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Beschwerdenummer 4672/02

EGMR, Urteil vom 02.12.2004, Beschwerdenummer 4672/02, Farbtuhs gegen Lettland

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer, Mihails Farbtuhs (M. F.), ist ein 88-jähriger, an Parkinson, Paraplegie (Querschnittlähmung) und weiteren schweren Krankheiten leidender Mann. Es wurde bei ihm eine Behinderung ersten Grades nach lettischem Recht festgestellt. Im Jahr 2000 wurde er wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der sowjetischen Besatzungszeit zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Im Laufe des Strafverfahrens wurde ein Gutachten erstellt, das seinen ernsten Gesundheitszustand bestätigte. Es wurde festgestellt, dass M. F. nicht alleine fähig sei, die Tätigkeiten des Alltags zu bewältigen. Es wurden beispielhaft Tätigkeiten aufgezählt, bei denen er auf Hilfe angewiesen sei, wie Hose anziehen, sich bücken, Schuhe binden und Treppen steigen. Im Ergebnis wurde jedoch festgestellt, dass er die Haftstrafe absitzen könne, sofern die Bedingungen in dem Gefängnis seinen Bedürfnissen entsprechen.

M. F. wandte sich gegen dieses Gutachten und behauptete, dass sein Alter und sein Gesundheitszustand ein Hindernis für seine Haft darstellten und beantragte die Befreiung vom Strafvollzug. Sein Antrag wurde von der Strafvollzugs-Direktion abgelehnt. Seine weiteren Versuche, der Freiheitsstrafe zu entgehen, blieben ebenso erfolglos.

Am 1. Juni 2000 trat M. F. die Strafe freiwillig an. Während seines Aufenthalts im Gefängnis beantragte er mehrmals vorzeitige Entlassung. Die Direktion des Gefängnisses befürwortete seine Anträge. Am 12. März 2002 erachtete auch das zuständige Gericht seinen Antrag als begründet und führte unter anderem aus, dass die Bedingungen im Gefängnis nicht der Empfehlung der zuständigen Kommission zu seinen Haftbedingungen entsprächen. Gleichzeitig stellte das Gericht jedoch fest, dass die Haftbedingungen keine unmenschliche Behandlung darstellten: Die Angestellten hätten M. F. „mit Verständnis“ behandelt und alles versucht, um ihm die Bedingungen seiner Haft zu erleichtern.

2. Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

M. F. brachte in seiner Beschwerde vor dem EGMR vor, dass sein langer Aufenthalt unter den gegebenen Bedingungen angesichts seiner Behinderung und seiner besonderen Bedürfnisse gegen das Verbot der unmenschlichen bzw. erniedrigenden Behandlung nach Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen habe. Er bestätigte zwar die Bemühungen der Angestellten, die Gefängnisbedingungen seinen Bedürfnissen anzupassen, diese seien jedoch unzureichend gewesen. Beispielsweise erklärte er, dass die Krankenstation lediglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet gewesen sei. Außerhalb der Öffnungszeiten sei er auf die Hilfe der Mithäftlinge angewiesen gewesen.

3. Entscheidung des EGMR

Der Gerichtshof hat die Haftbedingungen, denen M. F. im Gefängnis ausgesetzt war, im Ergebnis als unmenschliche beziehungsweise erniedrigende Behandlung nach Art. 3 EMRK angesehen. Hierfür waren vor allem das fortgeschrittene Alter und der schlechte Gesundheitszustand des Gefangenen ausschlaggebend.

Der EGMR betonte, dass es nicht auf eine Erniedrigungsabsicht ankomme. Vielmehr handele es sich um eine objektive Verpflichtung des Staates, die Haftbedingungen behinderungsgerecht zu gestalten. Der Gerichtshof beanstandete in dem vorliegenden Fall besonders, dass die Pflege des auf Hilfe angewiesenen M. F. nicht nur durch qualifiziertes Personal erfolgt sei, sondern auch durch Mithäftlinge übernommen werden musste.

4. Bedeutung der Entscheidung

Ähnlich wie die UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 14 Abs. 2) betont der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Verpflichtung der Staaten, bei Inhaftierung einer behinderten Person Bedingungen zu gewährleisten, die den aus der Behinderung resultierenden besonderen Bedürfnissen des bzw. der Betroffenen entsprechen.

Entscheidung im Volltext:

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