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CRPD, Mitteilung Nr. 1/2010 (Nyusti and Takács vs. Hungary)

CRPD, Auffassungen vom 16.04.2013, Szilvia Nyusti und Péter Takács (vertreten durch Tamás Fazekas, Hungarian Helsinki Committee) gegen Ungarn

1. Sachverhalt (Rz. 2.1-2.16)

Szilvia Nyusti (S. N.), geboren 1979, und Péter Takács (P. T.), geboren 1977, haben eine starke Sehbehinderung. Beide führen ein Privatkonto bei der OTP Bank Zrt. (OTP). Ihr mit der OTP geschlossener Vertrag ermöglicht ihnen, Bankkarten zu nutzen. Da die Geldautomaten der OTP weder mit Brailleschrift noch mit akustischen Anweisungen ausgestattet sind, sind sie auf die Hilfe anderer angewiesen, um die Bankdienstleistungen der OTP an den Geldautomaten nutzen zu können. Für die Nutzung der Bankkarten und weitere Dienste der OTP bezahlen S. N. und P. T. dieselben Jahresgebühren wie Bankkund*innen, die nicht sehbehindert sind, obwohl sie die Dienstleistungen nicht in vollem Umfang in Anspruch nehmen können.

Im April 2005 forderten S. N. und P. T. die Bank auf, die Geldautomaten, die sich in der Nähe ihrer Wohnorte befinden, an ihre Bedürfnisse anzupassen. Ihren Anspruch leiteten sie aus dem ungarischen Gleichstellungsgesetz her. Nachdem sich die OTP weigerte, ihren Forderungen nachzukommen, reichten die beiden im August 2005 Klage ein. Sie führten an, dass die OTP ihren Anspruch auf Gleichbehandlung verletze und ihnen dieselben Dienste wie Bankkund*innen ohne Sehbehinderungen zu erbringen habe. Die OTP müsse, auf der Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuches, alle Geldautomaten an die Bedürfnisse von sehbehinderten Menschen anpassen beziehungsweise diese bevölkerungsproportional umrüsten. Nach dem Gleichstellungsgesetz und den Vorschriften zur Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen des Gesetzes über die bebaute Umwelt sei ein Geldautomat als ein Teil eines Gebäudes, also der „bebauten Umwelt“, anzusehen, was bedeute, dass die OTP verpflichtet sei, diese für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen.

Dagegen trug die Bank vor, dass es Aufgabe der Regierung sei, für barrierefreien Zugang zu sorgen, und ihr eine unverhältnismäßig hohe finanzielle Last durch die Umrüstung der Geldautomaten auferlegt werde. Auch stelle die geforderte Anpassung aufgrund ihrer „besonderen Situation“ ein Sicherheitsrisiko für sehbehinderte Personen dar. Falls eine solche Umrüstung vorgenommen würde, liege es nahe, dass mehr sehbehinderte Personen von den Selbstbedienungsleistungen der Geldautomaten Gebrauch machen würden, ohne dabei die Hilfe anderer in Anspruch zu nehmen. Dies gefährde nicht nur die sichere Bedienung der Geldautomaten, sondern auch die sehbehinderte Person, die diese nutze. Schließlich, so die OTP, habe das Gericht kein Recht, in die privatrechtliche Vertragsbeziehung zwischen Bank und Kund*innen einzugreifen.

Im Mai 2007 gab das erstinstanzliche Gericht S. N. und P. T. Recht. Es liege eine unmittelbare Benachteiligung der beiden vor, da die OTP sicherstellen müsse, dass auch Kund*innen mit Sehbehinderungen die Bankdienstleistungen an Geldautomaten barrierefrei nutzen können. Auf Grundlage des Gleichstellungsgesetzes ordnete das Gericht an, dass die OTP innerhalb von 120 Tagen eine bestimmte Anzahl an Geldautomaten in der Hauptstadt und in den Wohnorten der Kläger*innen nachrüsten müsse. Dabei sei das Gleisstellungsgesetz auch auf Vertragsbeziehungen im privaten Sektor anwendbar, da die OTP ihre Dienstleistungen einer Vielzahl von Kund*innen anbiete. Die Umrüstung könne die Bank im Rahmen der Jahreswartung ihrer Geldautomaten vornehmen. Davon ausgenommen seien lediglich jene Geldautomaten, die nicht nachgerüstet werden können.

