellen, die nur durch eine Tramlinie bedient werden, seien mit einem akustischen Statusbenachrichtigungssystem ausgestattet. Dieses erlaube Fahrgästen, die an einer Haltestelle warteten, einen Handsender zu drücken, um über die Liniennummer und Endstation der ankommenden oder an der Haltestelle wartenden Tramlinie informiert zu werden.

Das österreichische Bundesantidiskriminierungsgesetz verstoße nicht gegen die BRK. Ein Rechtsbehelf, der Betroffenen erlaube, Schadenersatz geltend zu machen, stehe im Einklang mit Artikel 5 Absatz 2 BRK. Dieses Rechtsmittel gewährleiste einen effektiveren Schutz als die bloße Behebung oder Unterlassung einer Diskriminierung. In einem solchen Fall würden sich private oder öffentliche Rechtsträger in der Regel auch bemühen, die Diskriminierung, die den Grund für den Schadenersatzanspruch darstelle, im Ganzen zu beseitigen beziehungsweise zu unterlassen. Das Bundesgesetz sehe in diesem Rahmen vor, Betroffene durch ein Schlichtungsverfahren zu unterstützen. Dieses sei sehr erfolgreich. Zu einer gütlichen Einigung sei es bisher in jedem zweiten Fall gekommen. Das Schlichtungsverfahren sei für Betroffene gebührenfrei und dauere im Durchschnitt 106 Tage.

Schließlich habe das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie im Jahr 2009 einen Leitfaden über die Barrierefreiheit im öffentlichen Personenverkehr herausgebracht. Im Abschnitt über barrierefreie Bus- und Tramhaltestellen heiße es, dass dem Zwei-Sinne-Prinzip immer Priorität gegeben werden solle. Der Leitfaden empfehle auch, akustische Hilfsmittel zu verwenden, um den Zugang zu Informationen zu gewährleisten (Rz. 4.1-4.11).

F. entgegnete, das Schlichtungsverfahren biete keinen mit der BRK vergleichbaren Schutz. In seinem Fall sei das Schlichtungsgremium nicht bereit gewesen, eine Lösung zu finden. Das Schlichtungsverfahren sei ineffizient, da es nicht dem Diskriminierungsbegriff des Artikels 2 BRK folge, nur finanzielle Ausgleichszahlungen vorsehe, diese sich auf ein Minimum beschränkten und die Richterschaft nicht durch Fortbildungsveranstaltungen für die BRK sensibilisiert werde. Letzteres könne aber dazu beitragen, dass die österreichische Gesetzgebung zum Diskriminierungsschutz im Lichte der BRK ausgelegt werde. Im Übrigen unternähmen nur wenige Betroffene einen Schlichtungsversuch. Dies liege daran, dass dieser in der Regel hinter ihren Erwartungen zurückbleibe.

Eine finanzielle Ausgleichszahlung helfe ihm in seinem Fall nicht weiter. Dabei handele es sich auch nicht um die effektivste Maßnahme. Tatsächlich wirkungsvoll sei nur ein Recht auf Beseitigung von Zugangshindernissen. Während die Ausgleichszahlung nämlich nur jeweils der Person nutze, die die Klage eingereicht habe, erreiche die Beseitigung eines Zugangshindernisses viele Personen.

Weiterhin sei vorliegend der Leitfaden der österreichischen Bundesregierung nicht beachtet worden. Die dort empfohlenen akustischen Hilfsmittel habe die Linz Linien GmbH nicht aufgestellt.

Das Zwei-Sinne-Prinzip sei verletzt. Die Regierung habe nicht dargelegt, weshalb die Linz Linien GmbH ihm bestimmte Informationen, die sie als unwichtig ansehe, vorenthalte, dieselben Informationen aber Fahrgästen bereitstelle, die keine Sehbehinderung hätten. Digitale Audiosysteme unterstützten blinde Fahrgäste dabei, eine Haltestelle zu finden. Die Fahrplaninformationen im Internet seien dagegen zu unpräzise. Dort heiße es nur, dass die Tramlinie 3 mindestens alle 30 Minuten, von Montag bis Freitag achtmal stündlich im Zeitraum von 6 bis 20 Uhr und zu allen anderen Zeiten seltener fahre. Dies führe dazu, dass die neuen Haltestellen für ihn nur schwer zugänglich seien und er dort auf fremde Hilfe angewiesen sei. Die Informationen, die er für seine Fahrt mit der Tram benötige, würden nur auf den Standanzeigen bereitgestellt.

