Beschwerde-Nr. 51/2008
ECSR, Urteil vom 19.10.2009, Beschwerde-Nr. 51/2008, European Roma Rights Centre v. France
1. Sachverhalt
Wohnsituation von Travellern und Roma in Frankreich
Eine französische Rechtverordnung von 2000 verpflichtet Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, Stellplätze und Grundstücke für Traveller bereitzustellen. Traveller sind ethnische Gruppen, die über Generationen in Frankreich leben, meist die französische Staatsangehörigkeit besitzen und wegen ihrer Kultur und ihres Lebensstils als Nichtsesshafte stigmatisiert werden.
Die Verordnung schreibt allen Departements einen Aktionsplan vor, der die Standorte dauerhafter Siedlungen, geeignete Standorte für vorübergehende Stellplätze, die verantwortlichen Kommunen und die kommunalen Handlungspflichten enthält. Grundlage des Aktionsplans ist eine Evaluation der schon existierenden Plätze und der Bedürfnisse, die unter anderem an der Häufigkeit des Aufenthalts von Travellern, der Aufenthaltsdauer sowie der Infrastruktur (Zugang zu Gesundheitsversorgung, bezahlten Arbeitsplätzen, Schulen) zu bemessen sind. Ein beratender Ausschuss soll die Umsetzung des Aktionsplans jährlich überprüfen. Innerhalb einer (verlängerbaren) Frist von zwei Jahren nach Veröffentlichung des Aktionsplans sind die Departements zur Umsetzung und damit zur Einrichtung entsprechender öffentlicher Stellplätze, gegebenenfalls zum Erwerb von Grundstücken und zur Erstellung von Machbarkeitsstudien verpflichtet. Der (Zentral-)Staat trägt dabei – je nach Geschwindigkeit der Umsetzung – 50 oder 70% der Kosten, in gewissen Sonderfällen 100%. Die Rechtsverordnung enthält ein Selbsteintrittsrecht des Staates auf Kosten den Kommunen, wenn diese ihren Pflichten nicht nachkommen.
Ein Dekret und ein Rundschreiben sehen Regelungen über den technischen Standard der Stellplätze vor. So muss es für je fünf Wohnwagenplätze mindestens ein Waschhaus mit einer Dusche und zwei Waschräumen mit Toiletten geben; alle Stellplätze müssen Anschlüsse für Sanitäranlagen, Trinkwasser und Elektrizität vorsehen. Die Anlagen müssen von einem Management geleitet, gesichert und zumindest an sechs Wochentagen tagsüber durch Personal besetzt sein.
Der damalige Menschenrechtskommissar des Europarates, Thomas Hammarberg, besuchte Frankreich im Mai 2008. In seinem Bericht (CommDH(2008)34) empfahl er Frankreich, die Rechtsverordnung effektiv umzusetzen und ein System einzurichten, um Traveller über freie Stellplätze zu informieren (Rz. 18). Ferner forderte er, diskriminierende Praktiken und Sondermaßnahmen gegen Traveller sofort abzustellen, würdige Wohnbedingungen in den Siedlungen herzustellen sowie Räumungen nur nach Verhandlungen und ohne Brutalität und Sachbeschädigungen durchzuführen (Rz. 19, 22, 141).
Im Einzelnen führte er aus, dass die etwa 300.000 Traveller in Frankreich wegen ihrer Kultur und ihres traditionellen Lebensstils teilweise Sondergesetzen unterworfen würden (Rz. 126). Die Rechtsverordnung von 2000 werde durch die Gemeindebehörden nur unzureichend umgesetzt, wodurch es zu wenige Stellplätze gebe. Bis Ende 2007 seien nur 32% der veranschlagten knapp 42.000 Plätze errichtet worden. Aufgrund des drohenden Förderungsendes 2008 seien nun etwa 50% fertiggestellt worden (Rz. 127).
Hammarberg weist darauf hin, dass nicht sesshafte Travellerfamilien aufgrund örtlicher Regelungen nur für begrenzte Zeit bleiben dürften: im Sommer einen, im Winter fünf bis sechs Monate. Den Familien würde nicht mitgeteilt, welche anderen Plätze ausreichend freie Unterkünfte haben (Rz. 128). Der staatlich verursachte Mangel an Stellplätzen führe dazu, dass Traveller in ihren illegal abgestellten Wohnwagen leben müssten, was zu Spannungen und harten Strafen führe (Rz. 129). Im Gegenzug zu den Verpflichtungen der Rechtsverordnung seien die Rechte von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern gestärkt worden, Wohnwagen außerhalb der kommunalen Stellplätze zu verbieten und Zwangsräumungen im vereinfachten Verfahren – ohne Gerichtsbeschluss – anzuordnen. Es genüge ein Antrag der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters, der Grundstückseigentümerin oder des –eigentümers oder der rechtmäßigen Besitzerin bzw. des Besitzers an den Präfekten, damit Traveller binnen 48 Stunden des Grundstücks verwiesen werden. Allerdings bestehe die Möglichkeit, mit aufschiebender Wirkung Klage beim Verwaltungsgericht zu erheben (Rz. 130).
