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CRPD, Mitteilung Nr. 39/2017 (Domina und Bendtsen vs. Dänemark)

CRPD, Auffassungen vom 31.08.2018, Mitteilung Nr. 39/2017, Iuliia Domina und Max Bendtsen gegen Dänemark

1. Sachverhalt (Rz. 2.1-2.3)

Iuliia Domina (I. D.) und Max Bendtsen (M. B.) sind seit 2013 verheiratet und haben seit 2015 einen gemeinsamen Sohn. I. D. hat die ukrainische Staatsangehörigkeit, ihr Mann M. B. hat die dänische Staatsangehörigkeit. M. B. ist seit einem Autounfall im Jahr 2009 stark beeinträchtigt und nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er erhält seitdem Sozialhilfe. Da I. D. ukrainische Staatsbürgerin ist, benötigt sie eine Aufenthaltsgenehmigung, um in Dänemark leben zu können. Das dänische Einwanderungsgesetz sieht vor, dass eine Familienzusammenführung dann ausgeschlossen ist, wenn der*die dänische Ehepartner*in drei Jahre oder länger vor der Zusammenführung Sozialhilfe erhalten hat. Auf dieser gesetzlichen Grundlage verweigerte die Einwanderungsbehörde I. D. im August 2013 die Aufenthaltsgenehmigung. Ein hiergegen eingelegter Rechtsbehelf blieb erfolglos. Das zuständige dänische Landgericht (Eastern High Court) stellte im Dezember 2015 fest, dass diese Entscheidung das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verletze, wenn die Voraussetzungen für den Antrag auf Familienzusammenführung aufgrund einer Beeinträchtigung nicht erfüllt werden könnten. Der dänische Oberste Gerichtshof (Supreme Court) hob diese Entscheidung ein Jahr später jedoch wieder auf. Er begründete seine Entscheidung damit, dass M. B. an einer Maßnahme zur Beseitigung seiner Arbeitslosigkeit teilgenommen habe und einer speziellen flexiblen Beschäftigung nachgehen könne. Daher sei M. B. in der Lage, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und befinde sich in der gleichen Situation wie andere Personen, die soziale Leistungen erhalten hätten.

2. Verfahren vor dem UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) (Rz. 3.1-6.2)

Das Paar sieht sich einer Diskriminierung aufgrund der Behinderung des Beschwerdeführenden ausgesetzt. Außerdem sei ihr Recht auf Familie verletzt.

Artikel 5 BRK sei verletzt, weil die dänischen Behörden den Begriff der Diskriminierung nicht richtig anwendeten, denn weder die Pflicht zu angemessenen Vorkehrungen noch zum Schutz gegen indirekte Diskriminierung würden berücksichtigt. Auch sei nicht in Betracht gezogen worden, dass sich Menschen mit Behinderungen in einer grundlegend anderen Situation als andere Menschen befänden, wenn sie Zugang zum Arbeitsmarkt suchten, und dass M. B. aufgrund seiner Beeinträchtigung einen gravierenden Nachteil habe.

In Bezug auf Artikel 23 BRK tragen die Beschwerdeführenden vor, dass das Erfordernis, dass man seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten können muss, um eine Familienzusammenführung zu erhalten, ein Hindernis für einen Menschen mit Behinderungen darstelle. Darüber hinaus würde eine Abschiebung von I. D. einen nicht wiedergutzumachenden Schaden für die Familie darstellen, denn das Kind müsste der Mutter in die Ukraine folgen, da es abhängig von ihr sei. (Wenn I. D. keinen Aufenthaltstitel hat, hat sie kein Bleiberecht und würde abgeschoben.)

Die dänische Regierung weist die Beschwerde als unzulässig, hilfsweise unbegründet, zurück.

Die Mitteilung sei gemäß Artikel 2 Buchstabe e) des Zusatzprotokolls zur UN-BRK unzulässig, da sie nicht hinreichend substantiiert worden sei.