Die Regierung habe zudem ein zu enges Verständnis des Begriffs „Zugänglichkeit“. Nur weil er öffentliche Verkehrsmittel nutzen könne, heiße dies nicht, dass diese ihm auch zugänglich seien. Zugang zu Informationen bedeute, ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die ihm ermöglichen, gleichberechtigt mit anderen die Tram nutzen zu können. Auch würden die Informationen, die er durch sein Mobilfunkgerät abrufen könne, nicht durch die Linz Linien GmbH, sondern durch ein privates Unternehmen zur Verfügung gestellt. Die digitalen Audiosysteme erlaubten ihm darüber hinaus, spontan die Tram zu nutzen. Dies sei durch die App nicht gewährleistet. Ihre Nutzung nehme viel Zeit in Anspruch und sie eigne sich nicht, um Echtzeitinformationen abzurufen. Schließlich sei das akustische Statusbenachrichtigungssystem an die Tram gebunden und könne auch Fahrgästen helfen, die nicht blind sind. Hinsichtlich des Blinden- und Sehbehindertenverbands führte F. an, dieser sei nicht repräsentativ (Rz. 5.1 — 5.7).

Die Regierung entgegnete, dass F. vor den Zivilgerichten nicht vorgetragen habe, welche Vorschriften des Bundesantidiskriminierungsgesetzes gegen die BRK verstießen. Auch habe er dort versäumt, einen Antrag auf Gesetzesprüfung durch den Verfassungsgerichtshof zu stellen.

Das Schlichtungsverfahren sei im Übrigen rechtmäßig. Bei der Umsetzung der in Artikel 9 BRK statuierten Verpflichtungen stehe den Vertragsstaaten, im Einklang mit der Allgemeinen Bemerkung Nr. 2 des Ausschusses zu Artikel 9 BRK, ein Beurteilungsspielraum zu. Im Rahmen des österreichischen Schadenersatzrechts könne Schadenersatz nur dann geltend gemacht werden, wenn der Schaden zumindest fahrlässig verursacht worden sei. Ob den Zugänglichkeitskriterien im Einzelfall entsprochen worden sei, erfordere ein hohes Maß an Fachwissen. Zugänglichkeitsstandards würden sich kontinuierlich ändern. Dies erschwere es Dienstleistungsunternehmen, zu gewährleisten, dass ihre Einrichtungen und Dienste immer dem neuesten Stand der Technik entsprechen. Dies trage dazu bei, dass unabsichtlich Zugangshindernisse für Menschen mit Behinderungen geschaffen würden. Hier helfe das Schlichtungsverfahren, eine gerechte, praxisnahe Lösung zu finden, um Zugangshindernisse zu beheben. Eine strikte Haftung für jedes Zugangshindernis sei daher nicht erstrebenswert und stehe nicht im Einklang mit dem Antidiskriminierungsgesetz.

Für Barrierefreiheit setze sich Österreich in seinem Nationalen Aktionsplan (2012-2020) ein, so die Regierung weiter. Dieser werde auch von Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und durch spezifische Fortbildungsprogramme an den Universitäten unterstützt, um für die Zukunft Zugangshindernissen für Menschen mit Behinderungen vorzubeugen. Dazu zähle die Veranstaltung eines jährlichen Forschungsforums zu Barrierefreiheit, das österreichische Forschungseinrichtungen, Vertreter*innen einschlägiger Organisationen sowie Nichtregierungsorganisationen zusammenbringe. Weiterhin sei der Einsatz von visuellen Informationssystemen in Linz erweitert worden, um zu gewährleisten, dass schwerhörige Menschen das Liniennetzwerk barrierefrei nutzen könnten. Von einer solchen Behinderung seien 2,5 Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung betroffen. Schwerhörige nähmen in der Regel an einem Mobilitätskurs teil. Dort lernten sie, sich allein zurechtzufinden und potenzielle Gefahrenquellen zu umgehen. Zum Kursinhalt zähle auch, zu erlernen, wie man visuelle Informationssysteme nutze. Den Kursteilnehmer*innen werde das Tramliniennetzwerk und das akustische Statusbenachrichtigungssystem erklärt. Ein solcher Kurs könne auch für blinde Fahrgäste nützlich sein, um sich an Haltestellen zurechtzufinden. In seiner Beschwerde vor dem Ausschuss habe F. erstmals vorgetragen, dass ihm das akustische Statusbenachrichtigungssystem nicht helfe, eine Haltstelle zu finden. Jedoch habe er diesbezüglich nicht den innerstaatlichen Rechtsweg erschöpft.
Weiterhin gebe die BRK nicht vor, wer die Mobilitätshilfen für die Nutzung der öffentlichen Transportmittel zur Verfügung zu stellen habe. Insofern sei der Vortrag des F. belanglos. Dass generell nicht den Bedürfnissen von allen Menschen mit Behinderungen nachgekommen werde könne, könne auch nicht als Diskriminierung im Sinne des Artikels 2 BRK angesehen werden. F. habe im Übrigen nicht dargelegt, weshalb die Vorschläge des Blinden- und Sehbehindertenverbandes nicht seine Bedürfnisse erfüllten (Rz. 6.1-6.8).