Zudem seien auch errichtete Plätze teilweise mangelhaft, da sie außerhalb des Stadtgebiets oder in der Nähe störender Anlagen wie elektrischen Transformatoren oder Hauptverkehrsstraßen errichtet würden, sodass ihre Benutzung für Familien mit kleinen Kindern schwierig oder sogar gefährlich sei (Rz. 132).
Hammarberg verweist darauf, dass Wohnwagen nicht als Wohnungen anerkannt seien, sodass Traveller keinen Anspruch auf Wohngeld und häufig auch nicht auf Sozialhilfe hätten. Ferner hätten die französischen Behörden 2006 per Gesetz besondere Steuern auf mobile Unterkünfte eingeführt. Mit dessen Umsetzung 2010 würden Wohnwagen damit als steuerpflichtige Unterkünfte anerkannt, aber nicht als Wohnungen mit Wohngeldberechtigung (Rz. 139). Ferner sei es für Traveller mangels Meldeadresse sehr schwierig, Zugang zu Verwaltungsdienstleistungen wie Bankkonten, Krediten oder Versicherungsverträgen zu erhalten (Rz. 140).
Diskriminierende Anknüpfung der Wahlberechtigung von Travellern an spezielle Meldevorschriften
Ferner sieht das französische Gesetz Nr. 69-3 (3. Januar 1969) vor, dass Personen, die dauerhaft in Wohnwagen oder anderen mobilen Wohnungen leben, verpflichtet sind, einen "Zirkulationsausweis" oder eine "Zirkulationskarte" zu beantragen und bei sich zu führen und ihre Papiere alle drei Monate von den Behörden abstempeln zu lassen. Bei Zuwiderhandlung drohen hohe Strafen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe (bei fehlendem Ausweis) oder 750 Euro Geldstrafe (bei fehlendem Stempel). Die Antragstellenden müssen eine Gemeinde wählen, der sie grundsätzlich für mindestens zwei Jahre zugewiesen werden. Allerdings darf die Anzahl der zugewiesenen Personen 3% der Bevölkerung nicht übersteigen.
Das Wahlgesetz knüpft an die Zuordnung zu den Gemeinden an. Traveller dürfen sich nur ins Wahlregister eintragen lassen, wenn sie einer Gemeinde drei Jahre lang angehören. Bei anderen nicht sesshaften Personen (etwa bei obdachlosen Menschen) genüge dagegen eine Verbindung von sechs Monaten mit einem Wohlfahrtsträger.
Der damalige Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg kritisiert diese Sondergesetze und die harten Strafen in seinem Bericht (Rz. 135). Er bemängelt die Praxis, dass Traveller Geldbußen erhielten, wenn sie ihren gültigen Ausweis nicht mitführten. Da die meisten Traveller die französische Staatsangehörigkeit hätten, solle es ausreichen, wenn sie – wie alle anderen Staatsangehörigen – einen Personalausweis vorlegten (Rz. 136). Durch das Erfordernis der Zuweisung zu einer Gemeinde würden Traveller permanent überwacht. Die zweijährige Zuweisung widerspreche dem reisenden Lebensstil und beschränke die Freiheit, sich in einer Gemeinde der Wahl anzusiedeln (Rz. 137). Auch im Bereich des Wahlrechts bestünden diskriminierende Sonderbedingungen für Traveller, weil diese drei Jahre lang mit einer Gemeinde verbunden sein müssten, während für die übrige Bevölkerung sechs Monate genügten (Rz. 138). Abschließend verwies der Kommissar darauf, dass das Sondermaßnahmensystem Traveller diskriminiere und Frankreich es deshalb schnellstens abschaffen müsse (Rz. 141).
Hammarberg kritisierte auch die Situation der etwa 10.000 aus Mitgliedstaaten und vom Balkan – legal oder illegal – zugewanderten Roma (Rz. 22, 146 ff.). Rückführungen seien nur dann akzeptabel, wenn sie tatsächlich freiwillig und unter voller Achtung der Menschenrechte der Betroffenen geschähen; Ausreisende sollten bei ihrer Ankunft ernsthafte Unterstützung erhalten (Rz. 147-150).
Hammarberg forderte die französischen Behörden auf, Roma Zugang zu Bildung, Arbeit, Gesundheitsversorgung und Unterstützung zu gewähren und Strategien für ihre erfolgreiche Integration zu entwickeln (Rz. 151-156). Der Kommissar bemängelte insbesondere die Lebensbedingungen in den "armseligen Elendsvierteln", oft ohne Zugang zu Wasser, Elektrizität und Abfallversorgung, in schlechten Hygieneverhältnissen, zuweilen ohne Toiletten. Seit seinem Bericht von 2006 habe er keine Verbesserungen festgestellt. Hammarberg verweist auf eine Studie von "Ärzte ohne Grenzen", wonach 53% der Roma in teilweise unbeweglichen Wohnwagen, 21% in umgewandelten Unterschlüpfen und 20% in Baracken leben (Rz. 157). Besonders bedenklich seien die Zwangsräumungen, die ein Klima der Angst auslösten. Seit 2003 könnten Räumungen ohne Gerichtsurteil oder Einwilligung des Eigentümers binnen 48 Stunden und ohne Vorwarnung durchgeführt werden. Die Polizei wende oft brutale Methoden an, verwende Tränengas und zerstöre persönliches Eigentum. Die Nationale Polizeiethikkommission habe ungerechtfertigten und unverhältnismäßigen Gewalteinsatz beobachtet (Rz. 158).