Im Juli 2007 legten S. N. und P. T. Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung ein. Sie forderten, alle Geldautomaten in Ungarn umzurüsten, da ihrem Recht auf Freizügigkeit und auf freie Wahl ihres Wohnorts entsprochen werden müsse. Dafür sei die Frist von 120 Tagen zu kurz. Zudem mache die Umrüstung nur 0,12 Prozent des Jahresumsatzes der OTP aus, was keine unverhältnismäßig hohe finanzielle Belastung darstelle. Im Januar 2008 gab das Berufungsgericht den Kläger*innen nicht Recht. Es stellte fest, dass die Vorschriften des Gleichstellungsgesetzes nicht auf die OTP anwendbar seien. Vorrang müsse hier dem Grundsatz der Vertragsfreiheit der Bank gegeben werden. Das Gericht könne daher nicht in die bestehende Vertragsbeziehung zwischen der OTP und ihren Kund*innen eingreifen. Auch sei Klagegegenstand die Zugänglichkeit zu Bankdienstleistungen an Geldautomaten und nicht die „bebaute Umwelt“, womit die OTP keinen Zugriff auf die Geldautomaten habe, um diese umzurüsten. Es liege zwar eine mittelbare Benachteiligung der Kläger*innen vor. Diese beeinträchtige aber nicht ihre Menschenwürde, da es S. N. und P. T. zuzumuten sei, auf die Hilfe anderer bei der Nutzung von Geldautomaten zurückzugreifen.

Die Revision gegen diese Entscheidung blieb ohne Erfolg. Das Oberste Gericht schloss sich der Entscheidung des Berufungsgerichts an. Bei dem Vertragsabschluss mit der OTP hätten sich S. N. und P. T. mit den Vertragsbedingungen der Bank einverstanden erklärt, einschließlich der eingeschränkten Zugänglichkeit ihrer Dienste. Mit ihrer Unterschrift hätten sie ihrer Benachteiligung zugestimmt.

2. Verfahren vor dem UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD)

S. N. und P. T. reichten 2010 vor dem UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) eine Beschwerde unter Berufung auf die Artikel 5, 9 und 12 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) ein.

Die Beschwerde sei zulässig im Hinblick auf Artikel 2 Buchtstabe f des fakultativen Zusatzprotokolls zur BRK, da die der Beschwerde zugrundeliegenden Tatsachen auch nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls weiterbestanden hätten. Das Zusatzprotokoll sei im Mai 2008 in Kraft getreten, während über ihre Revision im Februar 2009 entschieden worden sei (Rz. 2.17).

Die Beschwerde sei auch begründet, da eine Verletzung der Vorschriften aus den Artikeln 5 Absatz 2 und 3, Artikel 9 und Artikel 12 Absatz 5 BRK vorliege. Die ungarische Regierung habe nicht für die wirksame Umsetzung der Behindertengesetzgebung gesorgt. Während das erstinstanzliche Gericht gezeigt habe, dass eine konventionskonforme Auslegung der nationalen Gesetzgebung möglich sei, hätten die Entscheidungen des Berufungs- und Revisionsgerichts diesen Schutz nicht gewährt. Beide Gerichte hätten versäumt, das Recht auf gleichberechtigten Zugang zu den Dienstleistungen der Bank zu schützen und ihre unmittelbare Benachteiligung durch die fehlende Bereitstellung barrierefreier Geldautomaten durch die OTP im Sinne des Artikels 9 BRK festzustellen. Die Gerichte hätten die in diesem Rahmen durchzuführende Angemessenheitsprüfung fehlerhaft angewendet, indem sie nicht darauf abstellten, ob die Umrüstung der Geldautomaten eine unverhältnismäßige Belastung für die OTP darstellen würde, sondern auf die „Menschenwürde“ der Beschwerdeführer*innen.