3. Entscheidung des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD)

Der Fachausschuss stellte eine Verletzung von Artikel 5 Absatz 2 (Diskriminierungsverbot) und Artikel 9 Absatz 1 und 2 Buchstaben f und h (Förderung des Zugangs zu Informationen, Förderung des Zugangs zu Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen) des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) fest (Rz. 9).

Der Ausschuss stellte keine Verletzung von Artikel 19 (Unabhängige Lebensführung) und Artikel 20 BRK (Persönliche Mobilität) fest (Rz. 8.8).

Der Ausschuss empfahl der österreichischen Regierung, die fehlende Zugänglichkeit zu den nur visuell wahrnehmbaren Informationen für alle Linien des Tramnetzwerks zu beseitigen, F. angemessen zu entschädigen und Maßnahmen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Ausschusses zu ergreifen, um erneute Verletzungen der UN-BRK zu vermeiden (Rz. 9).

3.1 Zulässigkeit (Rz. 7.1-7.5)

Der Fachausschuss erklärte die Beschwerde für teilweise zulässig, da F. nur hinsichtlich der Artikel 5, 9, 19 und 20 BRK seine Beschwerdebefugnis hinreichend begründet habe.

Bezugnehmend auf den Vortrag von F., dass das akustische Statusbenachrichtigungssystem nicht an seine Bedürfnisse angepasst sei und das Bundesantidiskriminierungsgesetz keinen mit Artikel 2 BRK vergleichbaren Diskriminierungsschutz biete, erklärte der Ausschuss die Beschwerde gemessen an Artikel 2 Buchstabe d des fakultativen Zusatzprotokolls zur UN-BRK für unzulässig. Diesbezüglich habe der Beschwerdeführer nicht dargelegt, dass er das Anliegen vor innerstaatlichen Gerichten verfolgt beziehungsweise einen Antrag auf Gesetzesprüfung durch den Verfassungsgerichtshof gestellt habe.

3.2 Begründetheit (Rz. 8.1- 8.8)

Der Ausschuss stellte eine Verletzung der Rechte des F. aus Artikel 5 Absatz 2 und Artikel 9 Absatz 1 und 2 Buchstaben f und h BRK fest. Es liege eine Diskriminierung vor, weil ihm der gleichberechtigte Zugang zu visuellen Informationen verwehrt worden sei.

Der Ausschuss erläuterte zunächst, dass sich laut seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 2 zu Artikel 9 CRPD „Zugänglichkeit“ auf Gruppen beziehe, während sich „angemessene Vorkehrungen“ auf Einzelpersonen beziehe. Weiterhin erklärte der Ausschuss, die Pflicht zur Herstellung der Zugänglichkeit sei eine ex-ante-Pflicht, sei also von Beginn an mitzudenken. Die Vertragsstaaten seien daher verpflichtet, Zugänglichkeit herzustellen, bevor eine Anfrage eines Einzelnen auf Zugang oder Nutzung eines Ortes oder einer Dienstleistung eingehe. Die Pflicht zur Verwirklichung der Zugänglichkeit gelte vorbehaltlos, das bedeute, die zur Herstellung der Zugänglichkeit verpflichtete Stelle könne sich nicht auf die daraus resultierende Belastung berufen, wenn sie ihrer Pflicht nicht nachkomme. Im Gegensatz dazu bestehe die Pflicht zu angemessenen Vorkehrungen nur dann, wenn die Verwirklichung keine unzumutbare Belastung für diese Stelle bedeute.