2. Verfahren vor dem Europäischen Sozialausschuss (ECSR)
Das European Roma Rights Centre (ERRC) erhob 2008 Beschwerde vor dem Europäischen Sozialausschuss (ECSR) und berief sich auf Artikel 16, 30, und 31 allein oder in Verbindung mit Artikel E der (revidierten) Europäischen Sozialcharta (ESC).
Es rügt die Wohnsituation von Travellern in Frankreich, insbesondere die Segregation, die schlechten Wohnbedingungen, mangelnden Zugang zu Wohnraum und Energieversorgung, fehlende gesicherte Besitzverhältnisse, Zwangsräumungen und andere systematische Menschenrechtsverletzungen. Ferner beklagt das ERRC die schlechten Lebensbedingungen von Roma, die aus anderen Mitgliedstaaten zugewandert sind. Dabei verweist das ERRC auf den Bericht des Menschenrechtskommissars.
Artikel 31 ESC sei verletzt, da Frankreich seine Vorschriften über die einzurichtenden Stellplätze nicht ausreichend umgesetzt und nicht genügend Stellplätze bereitgestellt habe. Aus den Plänen der Departements ging hervor, dass die Hindernisse für die Errichtung zumeist Reaktionen der Nachbarn oder fehlender politischer Wille gewesen seien. Zudem sehe das Gesetz zu viele Ausnahmen vor. Fast die Hälfte der Stellplätze genügten den gesetzlichen Anforderungen nicht, lägen außerhalb der Städte oder in nicht bewohnbaren Gegenden. Viele verfügten nicht über grundlegende Hygieneeinrichtungen wie heißes Wasser oder Abfallentsorgung oder hätten nur einen Waschraum für über 100 Menschen. Zudem käme es zu Funktionsmängeln, aufgrund derer die Stellplätze nicht durchgehend zugänglich seien. Ferner habe Frankreich nicht berücksichtigt, dass immer mehr Traveller sesshaft würden. Die Regierung stelle nicht genügend geeignete Grundstücke bereit. Nur etwa ein Drittel der Departements habe Statistiken zum Bedarf erhoben. Allein diese hätten 5.300 bedürftige Familien festgestellt, wobei in ganz Frankreich nur 200 Grundstücke vorhanden gewesen seien. Nur wenige Departements hätten Traveller in ihre Wohnraumprogramme für benachteiligte Menschen miteinbezogen.
Artikel 31 Absatz 2 ESC sei verletzt, da die Kommunen zu viele Möglichkeiten hätten, Traveller zu vertreiben. Die Strafen für das unbefugte Betreten fremden Besitzes seien zu hart (sechs Monate Haft, 3.750 Euro Geldbuße und bis zu drei Jahre Entzug der Fahrerlaubnis). Zudem seien sie ungerecht, da sie praktisch nur Traveller beträfen. Das Zwangsräumungsverfahren verstoße gegen die Unschuldsvermutung und den Grundsatz der Waffengleichheit, das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren und das Recht auf Zugang zu angemessener und effektiver Rechtsberatung.
Artikel 31 in Verbindung mit E ESC sei verletzt, da die Regierung die besonderen Wohnungsprobleme von Travellern nicht angemessen berücksichtigt habe. Dies liege weitgehend an der diskriminierenden Haltung vieler örtlicher Behörden. Das beschleunigte Räumungsverfahren ziele allein auf Traveller ab und sei deshalb rassistisch diskriminierend. Auch dass Frankreich Wohnwagen nicht als Wohnungen anerkenne und damit Travellern keinen Zugang zu Wohngeld ermögliche, stelle eine Diskriminierung dar.
Artikel 30 ESC sei verletzt, da es keine nationale Wohnraumpraxis für sesshaft gewordene Familien gebe. Dass sich die Kommunen sehr unterschiedlich verhielten, trage zu einem Gefühl von Ausgrenzung bei.
Artikel 30 in Verbindung mit Artikel E ESC sei verletzt, da nicht sesshafte Menschen bei der Ausübung ihres Wahlrechts benachteiligt seien. Traveller dürften im günstigsten Fall wählen, wenn sie drei Jahre lang einer bestimmten Kommune zugewiesen seien, während alle anderen französischen Staatsangehörigen nur sechs Monate Zugehörigkeit nachweisen müssten, um in einer Kommune wählen zu dürfen.
Artikel 19 Absatz 4 ESC sei verletzt, weil es keinen umfassenden Wohnraumplan für Roma gebe, die aus anderen Mitgliedstaaten eingewandert seien und seit vielen Jahren rechtmäßig in Frankreich lebten. Die Lebensbedingungen in ihren Lagern seien alarmierend. Zwangsräumungen führe die Polizei häufig brutal durch. Ferner beförderten die französischen Behörden die "freiwillige Rückkehr" von eingewanderten Roma.
Die französische Regierung hält die Beschwerde für unbegründet, da Frankreich seine Verpflichtungen aus der Charta eingehalten habe. Es habe im Rahmen verfügbarer Ressourcen angemessene Maßnahmen ergriffen.