Der Vertragsstaat Dänemark weist darauf hin, dass das Ausländergesetz sich auf das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen beziehe, indem es vorschreibe, dass Ausländer*innen, die eine oder mehrere der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis wegen einer Beeinträchtigung nicht erfüllen könnten, diesbezüglich eine Ausnahme gewährt werde. Andere Voraussetzungen, die nicht mit der Behinderung der ausländischen Person in Zusammenhang stünden, müssten hingegen (wie von anderen Personen auch) erfüllt werden.

Weiterhin hätten die Beschwerdeführenden, so die dänische Regierung, nichts zum gesundheitlichen Zustand von M. B. vorgetragen, woraus sich ergeben würde, warum er seinen Wohnsitz nicht in der Ukraine nehmen könne und sie dort als Familie leben könnten. Allein der Umstand, dass M. B. eine Beeinträchtigung habe, rechtfertige keine Ausnahme von den Regeln zur Familienzusammenführung.

Zudem habe M. B. eine Erwerbsunfähigkeitsrente abgelehnt, weil er eine Verbindung zum Arbeitsmarkt aufrechterhalten wolle. Daher sei es den staatlichen Stellen nicht möglich gewesen, eine Ausnahme nach Artikel 9 Absatz 5 Ausländergesetz zu machen und von der Voraussetzung abzusehen, dass der Lebensunterhalt selbst bestritten werde.

Schließlich bringt die dänische Regierung vor, dass der Verweis der Einwanderungsbehörde auf die Möglichkeit, dass die Beschwerdeführenden ihr Recht auf Familie in der Ukraine genießen, nicht gegen Artikel 5 BRK verstoße. Auch Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verpflichte die Mitgliedsstaaten nicht allgemein dazu eine Familienzusammenführung zu gewähren, die dem Paar das Recht gebe frei zu wählen, in welchem Staat es leben wolle. Staaten hätten das Recht, den Zugang von Ausländer*innen zu ihrem Staatsgebiet zu kontrollieren und in diesem Zusammenhang Regeln für den Familienzusammenführung aufzustellen. Im vorliegenden Fall könne allein der Umstand, dass der Beschwerdeführende eine Beeinträchtigung habe, nicht dazu führen, dass keine Feststellungen darüber getroffen werden sollten, ob die Familie auch im Heimatstaat von I. D., der Ukraine, leben könne. Eine solche Feststellung würde aber getroffen werden, wenn der*die Ehepartner*in keine Beeinträchtigung habe. Daher würde M. B. in eine bessere Situation gebracht werden als ein Mensch ohne Behinderungen.

M. B. erwidert, dass er aufgrund seiner Beeinträchtigung diskriminiert werde, weil seine Situation von den Gerichten im Wesentlichen der Situation einer Person ohne Behinderungen gleichgesetzt worden sei. Überdies sei zu beachten, dass er und seine Frau selbst für den Fall, dass er eine Beschäftigung im Rahmen des staatlichen Lohnförderungsprogramms aufgenommen hätte, dennoch weitere drei Jahre nach dem Beschäftigungsbeginn hätten warten müssen. Zudem würde diese Beschäftigung auch im Rahmen der sozialen Leistungen erfolgen.

3. Entscheidung des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CPRD)

Der Ausschuss hat entschieden, dass die dänische Regierung ihre Pflichten nach Artikel 5 Absatz 1 und Absatz 2 BRK für sich und in Zusammenhang mit Artikel 23 Absatz 1 BRK verletzt habe. Der Ausschuss empfahl, I. D. nicht auszuweisen.

3.1 Zulässigkeit (Rz. 7.1-7.5)

Der Ausschuss erklärte die Mitteilung gemäß Artikel 2 des Fakultativprotokolls zur UN-BRK und nach Regel 65 seiner Verfahrensordnung für zulässig.