Weiterhin führte der Ausschuss aus, dass Menschen mit Behinderungen sich mit technischen und umweltbedingten Barrieren konfrontiert sehen könnten. Dazu zähle zum Beispiel der Mangel an Formaten mit zugänglichen Informationen. Gemäß Artikel 9 Absatz 1 BRK müssten die Vertragsstaaten daher gewährleisten, geeignete Maßnahmen mit dem Ziel zu treffen, dass Menschen mit Behinderungen der gleichberechtigte Zugang zu Transportmitteln, Information und Kommunikation, einschließlich Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen, offenstehe beziehungsweise dieser für sie bereitgestellt werde. Die Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechnologien liege in ihrer Möglichkeit, eine große Vielfalt von Dienstleistungen zu erschließen, bestehende Dienstleistungen zu verändern und ein größeres Angebot an Zugang zu Informationen und Wissen zu schaffen, insbesondere für unterversorgte und ausgeschlossene Bevölkerungsgruppen. Dies betreffe zum Beispiel Menschen mit Behinderungen. Neue Technologien könnten die volle und gleichberechtigte Teilhabe von  Menschen mit Behinderungen fördern. Dies setze jedoch voraus, dass sie in einer Art und Weise gestaltet seien, dass sie auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich seien. Neue Investitionen, Forschung und Produkte sollten Ungleichbehandlung beseitigen, nicht aber neue Hindernisse schaffen. Daher fordere Artikel 9 Absatz 2 BRK die Vertragsstaaten auf, geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Gestaltung, Entwicklung, Herstellung und den Vertrieb zugänglicher Informations- und Kommunikationstechnologien und -systeme in einem frühen Stadium zu fördern, sodass deren Zugänglichkeit mit möglichst geringem Kostenaufwand erreicht werden könne. Weiterhin seien die Vertragsstaaten gemäß Artikel 5 Absatz 2 BRK verpflichtet, jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu verbieten und Menschen mit Behinderungen gleichen und wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, aus welchen Gründen auch immer, zu garantieren. In diesem Rahmen seien die Vertragsstaaten angehalten, die Verweigerung des Zugangs zu Transportmitteln, Informationen und Kommunikation sowie zu Diensten, die der Öffentlichkeit offenstehen, eindeutig als verbotene diskriminierende Handlung zu definieren.

Bei den Informationen, die in diesem Fall visuell an den Haltestellen der Tramlinie 3 verfügbar seien, handele es sich um ergänzende Serviceleistungen, die darauf abzielten, die Nutzung der Tramlinie zu erleichtern. Diese Informationen bildeten daher einen integralen Bestandteil der zu erbringenden Beförderungsleistung. Der Ausschuss habe daher der Fragestellung nachgehen müssen, ob Österreich ausreichende Vorkehrungen getroffen habe, Menschen mit Sehbehinderungen Informationen über Transportleistungen zugänglich zu machen. Die Linz Linien GmbH habe seit 2004 Tramhaltestellen mit digitalen Audiosystemen ausgestattet. 2011 habe sie das Liniennetz der Tramlinie 3 erweitert, ohne diese jedoch mit digitalen Audiosystemen auszustatten. Dies sei der Linz Linien GmbH bereits bei der Planung der neuen Strecke bekannt gewesen. Obwohl die Audiosysteme bereits zum Zeitpunkt der Errichtung der neuen Tramlinie zu einem geringen Kostenaufwand hätten eingebaut werden können, habe die Linz Linien GmbH hiervon abgesehen. Dies hätte es F. aber ermöglicht, gleichberechtigt mit anderen schnellen Zugang zu Echtzeitinformationen zu haben. Auf diese Informationen könne er auch nicht durch die Nutzung des Internets und seines Mobilfunkgerätes zurückgreifen beziehungsweise würden ihm diese Informationen nicht durch das Statusbenachrichtigungssystem zur Verfügung gestellt. Die Nichtbereitstellung der Audiosysteme bei der Erweiterung der Tramlinie 3 habe damit dazu geführt, dass F. der Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen wie auch zu Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit offenstehen, verwehrt sei.