Artikel 31 ESC sei nicht verletzt, da alle Departements Pläne verabschiedet hätten. Der Staat habe steigende Beträge für die Realisierung der Vorhaben beigesteuert. 2007 seien 50% der Plätze fertiggestellt worden. Ferner unterstütze die Regierung die örtlichen Behörden und sorge mit Erlassen und Rundschreiben für die Umsetzung der Pläne. Der Präfekt könne anstelle untätiger Kommunen Stellplätze durchsetzen. Die Ausnahmen würden kaum angewendet. Alle Stellplätze hätten Zugang zu hygienischen Mindesteinrichtungen wie Trinkwasser, Sanitäranlagen und Elektrizität. Subventionen für Stellplätze würden nur bei Nachweis der technischen Standards gezahlt. Jeder Stellplatz werde unter behördlicher Aufsicht ordnungsgemäß bewirtschaftet und gesichert.
Frankreich tue alles, um sesshaft gewordene Traveller und ihren Lebensstil zu unterstützen. Die meisten seien von regionalen Aktionsplänen für Benachteiligte erfasst und müssten vorrangig behandelt werden. Alle Departements seien zum Erlass solcher Pläne und zur Einrichtung eines Solidarfonds verpflichtet. Neben den Familiengrundstücken, die die besonderen Bedürfnisse von Travellern berücksichtigten, würden derzeit probehalber drei "Integrationsdörfer" in oder bei Pariser Vororten errichtet und soziale Unterstützung bereitgestellt. Zudem stünden gewöhnliche Sozialwohnungen mit den entsprechenden Sozialleistungen zur Verfügung.
Artikel 31 Absatz 2 ESC sei nicht verletzt, da Räumungstitel erst nach einer gewissen Zeitspanne vollstreckt werden dürften. Rechtsbehelfe vor den Verwaltungsgerichten hätten aufschiebende Wirkung, seien gerichtskostenfrei und garantierten die Rechte beider Seiten. Das Räumungsverfahren sichere die Rechte der Betroffenen und sehe strenge Voraussetzungen vor. Die Kommunen dürften es nur durchführen, wenn sie ausreichend Stellplätze errichtet hätten.
Artikel 31 in Verbindung mit E sei nicht verletzt, da keine rassistische Diskriminierung vorliege. Traveller würden nicht nach rassistischen, sondern nach sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Eigenschaften definiert; Diskriminierung beim Zugang zu Wohnraum sei verboten. Zudem habe die Regierung Maßnahmen getroffen, um die besonderen Bedürfnisse der Traveller zu erfüllen. Die Fortschritte bei der Umsetzung des sogenannten Besson-Gesetzes, das Lokalverwaltungen etwa zur Bereitstellung sanitärer Anlagen auf Stellplätzen und Implementierung von Hilfsprogrammen verpflichten soll, zeigten die Sensibilität Frankreichs in Bezug auf Traveller.
Artikel 30 sei nicht verletzt, da die Regierung alles tue, um die Ausgrenzung von Travellern durch Programme und Strategien zu verhindern und die Wohnsituation zu verbessern. Dazu arbeite sie mit Traveller-Verbänden zusammen, die auch an der Vorbereitung und Umsetzung der regionalen Programme für Benachteiligte beteiligt seien. Zudem gebe es eine Nationale Beratungskommission für die Regierung.
Artikel 30 in Verbindung mit E ESC sei schon deshalb nicht verletzt, weil das Wahlrecht in keiner Beziehung zur ESC stehe. Zudem bestehe seit 2007 die Möglichkeit für die meisten Traveller, sich unter den gleichen Bedingungen wie Obdachlose registrieren zu lassen. Zudem prüfe die Regierung die 3-Prozent-Klausel und die 3-Jahres-Frist.
Artikel 19 Absatz 4 ESC sei nicht verletzt, da die meisten kürzlich eingewanderten Roma sich unrechtmäßig im Land aufhielten und deshalb zur Ausreise aufgefordert werden könnten. Die französische Regierung stelle für den Fall der Rückführung humanitäre und finanzielle Unterstützung bereit und betreibe ein Programm zur wirtschaftlichen Reintegration inklusive Sozialhilfe oder Gründungszuschuss für Projekte im Heimatland.
3. Entscheidung des ESCR (Rz. 30 ff.)
Der Sozialausschuss stellt eine Verletzung der Artikel 31 Absätze 1 und 2 (Recht auf Wohnung) sowie E (Diskriminierungsverbot) in Verbindung mit 31 und 16 (Recht der Familie auf sozialen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Schutz); Artikel E in Verbindung mit 16 und 30 (Recht auf Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung); Artikel E in Verbindung mit 30 und 19 Absatz 4 Buchstabe c (Recht der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien auf Schutz und Beistand) der Europäischen Sozialcharta (ESC) fest.
Artikel 31 Absatz 1 ESC sei verletzt, da Frankreich die Gesetze über Stellplätze für Nichtsesshafte unzureichend umsetze und daher nicht genügend Plätze vorhanden seien, da auf bestehenden Plätzen schlechte Lebensbedingungen und Funktionsmängel vorlägen und da nicht genügend Unterkünfte für sesshaft gewordene Traveller bestünden.
Das Verfahren der Zwangsräumung und die damit verbundenen Strafen verstießen gegen Artikel 31 Absatz 2 ESC.