Der Ausschuss stellte zunächst gemäß Artikel 2 Buchstabe c) des Fakultativprotokolls fest, dass dieselbe Frage nicht bereits von ihm geprüft wurde oder im Rahmen eines anderen internationalen Verfahrens geprüft wurde oder wird.

Dänemark stellte die Zulässigkeit der Mitteilung wegen mangelnder Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe nicht infrage. Damit ist die Mitteilung auch nach Artikel 2 Buchstabe d) des Fakultativprotokolls zulässig.

Der Ausschuss nahm zur Kenntnis, dass die dänische Regierung den Einwand vorgebracht hatte, die Mitteilung sei nicht hinreichend substantiiert worden und daher gemäß Artikel 2 Buchstabe e) des Fakultativprotokolls unzulässig. Der Ausschuss stellte diesbezüglich jedoch fest, die Beschwerdeführenden hätten vorgetragen, dass das Erfordernis, den Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können, um die Voraussetzungen für eine Familienzusammenführung zu erfüllen, ein Hindernis für Menschen mit Behinderungen darstelle. Weiterhin hätten die Beschwerdeführenden vorgebracht, dass die staatlichen Stellen bei ihren Entscheidungen nicht berücksichtigt hätten, dass sich Menschen mit Behinderungen gegenüber Menschen ohne Behinderungen in einer nachteiligen Situation auf dem Arbeitsmarkt befänden. Schließlich hätten die Beschwerdeführenden vorgetragen, dass die Ausweisung von I. D. einen nicht wiedergutzumachenden Schaden für das Familienleben bedeuten würde. Vor diesem Hintergrund kam der Ausschuss zu dem Ergebnis, dass die Beschwerdeführenden ihre Mitteilung an den Ausschuss ausreichend substantiiert haben.

3.2 Begründetheit (Rz. 8.1-8.6)

Der Ausschuss erinnert daran, dass „Diskriminierung aufgrund von Behinderung“ in Artikel 2 Absatz 3 BRK definiert wird als „jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen oder jedem anderen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird. Sie umfasst alle Formen der Diskriminierung, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen“. Der Ausschuss erinnert auch daran, dass ein neutral angewendetes Gesetz diskriminierende Auswirkungen haben könne, wenn die besonderen Umstände der Person, auf die das Gesetz Anwendung finde, nicht berücksichtigt würden. Staaten könnten das Recht auf Nichtdiskriminierung verletzen, indem sie Personen, die sich in wesentlich unterschiedlichen Situationen befänden, ohne objektive und angemessene Rechtfertigung nicht unterschiedlich behandelten. Indirekte Diskriminierung aufgrund von Behinderung meine, dass Gesetze, Politiken oder Verfahren zunächst zwar neutral erschienen, im Ergebnis aber unverhältnismäßig negative Auswirkungen auf einen Menschen mit Behinderungen hätten. Dies trete auf, wenn eine Möglichkeit, die zugänglich erscheine, tatsächlich bestimmte Personen angesichts ihres Status davon ausschließe, von der Möglichkeit zu profitieren. Der Ausschuss weist darauf hin, eine Behandlung sei indirekt diskriminierend, wenn die nachteiligen Auswirkungen einer Regel oder Entscheidung ausschließlich oder überproportional Menschen beträfen, die eine bestimmte Hautfarbe, ein bestimmtes Geschlecht, eine bestimmte Sprache, Religion, politische oder sonstige Überzeugung, nationale oder soziale Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigen Stand haben. Ein Mensch mit Behinderungen zu sein falle ebenfalls hierunter. Weiterhin verpflichte Artikel 5 Absatz 1 die Vertragsstaaten dazu, anzuerkennen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich seien, vom Gesetz gleich zu behandeln seien und ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz und gleiche Vorteile durch das Gesetz hätten. Gemäß Artikel 5 Absatz 2 BRK verböten die Vertragsstaaten jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung und garantierten Menschen mit Behinderungen gleichen und wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, gleichviel aus welchen Gründen.