Hinsichtlich der Artikel 19 und 20 BRK konnte der Ausschuss keine Verletzung feststellen, da der Beschwerdeführer diesbezüglich keine ausreichenden Angaben gemacht habe.

3.3 Empfehlungen (Rz. 9)

Der Fachausschuss empfahl der österreichischen Regierung in Bezug auf F. die Beseitigung der fehlenden Zugänglichkeit zu den nur visuell wahrnehmbaren Informationen für alle Linien des Tramnetzwerks sowie die Zahlung einer angemessenen Entschädigung.

Allgemein sei Österreich verpflichtet, ähnliche Verletzungen der UN-BRK in Zukunft zu verhindern. Deshalb müsse der Staat sicherstellen, dass die Mindestkriterien für die Zugänglichkeit zum öffentlichen Personenverkehr gewahrt werden. Der Ausschuss empfahl, ein Regelwerk zu schaffen, das klare, vollstreckbare und zeitlich befristete Zielvorgaben enthalte, um schrittweise entsprechende Änderungen und Anpassungen vornehmen zu können. Dazu zähle, dass alle neuen Tramlinien und das übrige öffentliche Beförderungsnetzwerk für Personen mit Behinderungen vollständig zugänglich gemacht werden. Weiterhin solle die österreichische Regierung Weiterbildungsprogramme für alle Berufsgruppen organisieren, die in die Gestaltung, den Bau und die Ausstattung des öffentlichen Beförderungsnetzwerks eingebunden sind. Der Ausschuss empfahl überdies, bestehende Gesetze unter Beachtung seiner Rechtsauffassung zu ändern. Dies schließe ein, einen Sanktionsmechanismus zu entwickeln, um all jene zur Verantwortung zu ziehen, die ihren Verpflichtungen aus dem künftigen Regelwerk nicht nachkommen.

4. Bedeutung für die Rechtspraxis

In seiner Entscheidung bestätigte der UN-CRPD, dass die Verweigerung des Zugangs zu Informations- und Kommunikationstechnologien und zu öffentlichen Diensten eine Diskriminierung wegen einer Behinderung im Sinne des Artikels 2 Absatz 3 BRK darstellt. Die Vertragsstaaten sind ex ante, also zu dem Zeitpunkt, zu dem sie Informationen visuell für Menschen ohne Behinderungen zur Verfügung stellen, verpflichtet, Menschen mit Sehbehinderungen vollen und gleichberechtigten Zugang zu diesen Informationen zu gewährleisten. Informationen, die nur durch Anwendungen im Internet oder auf Mobilfunkgeräten zugänglich sind, erfüllen die Zugänglichkeitskriterien der BRK nicht.

Die Argumentation des CRPD kann in Schriftsätzen oder im Dialog mit Verkehrsbetrieben und Behörden verwendet werden. Dies bietet sich etwa bei Konflikten mit deutschen Verkehrsbetrieben und Baubehörden an, die sich weigern, angemessene Änderungen und Anpassungen für sehbehinderte Menschen vorzunehmen.

5. Follow up (Stand: August 2017)

Die österreichische Regierung teilte im März 2016 (CRPD/C/16/3) mit, an der Umsetzung der Empfehlungen des Ausschusses zu arbeiten. Sie gab an, dass neue Anwendungen für Smartphones entwickelt worden seien und die Linz Linien GmbH eine Bestandaufnahme ihres Liniennetzes vornehme. Die entstandenen Rechtskosten vor innerstaatlichen Gerichten und dem Ausschuss habe F. selbst zu tragen. Die vom Ausschuss geforderten Ausbildungsprogramme existierten bereits. Daneben verwies die Regierung auf ihren Nationalen Aktionsplan, dessen Expertenkomitee die Empfehlungen des Ausschusses auf seinen Jahrestreffen diskutieren werde.

Der Ausschuss wartet auf eine Antwort der Regierung hinsichtlich der Erstattung der Rechtskosten für F. und konkreter Umsetzungsmaßnahmen.

6 Entscheidung im Volltext

CRPD_24.03.2015_F_v._Austria_ENG (PDF, 234 KB, nicht barrierefrei)

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