Ferner habe Frankreich gegen Artikel 31 in Verbindung mit E ESC verstoßen. Die bloße Gleichbehandlung Nichtsesshafter genüge nicht, um die staatliche Schutzverpflichtung gegen Diskriminierung zu erfüllen. Nichtsesshafte in Frankreich befänden sich bei der Umsetzung des Rechts auf Wohnraum unzweifelhaft nicht in der gleichen Situation wie Sesshafte. Deshalb erlege Artikel E Frankreich die Pflicht auf, die besonderen Unterschiede mit der gebotenen Sorgfalt zu berücksichtigen.
Da davon auch Familien betroffen seien, liege gleichzeitig ein Verstoß gegen Artikel 16 ESC allein und in Verbindung mit Artikel E ESC vor, da Frankreich eine unangemessene Wohnraumpolitik für Nichtsesshafte betreibe. Zudem gebe es keine koordinierte Strategie zur Förderung effektiven Zugangs zu Wohnraum für Ausgegrenzte oder von Ausgrenzung Bedrohte.
Schließlich liege auch ein Verstoß gegen Artikel 30 in Verbindung mit E ESC vor, da Frankreich durch die Drei-Prozent-Klausel Inhaberinnen und Inhaber von Zirkulationsdokumenten faktisch das Wahlrecht für Nichtsesshafte ungerechtfertigt beschränke. Solch ein niedriger Prozentsatz diskriminiere Nichtsesshafte in ihrem Recht auf Zugang zur Wahl und trage zu ihrer Marginalisierung und sozialen Ausgrenzung bei.
3.1 Verletzung des Rechts auf Wohnung (Artikel 31 ESC; Rz. 28 ff.)
Der Sozialausschuss stellt eine Verletzung von Artikel 31 Absätze 1 und 2 ESC fest. Artikel 31 sei anwendbar. Danach müssten die Staaten effektive Maßnahmen treffen, sodass qualitative und quantitative Ergebnisse erreicht würden ("International Movement ATD Fourth World gegen Frankreich", Beschwerde-Nr. 33/2006; "FEANTSA gegen Slowenien", Beschwerde-Nr. 53/2008; Rz. 30).
Artikel 31 Absatz 1 ESC sei verletzt,
1. da der Staat seine Gesetze über Stellplätze für Nichtsesshafte nicht angemessen umsetze und daher nicht genügend Plätze vorhanden seien,
2. da auf bestehenden Plätzen schlechte Lebensbedingungen und Funktionsmängel vorherrschten,
3. da nicht genügend Unterkünfte für sesshaft gewordene Traveller existierten.
zu 1. Versäumnis, ausreichend Stellplätze bereitzustellen (Rz. 37-41)
Der Ausschuss zieht die Empfehlung R (2005) 4 des Ministerkomitees heran, wonach die Staaten angemessene und ganzheitliche Wohnraumstrategien für Traveller entwickeln sollen ("ATD Fourth World gegen Frankreich"). Gemessen daran sei das französische Gesetz mangelhaft und unangemessen, nämlich nur in einer Minderheit der Kommunen über 5.000 Einwohnerinnen und Einwohner, umgesetzt worden. Nach dem Bericht des Menschenrechtskommissars seien bis Ende 2007 nur 32% der vorgesehenen Plätze geschaffen worden. Der Mangel an legalen Stellplätzen zwinge Traveller, illegale Plätze zu nutzen, was sie der Gefahr von Zwangsräumungen aussetze. Trotz der Bemühungen der nationalen und örtlichen Behörden seien die besonderen Bedürfnisse der Traveller über einen langen Zeitraum hinweg nicht angemessen berücksichtigt worden.
zu 2. Duldung schlechter Lebensbedingungen und Funktionsmängel (Rz. 46-50)
Der ESCR stellt fest, dass die errichteten Stellplätze teilweise nicht den Anforderungen an "angemessenen Wohnraum" im Sinne des Artikels 31 Absatz 1 ESC erfüllten. "Angemessen" bedeute, dass die Unterkunft hygienisch sein müsse, das heißt über grundlegende Einrichtungen wie Wasser, Heizung, Abfallentsorgung, Sanitäreinrichtungen und Elektrizität verfügen, baulich sicher und nicht überfüllt sein und einen gesetzlich abgesicherten Besitztitel beinhalten müsse. Vorübergehende Unterbringung genüge nicht; angemessener Wohnraum müsse innerhalb eines vernünftigen Zeitraums gestellt werden ("ERRC gegen Italien"; Beschwerde-Nr. 27/2004).
Der Ausschuss betont, dass die Umsetzungsmaßnahmen der französischen Regierung grundsätzlich den Anforderungen an die staatliche Handlungspflicht genügten. Die Vorschriften und ihre Ausführungserlasse beschrieben die technischen Standards hinreichend. Dennoch habe der Menschenrechtskommissar des Europarates in einem Memorandum festgestellt, dass nicht alle Stellplätze die Anforderungen erfüllten. Manche Plätze seien außerhalb des Stadtgebietes oder in der Nähe schädlicher Anlagen errichtet worden. Deshalb seien sie für Familien mit kleinen Kindern teilweise unbrauchbar.
zu 3. Versäumnis, ausreichend Wohnraum für sesshaft gewordene Traveller bereitzustellen (Rz. 59-61)
Der Ausschuss stellt fest, dass Wohnwagen in Frankreich nicht als Wohnungen anerkannt seien, da sie keine Baugenehmigung benötigten. Menschen, die in Wohnwagen lebten, hätten daher keinen Anspruch auf Wohngeld oder Darlehen zum Hausbau. Zahlreiche Travellerfamilien könnten kein Eigentum erwerben, da ihnen keine Hypotheken bewilligt würden, oder kauften untaugliches Land anstatt Bauland. Ferner stellten die örtlichen Behörden nicht genügend Ressourcen und Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung, die den besonderen Bedürfnissen der sesshaft gewordenen Traveller entsprechen.