Dadurch, dass weder das Berufungs- noch das Revisionsgericht die OTP verpflichtete, S. N. und P. T. dieselben Dienstleistungen wie anderen Bankkund*innen zur Verfügung zu stellen, liege zudem eine Verletzung der Vorschrift aus Artikel 5 Absatz 2 BRK (Diskriminierungsverbot) vor (3.1-3.4).

Die ungarische Regierung, an die die Beschwerde gerichtet war, wies diese als unbegründet zurück. Sie halte das Urteil des Obersten Gerichtshofs für „einwandfrei“ und sprach sich für eine „Drei-Schritt-Lösung“ aus. Danach seien Geldautomaten und andere Bankdienstleistungen für alle Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen. Alle Geldautomaten sollten, je nach verfügbaren Mitteln und technischen Möglichkeiten, schrittweise umgerüstet beziehungsweise neu errichtet werden. Dies solle für jedes ungarische Kreditunternehmen gelten. Über diesen Plan habe die Regierung den Vorstandsvorsitzenden der OTP und den Präsidenten der ungarischen Bankenaufsicht informiert. Die OTP sei gebeten worden, der Barrierefreiheit Vorrang bei der Errichtung neuer Geldautomaten einzuräumen, und die Bankenaufsicht sei angewiesen worden, branchenspezifische Vorschriften zu erarbeiten beziehungsweise in diesem Rahmen Anreize für die Banken zu schaffen (Rz. 4.1-4.5).

S. N. und P. T. erwiderten, die Regierung verstoße dadurch, dass sie der Entscheidung des Obersten Gerichtshof zugestimmt habe, gegen die BRK. Entweder habe Ungarn nicht die erforderlichen gesetzgeberischen Maßnahmen ergriffen, um die BRK in nationales Recht umzusetzen, oder Ungarn habe gegen die BRK verstoßen, indem die Regierung keinen Einwand gegen die offensichtlich fehlerhafte Auslegung der nationalen Gesetzgebung durch das Berufungs- und Revisionsgericht erhoben habe. Die Vertragsstaaten hätten sicherzustellen, dass die Rechte von Menschen mit Behinderungen wirksam durch die nationalen Gerichte geschützt und Gesetze im Einklang mit der BRK ausgelegt würden. Das Verfassen von Briefen an die OTP und die Bankenaufsicht genüge dem nicht.

Auch könne der „Drei-Schritt-Plan“ keine Abhilfe für die Situation der Beschwerdeführer*innen und anderer sehbehinderter Personen in Ungarn schaffen, weil der Oberste Gerichtshof ihnen nicht Recht gab. Insbesondere werde sich die Einstellung der OTP gegenüber Menschen mit Behinderungen nicht ändern. Die Bank habe, als das Gerichtsverfahren gegen sie noch anhängig gewesen sei, 300 neue Geldautomaten erworben, die nicht an die Bedürfnisse von sehbehinderten Menschen angepasst werden könnten (Rz. 5.1-5.8).

Die Regierung führte aus, dass sie der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs „voll zustimme“. Aufgrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes sei sie auch nicht imstande, diese endgültige Entscheidung zu ändern. Sie werde sich aber langfristig für den gleichberechtigten Zugang zu Bankdienstleistungen für Menschen mit Behinderungen einsetzen. Der Präsident der OTP habe sie informiert, dass 90 Prozent ihrer Filialen und der dort befindlichen Geldautomaten für Personen mit eingeschränkter Mobilität zugänglich seien. Zwar könne die OTP nur Geldautomaten umrüsten, die sich in ihren eigenen Räumlichkeiten befinden. An anderen Orten würden es die Verpächter*innen häufig ablehnen, entsprechende Anpassungen an den Geldautomaten vorzunehmen. Trotzdem werde die OTP innerhalb von vier Jahren dafür sorgen, alle Geldautomaten umzurüsten. Weiterhin habe die Bankenaufsicht eine Empfehlung für alle ungarischen Kreditunternehmen erarbeitet (Rz. 6.1-6.5).

