Die Bürgerrechtler_innen Ulrike Poppe und Thomas Krüger sprachen in einem Zeitzeug_innengespräch über ihre Wahrnehmung der Friedlichen Revolution 1989 und über die damalige Rolle der Menschenrechte.
Das konkrete Einfordern von formal gegebenen Grund- und Menschenrechten spielte eine entscheidende Rolle innerhalb der DDR-Oppositionsbewegung und bei der Friedlichen Revolution 1989. Und erst die Friedliche Revolution machte den Mauerfall möglich. So argumentierten die Bürgerrechtler_innen Ulrike Poppe und Thomas Krüger bei der Veranstaltung „Für ein offenes Land mit freien Menschen“ des Deutschen Instituts für Menschenrechte am 24. Oktober 2019 in Berlin. Die Durchsetzung dieser verbrieften Rechte, etwa des Wahlrechts oder des Versammlungsrechts, sei von sehr großer Bedeutung gewesen: „Am Anfang der Bewegung stand der klare Imperativ, das eigene Land zu demokratisieren. Dieser Prozess ging der Wiedervereinigung voraus“, so Krüger.
Dieser bürgerrechtliche Fokus, also der Fokus auf die allen Staatsbürger_innen gegebenen Rechten, lasse sich häufig aus der Biografie und den gesellschaftlichen Erfahrungen der Oppositionellen erklären. Während die 1960er-Jahre maximal durch einen „kulturell-lebensweltlichen“ Protest geprägt gewesen seien, habe sich die spätere Oppositionsbewegung aus einem wachsenden staatsbürgerlichen Bewusstsein entwickelt. „Irgendwann begann ich zu realisieren, dass ich als Bürgerin bestimmte Rechte habe, die in der Verfassung standen, die aber vom Staat nicht eingehalten wurden“, erzählte Poppe. Internationale Menschenrechtsabkommen wie die KSZE-Schlussakte von Helsinki bestätigten sie und ihre Mitstreiter_innen in diesem Denken.
Einflüsse aus der Jugendbewegung und dem Ausland
Sowohl Poppe als auch Krüger wurden bereits in ihrer Jugend mit den Einschränkungen des DDR-Systems konfrontiert, was sich beispielsweise an der Auswahl und der Konzeption der Studiengänge zeigte. Desillusioniert von den Inhalten des Studiums wandten sich beide Berliner Kreisen zu, die sich mit Westliteratur beschäftigten. Krüger fand zudem früh eine gesellschaftliche Nische in der Kirche und gewisse Freiheit über das Reisen mittels Transitvisum: „Alle haben versucht, ihre eigenen Wege zu finden.“ Anreize, sich gegen die staatliche Normierung zu widersetzen, wurden durch die internationale Jugendkultur verstärkt. Laut Poppe erwuchs daraus der Drang, sich bestimmte Freiräume zu erhalten.
Letztlich sei der internationale Einfluss auch für die in den 1980er-Jahren stark wachsende Opposition entscheidend gewesen. So sah sich die Initiative „Frauen für den Frieden“, in der Poppe aktiv engagiert war, als Teil einer weltweiten Bewegung, die ihre Ursprünge in Skandinavien hatte. Einen großen Einfluss von außen hatten auch die Bürger_innenbewegungen Osteuropas. Die „Solidarność“ aus Polen beeinflusste die Oppositionellen in der DDR in hohem Maße. Auf der anderen Seite gab es aber auch Negativbeispiele aus anderen Ländern: „Das Massaker von Tian'anmen in China hing 1989 wie ein Damoklesschwert über uns“, so Poppe.
Organisatorisch seien die unterschiedlichen Gruppen vor allem in der frühen Phase der Friedlichen Revolution sehr lose und „mit offenen Rändern“ verknüpft gewesen. Krüger beschrieb die Struktur der „Kirche von unten“ als mitunter „sehr chaotisch“. „Wir hatten einen klassischen informellen Charakter. Die Kirche von unten war eine Art Plattform, die auch Punks dazu genutzt haben, zu diskutieren oder auch einfach nur zum Feiern“, erzählte Krüger, der sich dort engagierte. Insgesamt hätten viele der damaligen Organisationen kein nachhaltiges Zugehörigkeitsgefühl kreiert. Ihre große Errungenschaft sei vielmehr darin zu sehen, dass sie es schafften, Menschen, die den Mut hatten, die eigenen Verhältnisse und das ganze Land demokratischer und gerechter gestalten zu wollen, zu mobilisieren und zusammenzubringen.
Das Erbe der Friedlichen Revolution
Die Werte der Friedlichen Revolution – wie das Streben nach Freiheit, Demokratie und der Verwirklichung der Menschenrechte - sind laut den beiden Zeitzeug_innen auch heute noch sehr relevant. Genauso verhalte es sich in Teilen allerdings auch mit autoritären Vorstellungen der SED. Krüger zog hierbei eine Parallele zwischen dem staatlichen Menschenbild der DDR-Führung und dem gegenwärtiger rechtsextremer Strömungen: „Wenn ich heute an die völkischen Festungsmentalitäten des Rechtspopulismus denke, ist das für mich ‚DDR revisited‘. Es wird vorgeschrieben, wie man zu leben und wie man sich zu positionieren hat, nur um ein homogenes Menschenbild in den Raum zu stellen.“
Um das Erbe der Revolution selbst wird heute heftig gestritten. Krüger zufolge gibt es mehrere unterschiedliche Erzählungen, nach denen die Friedliche Revolution zu interpretieren ist. Mit Geschichte gelte es demokratisch umzugehen und auszuhalten, dass es auch Interpretationsmöglichkeiten aus anderen Perspektiven gebe. Dennoch müsse man für seine Sichtweise streiten, wenn etwa die AfD versuche, die Friedliche Revolution für sich in Anspruch zu nehmen, oder wenn sämtliche negativen Entwicklungen in den neuen Bundesländern auf die Wiedervereinigung bezogen würden. Auch Poppe forderte hier ein entschlossenes Dagegenhalten und plädierte dafür, die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung und die folgenden Herausforderungen klar zu benennen: „Wir haben es selbst geschafft, freie Wahlen zu ermöglichen und dadurch eine demokratische Struktur zu schaffen. Dennoch mussten wir noch lernen, mit dieser Freiheit umzugehen. Und dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen.“
(T. Stelzer)
Audio-Mitschnitt des Zeitzeug_innengesprächs mit Ulrike Poppe und Thomas Krüger
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Das Gespräch fand im Rahmen der Veranstaltung „Für ein offenes Land mit freien Menschen“ des Deutschen Instituts für Menschenrechte am 24.10.2019 statt
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