Zwangsräumungen und Strafen (Artikel 31 Absatz 2 ESC)
Das Verfahren der Zwangsräumung und die damit verbundenen Strafen verstießen gegen Artikel 31 Absatz 2 ESC. Der ESCR legt dar, dass Zwangsräumungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen seien. Voraussetzungen seien eine nicht zu weite Auslegung des Begriffs "illegale Inbesitznahme", ein angemessenes Räumungsverfahren und ein ausreichender Schutz der Betroffenen ("ERRC gegen Bulgarien", Beschwerde-Nr. 31/2005). Die Räumung selbst müsse die Würde der Betroffenen achten; alternative Unterkünfte müssten gestellt werden ("FEANTSA gegen Frankreich"). Räumungsbeschränkungen und -verbote (im Winter, zur Nachtzeit) müssten genau beschrieben werden. Ferner müssten Rechtsbehelfe und Prozesskostenhilfe sowie Entschädigungen für illegal Räumungen vorgesehen werden ("ERRC gegen Italien", Beschwerde-Nr. 27/2004).
Die französischen Räumungen genügten diesen Kriterien nicht. Insbesondere hätten die französischen Behörden unnötig Gewalt angewendet. Die Zwangsräumungen erfolgten unter menschenunwürdigen Bedingungen. Dies entnimmt der Ausschuss dem Vortrag des ERRC, dem Memorandum des Menschenrechtskommissars des Europarates und einem Bericht der Ethikkommission der Polizei. Danach befänden sich die Betroffenen in einem Klima der Angst. Die Räumungen könnten binnen 48 Stunden ohne Gerichtsurteil oder Genehmigung durch die Landeigentümerinnen und –eigentümer durchgeführt werden. Polizisten und Polizistinnen verwendeten häufig unverhältnismäßig brutale und ungerechtfertigte Methoden sowie Tränengas und zerstörten fremdes Eigentum.
3.2 Verletzung des Recht auf Wohnung in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot (Artikel 31 in Verbindung mit Artikel E ESC; Rz. 79-85)
Der Sozialausschuss stellt fest, dass Frankreich seine Schutzpflicht aus Artikel E in Verbindung mit 31 ESC verletzt hat, indem die Behörden Nichtsesshafte genauso wie Sesshafte behandelt habe. Da sich beide Gruppen in Bezug auf Wohnraum in unterschiedlichen Situationen befänden, liege eine Diskriminierung vor. Frankreich hätte die besonderen Unterschiede mit der gebotenen Sorgfalt berücksichtigen müssen.
Der ESCR führt aus, dass Artikel E ESC nicht nur verbiete, Gleiches ungleich zu behandeln, sondern auch Ungleiches gleich zu behandeln ("Autism-Europe gegen Frankreich", Beschwerde-Nr. 13/2002). Einschlägig sei hier die zweite Kategorie, da sich Traveller offensichtlich in einer anderen Wohnsituation befänden. Der Ausschuss bemerkt, dass in einer demokratischen Gesellschaft Unterschiede zwischen Menschen verantwortungsbewusst beachtet werden müssten, um tatsächliche und effektive Gleichheit zu bewirken. Artikel E verbiete alle Formen von Diskriminierung. Deswegen müsse der Staat alle relevanten Unterschiede mit gebotener Sorgfalt berücksichtigen, damit Rechte und Begünstigungen/positive Auswirkungen für alle Menschen zugänglich seien ("Autism-Europe gegen Frankreich").
3.3 Verletzung des Rechts der Familie auf sozialen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Schutz (Artikel 16 ESC; Rz. 88)
Da von der unzureichenden Wohnraumplanung für Nichtsesshafte auch Familien betroffen seien, liege nach ständiger Rechtsprechung gleichzeitig mit der Verletzung von Artikel 31 ESC auch ein Verstoß gegen Artikel 16 ESC allein und in Verbindung mit Artikel E ESC vor.
3.4 Verletzung des Rechts auf Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung (Artikel 30 allein und in Verbindung mit Artikel E ESC; Rz. 93-96)
Der Ausschuss stellt fest, dass die französische Wohnungspolitik für Traveller unangemessen sei, da Frankreich keine koordinierte Herangehensweise verfolge. Eine solche Strategie sei aber notwendig, um effektiven Zugang zu Wohnraum für Menschen zu ermöglichen, die von sozialer Ausgrenzung betroffen sind.