S. N. und P. T. führten an, dass es nicht Aufgabe der Regierung sei, Gerichtsurteile zu ändern, sondern dafür Sorge zu tragen, dass Gerichte die Rechte von Menschen mit Behinderungen gewährleisten. Es gehe in diesem Fall darum, dass die Gerichte eine ansonsten konventionskonforme Gesetzgebung falsch angewendet hätten. Weiterhin habe die Regierung keine rechtsverbindlichen Maßnahmen in die Wege geleitet, obwohl ihr dazu die erforderlichen Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Auch fehle es der nationalen Gesetzgebung an Vorschriften, die konkrete und vollstreckbare Maßnahmen hinsichtlich der Zugänglichkeit zu Informationen und Kommunikation für sehbehinderte Menschen einforderten. Im Übrigen habe die Regierung es versäumt, geeignete Maßnahmen für sehbehinderte Menschen zu treffen, um Diskriminierung aufgrund von Behinderung durch private Unternehmen vorzubeugen. Hierzu zähle nach Artikel 9 BRK auch, für barrierefreien Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen zu sorgen (Rz. 7.1-7.5).

3. Entscheidung des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD)

Der Fachausschuss stellte eine Verletzung von Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe b (Zugänglichkeit zu Diensten und Einrichtungen bei privaten Rechtsträgern) des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) fest (Rz. 10).

Die Prüfung des Artikels 5 Absatz 2 und 3 BRK (Diskriminierungsverbot und Bereitstellung angemessener Vorkehrungen) hielt er nicht mehr für erforderlich (Rz. 9.2).

Er stellte keine Verletzung des Artikels 12 Absatz 5 BRK (Selbstregulierung finanzieller Angelegenheiten) fest (Rz. 8.3).

Der Ausschuss empfahl der ungarischen Regierung, den Beschwerdeführer*innen die Bankdienstleistungen an den Geldautomaten der OTP zugänglich zu machen, die Begleichung ihrer Rechtskosten, die Zahlung einer angemessenen Entschädigung, und Maßnahmen zu ergreifen, um erneute Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden (Rz. 10).

3.1 Zulässigkeit (Rz. 8.1-8.4)

Der Fachausschuss erklärte die Beschwerde nur teilweise für zulässig, da die Beschwerdeführer*innen ihre Beschwerdebefugnis nur hinsichtlich der Artikel 5 und 9 BRK hinreichend begründet hätten. Dagegen erklärte der Ausschuss die Beschwerde unter Artikel 12 Absatz 5 BRK (Selbstregulierung finanzieller Angelegenheiten) für unzulässig, da die Beschwerde diesbezüglich nicht hinreichend begründet worden sei (Artikel 2 Buchstabe e des fakultativen Zusatzprotokolls).

Der Ausschuss führte aus, dass der Beschwerde zugrunde liegenden Tatsachen, namentlich die Unzugänglichkeit der Bankdienstleistungen an Geldautomaten der OTP, auch nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls weiterbestanden hätten (Artikel 2 Buchstabe f des fakultativen Zusatzprotokolls).

3.2 Begründetheit (Rz. 9.1-9.6)

Der Ausschuss stellte eine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführer*innen aus Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe b BRK fest.

Er stellte zunächst klar, dass sich die Beschwerde darauf bezog, dass die ungarische Regierung keine geeigneten Maßnahmen getroffen habe, um sicherzustellen, dass alle Geldautomaten der OTP für Menschen mit Sehbehinderungen zugänglich seien. Dadurch, dass die Regierung die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs für „einwandfrei“ gehalten beziehungsweise dieser „voll zugestimmt“ habe, habe sie den Standpunkt eingenommen, dass die Verpflichtung, gleichberechtigten Zugang zu Information, Kommunikation und anderen Diensten zu gewährleisten, nicht auf private Rechtsträger - wie die OTP -  anwendbar sei.