Im vorliegenden Fall sei, so der Ausschuss, der Beschwerdeführende zum Zeitpunkt des Antrags auf Familienzusammenführung noch nicht in das Lohnförderprogramm aufgenommen gewesen, sodass er damals auch nicht die Voraussetzungen von Artikel 9 Absatz 5 Ausländergesetz habe erfüllen können. Erst im März 2015 habe abschließend festgestellt werden können, ob M. B. in das Lohnförderprogramm aufgenommen werde. Seine Anstellung im Rahmen dieses Programms sei dann im Oktober 2015 erfolgt, also sechs Jahre nachdem er erstmals Sozialleistungen bezogen habe und zweieinhalb Jahre nachdem der Antrag auf Familienzusammenführung gestellt worden sei. Unbestritten geblieben sei auch, dass die Beschwerdeführenden gemäß Artikel 9 Absatz 5 Ausländergesetz ab Oktober 2015 nochmals drei Jahre hätten warten müssen, bis sie die Voraussetzungen für eine Familienzusammenführung erfüllt hätten. Aus diesen Gründen erklärt der Ausschuss, dass das im Ausländergesetz normierte Erfordernis, den Lebensunterhalt selbständig zu bestreiten, M. B. als Person mit Behinderungen unverhältnismäßig beeinträchtige und einer indirekten Diskriminierung aussetze.

Die staatlichen Stellen hätten den Antrag auf Familienzusammenführung aufgrund von Kriterien abgelehnt, die Menschen mit Behinderungen indirekt diskriminierten. Hierdurch sei gegen das Recht des Beschwerdeführenden aus Artikel 23 Absatz 1 BRK allein und in Verbindung mit Artikel 5 Absatz 1 und Absatz 2 BRK verstoßen worden.

3.3 Empfehlungen (Rz. 9)

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die dänische Regierung gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 5 Absatz 1und 2 BRK allein und in Verbindung mit Artikel 23 Abs. 1 BRK verstoßen habe. Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat daher:

a) im Hinblick auf die Beschwerdeführenden

i) einen effektiven Rechtsbehelf, einschließlich der angemessenen Kompensation der Rechtsverfolgungskosten in dieser Rechtssache, bereitzustellen

ii) I. D. nicht in die Ukraine auszuweisen und sicherzustellen, dass das Recht der Beschwerdeführenden im Vertragsstaat geachtet wird

iii) die vorliegende Mitteilung zu veröffentlichen und in einem zugänglichen Format zu verbreiten, sodass sie für alle Teile der Bevölkerung verfügbar ist.

b) im Allgemeinen ist der Vertragsstaat verpflichtet Maßnahmen zu ergreifen, die ähnliche Situationen in Zukunft verhindern. In diesem Zusammenhang fordert der Ausschuss von Dänemark, dass in den innerstaatlichen Gesetzen alle Hindernisse beseitigt werden, die Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Genuss des Rechts auf Familie verwehren.

 

4. Bedeutung für die Rechtspraxis

In seiner Entscheidung verdeutlichte der Ausschuss, dass auch Maßnahmen, die auf den ersten Blick neutral erscheinen, diskriminierend wirken können. Der Ausschuss äußert sich damit maßgeblich zur indirekten Diskriminierung.

Die Argumentation des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen kann in Schriftsätzen oder im Dialog mit staatlichen Stellen verwendet werden, wenn die Auswirkungen einer Bestimmung ausschließlich oder weit überwiegend Menschen mit Behinderungen aufgrund ihrer Beeinträchtigung betreffen und Menschen mit Behinderungen damit ein Recht oder eine Möglichkeit verwehrt wird, in deren Genuss Menschen ohne Behinderungen kommen.

5. Entscheidung im Volltext

CRPD_31_08_2018_Iuliia Domina and Max Bendtsen v. Denmark.pdf (PDF, 310 KB, nicht barrierefrei)

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