Soziale Ausgrenzung verletze die Menschenwürde. Artikel 30 ESC enthalte deshalb die Pflicht des Staates, effektiv vor sozialer Ausgrenzung zu schützen. Deshalb müssten die Staaten ganzheitliche und koordinierte Strategien entwickeln, die Praktiken in verschiedenen Bereichen miteinander zu einer Einheit verbinde. Dies erfordere eine analytische Grundstruktur, Prioritätensetzung und Maßnahmen, die Hindernissen beim Zugang zu grundlegenden Rechten vorbeugten oder sie beseitigten. Diese Strategien sollten durch Kontrolleinrichtungen beaufsichtigt werden, die sich aus allen relevanten Akteuren – inklusive Betroffener und der Zivilgesellschaft – zusammensetzen. Der Staat müsse ferner angemessene Ressourcen bereitstellen. Die getroffenen Maßnahmen müssten der Art und dem Ausmaß der sozialen Ausgrenzung im Land angemessen sein.
Diskriminierungsverbot (Artikel 30 mit E; Rz. 99-105)
Schließlich liege auch ein Verstoß gegen Artikel 30 in Verbindung mit E ESC vor. Zum einen sei das Wahlrecht an eine 3-jährige Verbindung zur Gemeinde gekoppelt. Zum anderen benachteilige die Beschränkung des kommunalen Wahlrechts auf 3% Inhaberinnen und Inhaber von Zirkulationsdokumenten. Solch ein niedriger Prozentsatz sei diskriminierend und führe zur Ausgrenzung Nichtsesshafter. Der Ausschuss betont, dass die staatlichen ganzheitlichen Maßnahmen zur Beseitigung von Hindernissen unter anderem in den Bereich Arbeit, Wohnung, Bildung und Ausbildung, Kultur und soziale sowie medizinische Versorgung führen müssten. Beim Kampf gegen soziale Ausgrenzung sei die Unteilbarkeit der Menschenrechte besonders bedeutsam. Deshalb seien auch bürgerliche Teilhaberechte und gerade das Wahlrecht notwendige Ausprägungen sozialer Integration und Inklusion. Damit sei Artikel 30 ESC anwendbar (Rz. 99).
Das Erfordernis 3-jähriger ununterbrochener Zugehörigkeit zu einer Kommune für Traveller sieht der Ausschuss als Diskriminierung von Travellern gegenüber Obdachlosen an. Obdachlose könnten sich auf Antrag im Wahlregister der Kommune eintragen lassen, in der ihr Sozialhilfeträger der letzten sechs Monate seinen Sitz hat. Unter Bezug auf einen Bericht der französischen Antidiskriminierungsstelle stellt der Ausschuss fest, dass diese Ungleichbehandlung zwischen Travellern und Obdachlosen keinen objektiven und vernünftigen Grund habe.
Die Beschränkung nichtsesshafter Wählerinnen und Wähler auf 3% pro Kommune hält der Ausschuss ebenfalls für ungerechtfertigt. Traveller könnten nicht einfach in einer anderen Kommune wählen, sodass sie von ihrem Wahlrecht dann gar keinen Gebrauch machen könnten. Die Regelung betreffe in der Praxis fast ausschließlich Traveller. Ein so geringes Quorum von 3% stelle deshalb eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung beim Zugang zur Wahl dar und damit eine mögliche Ursache sozialer Ausgrenzung.
3.5 Verletzung des Recht der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien auf Schutz und Beistand (Artikel 19 Absatz 4 Buchstabe c ESC; Rz. 111-113)
Abschließend stellt der Ausschuss eine Verletzung von Artikel 19 Absatz 4 Buchstabe c ESC fest. Zumindest die Roma, die als Wanderarbeitnehmende legal aus anderen Mitgliedstaaten kämen, würden vom Anwendungsbereich der Charta erfasst. Der Ausschuss stellt ohne weitere Begründung fest, dass die Wohnsituation dieser zugewanderten Roma ebenso schlecht ist wie diejenige der Traveller, sodass neben der Verletzung von Artikel 31 ESC auch Artikel 19 Absatz 4 ESC verletzt sei ("ERRC gegen Italien", Beschwerde-Nr. 27/2004).
4. Bedeutung für die Rechtspraxis
Diese Entscheidung stellt ein Beispiel für eine Kollektivbeschwerde vor dem Europäischen Sozialausschuss dar. Der Beschwerdemechanismus des Europäischen Sozialausschusses unterscheidet sich von den anderen menschenrechtlichen Spruchkörpern, da er kein Individual- sondern ein Kollektivbeschwerdeverfahren vorsieht. Vor diesem Ausschuss sind gemäß Artikel 1 des Zusatzprotokolls zur Europäischen Sozialcharta über Kollektivbeschwerden (1995) nur die folgenden Organisationen, aber keine Einzelpersonen beschwerdeberechtigt:
"1. (…) in Artikel 27 Absatz 2 der Charta bezeichnet[e] international[e] Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen;
2. (…) ander[e] international[e] nichtstaatlich[e] Organisationen, die beratenden Status beim Europarat haben und vom Regierungsausschuss in eine zu diesem Zweck angelegte Liste eingetragen sind;
3. (…) repräsentativ[e] nationale[e] Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen unter der Hoheitsgewalt der Vertragspartei, gegen die sich die Beschwerde richtet."
Nach Artikel 3 des Protokolls müssen sie in dem von der Beschwerde betroffenen Bereich besonders fachkundig sein.