Gemäß Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe e BRK müssten die Vertragsstaaten alle geeigneten Maßnahmen ergreifen, um Diskriminierungen aufgrund von Behinderung durch Personen, Organisationen und private Unternehmen zu beseitigen. Weiterhin führe Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b BRK aus, dass die Vertragsstaaten verpflichtet seien, Zugangshindernisse und -barrieren für Informations- und Kommunikationsdienste, einschließlich elektronischer Dienste, festzustellen und zu beseitigen. Nach Artikel 9 Absatz 2 Buchstaben a und b BRK seien die Vertragsstaaten zudem angehalten, Mindeststandards und Leitlinien für die Zugänglichkeit von Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit offenstehen oder für diese bereitgestellt werden, zu erlassen beziehungsweise ihre Anwendung zu überwachen. Auch müssten die Vertragsstaaten sicherstellen, dass private Rechtsträger, die solche Einrichtungen und Dienste anbieten, alle Aspekte der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen berücksichtigen. Die ungarische Regierung habe zwar erkannt, dass die Zugänglichkeit der Geldautomaten der OTP für Menschen mit Sehbehinderungen ein Problem darstelle, das gelöst werden müsse. Die Maßnahmen, die sie ergriffen habe, gewährleisteten jedoch nicht, dass die Beschwerdeführer*innen oder andere Personen mit Sehbehinderungen Zugang zu den Bankdienstleistungen an den Geldautomaten der OTP erhielten.

3.3 Empfehlungen (Rz. 9)

Der Fachausschuss empfahl in Bezug auf S. N. und P. T., die Unzugänglichkeit zu den Bankdienstleistungen an den Geldautomaten der OTP unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Ausschusses zu beseitigen, die Begleichung ihrer Rechtskosten und die Zahlung einer angemessenen Entschädigung an sie.

Allgemein sei Ungarn verpflichtet, ähnliche Menschenrechtsverletzungen in Zukunft zu verhindern. Deshalb solle der Staat Mindeststandards für die Zugänglichkeit zu Bankdienstleistungen durch private Kreditunternehmen für sehbehinderte Menschen erlassen und ein entsprechendes Regelwerk aufstellen, einschließlich eines Plans zur konkreten und fristgebundenen Umsetzung dieses Regelwerks. Dieses Regelwerk solle helfen, zu überwachen, dass private Kreditunternehmen die erforderlichen Vorkehrungen treffen, um sehbehinderten Menschen Bankdienstleistungen an Geldautomaten zugänglich zu machen. Weiterhin habe Ungarn sicherzustellen, dass alle neu errichteten Geldautomaten für Menschen mit Behinderungen voll zugänglich sind, und Richter*innen sowie alle anderen Berufsgruppen, die in den Verfahrensablauf bei den Gerichten eingebunden sind, für die BRK und ihr fakultatives Zusatzprotokoll durch entsprechende Aus- und Fortbildungsprogramme sensibilisiert werden. Zuletzt trug der Ausschuss der ungarischen Regierung auf, dafür zu sorgen, dass die ungarische Gesetzgebung und ihre Anwendung durch die nationalen Gerichte im Einklang mit den in der BRK enthaltenen Rechten stehen und diesen nicht zuwiderlaufen.

4. Bedeutung für die Rechtspraxis

In seiner Entscheidung bestätigte der Fachausschuss UN-CRPD, dass die Nichtbeseitigung von Zugangshindernissen und -barrieren bei Diensten, die der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, eine Diskriminierung wegen einer Behinderung im Sinne des Artikels 2 Absatz 3 BRK darstellt. Dies gilt auch dann, wenn private Unternehmen diese Dienste anbieten. Zur Beseitigung dieser Zugangshindernisse und -barrieren müssen die Vertragsstaaten rechtsverbindliche Maßnahmen treffen.

Die Argumentation des CRPD kann in Schriftsätzen oder im Dialog zum Beispiel mit privaten Unternehmen verwendet werden. Dies bietet sich etwa bei Konflikten mit deutschen Kreditunternehmen an, die sich weigern, ihren Kund*innen barrierefreie Bankdienstleistungen anzubieten.

5. Follow up (Stand: August 2017)

Der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen begutachtete in seiner 16. Sitzung im Oktober 2016 den Staatenbericht der ungarischen Regierung (CRPD/C/16/3). Sie hat den Beschwerdeführer*innen die Rechtskosten erstattet und darüber hinaus eine Entschädigung gezahlt. Konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der Rechtsauffassung des Ausschusses stehen aber noch aus. Es wird ein neuer Staatenbricht für die Folgesitzung des Ausschusses erwartet.

6. Entscheidung im Volltext

CRPD_16.04.2013_Nyusti_and_Takacs_v._Hungary_ENG (PDF, 234 KB, nicht barrierefrei)

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