In den letzten Jahren haben sich viele Nichtregierungsorganisationen wegen der Verletzung wirtschaftlicher und sozialer Rechte an den Ausschuss gewandt. Dies gilt besonders für Interessenvertretungen von Roma und Travellern. Im Zentrum der Beschwerden standen das Recht auf Wohnung, das Recht auf soziale Sicherheit und arbeitsrechtliche Fragen. In dieser Entscheidung nimmt der Ausschuss mehrfach eine Diskriminierung an, hält sich aber bei der vom ERRC offensiv angebrachten Frage der rassistischen Diskriminierung auffällig zurück. Der Sache nach folgt der ESCR aber auch hier der beschwerdeführenden Organisation.
Eine Besonderheit der Entscheidung ist, dass der Ausschuss die Berichte des Menschenrechtskommissars des Europarates zur Begründung der Verletzung der Charta verwendet. Auch solche Dokumente können Rechtsanwendende also für den Sachverhalt oder bei Darlegung ihrer Rechtsposition heranziehen.
Für deutsche Rechtsanwendende ist allerdings zu bedenken, dass sich Deutschland dem Kollektivbeschwerdeverfahren des Ausschusses nicht unterworfen hat. Es ist also nicht möglich, deutsche Praktiken vor dem Ausschuss zu rügen.
Allerdings bleibt es unbenommen, die teilweise kraftvollen Auffassungen des Ausschusses aufzunehmen und vor deutschen oder europäischen Spruchkörpern als rechtliche Argumente oder relevante Praxis anzubringen. Bemerkenswert ist beispielsweise, dass der ESCR in seiner rechtlichen Würdigung – wie hier zu Artikel 30 ESC – auch auf die Unteilbarkeit der Menschenrechte Bezug nimmt und ein bürgerlich-politisches Recht wie das Wahlrecht in das Recht auf Schutz vor sozialer Ausgrenzung hineinliest (siehe oben, Rz. 99). Ein solches Argument ließe sich wiederum vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) anbringen. Umgekehrt hat nämlich der EGMR seine Rechtsprechungskompetenz über das Einfallstor des Artikel 1 des 1. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in begrenztem Rahmen auf soziale Grundleistungen ausgedehnt ("Stec und andere gegen das Vereinigte Königreich", Beschwerde-Nrn. 65731/01 und 65900/01). Bei einer Beschwerde vor dem EGMR könnte es sich deshalb anbieten, auf die Argumentation des ESCR Bezug zu nehmen und so auf eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung und damit auch einer Stärkung des Ausschusses hinzuwirken.
5. Follow Up
Das Ministerkomitee des Europarates erließ am 30. Juni 2010 (1089. Sitzung) seine Resolution CM/ResChS(2010)5. Darin bezog es sich auf die angehängte Stellungnahme Frankreichs (1077. Sitzung) und forderte die Regierung auf, über die Umsetzung der angekündigten Maßnahmen und alle weiteren Fortschritte regelmäßig zu berichten.
Frankreich legte in seiner Stellungnahme hinsichtlich nicht sesshafter Traveller Statistiken über die erhöhte Zahl von Stellplätzen vor. Die französische Regierung legt ihre veränderte Strategie dar, angemessene Ausstattungen und Standards für diese Plätze zu garantieren. Frankreich arbeite an der gleichmäßigen Verteilung von Stellplätzen über das ganze Land und evaluiere die Strategien in den Jahren 2009 und 2010.
Sesshafte Traveller benötigten andere Strategien und dauerhafte Wohnplätze. Frankreich berücksichtige nun ihre besonderen Interessen stärker. Der Staat finanziere gemeinsam mit den Kommunen zunehmend bebaute und unbebaute Grundstücke, die vermietet und in seltenen Fällen erworben werden könnten. Ein Ratgeber über angemessen gestalteten Wohnraum für Traveller für lokale Initiativen und Einrichtungen sei 2009 veröffentlicht worden. Familien sollten in den Prozess mit einbezogen werden.
Auch legal im Lande lebende Roma hätten Zugang zu regionalen Mediationsausschüssen zum Recht auf Wohnraum. Diese Ausschüsse legten fest, welchen Familien Vorrang beim Zugang zu neu errichteten oder geplanten Sozialwohnungen zu gewähren sei.
Die Regierung bemühe sich, vollständig und koordiniert soziale Unterstützung für alle Gruppen von Travellern sicherzustellen. So hätten Traveller wie alle französischen Staatsangehörigen Zugang zu Sozialleistungen. Der Staat fördere die Gründung von Unternehmen durch Traveller, beispielsweise durch Mikrokredite. Er unterstütze auch Projekte sowie die nationalen und teilweise auch regionalen Vereine der Traveller, die auch Beraterstatus beim Zugang zu verschiedenen Rechten und Leistungen hätten.
In einem Nachtrag vom 15.03.2010 führt die Regierung aus, dass das Parlament einen Untersuchungsausschuss eingesetzt habe, um die Gesetzgebung zur Unterbringung und Integration von Travellern zu überprüfen. Der Ausschuss werde sich auch mit der möglichen Änderung der Praxis der Zirkulationsdokumente und dem Wahlrecht von Travellern befassen. Die Regierung besteht ferner auf der Unterscheidung zwischen Roma, die von den kritisierten Praktiken nicht betroffen seien, und Travellern und wendet sich gegen die Bewertung als "rassistische Diskriminierung".
Entscheidung im Volltext: