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Beschwerde-Nr. 21207/03

EGMR, Urteil vom 20.04.2010, Beschwerde-Nr. 21207/03, C. B. gegen Rumänien

1. Sachverhalt

Herr C. B. (C. B.) aus Bukarest stellte zahlreiche Strafanträge gegen verschiedene Personen, darunter Staatsbedienstete und insbesondere den Chef der örtlichen Polizeiwache. Daraufhin erstattete dieser am 15.10.2001 Gegenanzeige gegen C. B. aufgrund falscher Anschuldigungen.

Am 03.09.2002 wurde ein Strafverfahren gegen C. B. eingeleitet. Am Tag darauf kam am frühen Morgen Polizei zu seiner Wohnung. C. B. öffnete die Tür nicht, da er nicht wusste, warum die Polizei zu ihm gekommen war. Die Polizisten zerstörten die Türschlösser, stürmten in die Wohnung, fesselten ihn und brachten ihn ohne Erklärung nach draußen. Er wurde zunächst zur Polizeistation gefahren, wo er ein Exemplar des Gerichtsbeschlusses vom 03.09.2002 erhielt. Darin stand unter anderem, dass Zweifel hinsichtlich seiner psychischen Gesundheit bestünden und deswegen seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden sei, um ein ärztliches Gutachten über seinen Gesundheitszustand zu erstellen. C. B. wurde noch am 04.09.2002 zwangsweise in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Am 18.09.2002 wurde er aus dem Krankenhaus entlassen, nachdem keine psychischen Störungen bei ihm festgestellt worden waren.

Das Strafverfahren gegen C. B. endete am 4. November 2004. Das zuständige Gericht sprach ihn mit der Begründung frei, dass er lediglich von seinen Rechten Gebrauch gemacht habe und seine Tat die Schwere einer Straftat nicht erreicht habe.

2. Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

In seiner Beschwerde vor dem EGMR brachte C. B. vor, dass seine Unterbringung in dem psychiatrischen Krankenhaus willkürlich gewesen sei. Es fehle an einer ärztlichen Bestätigung dafür, dass seine Unterbringung notwendig gewesen sei. C. B. berief sich auf Artikel 5 Absatz 1 (Recht auf Freiheit und Sicherheit) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Darüber hinaus rügte er eine Verletzung von Artikel 5 Absatz 4 EMRK (Recht auf richterliche Überprüfung der Freiheitsentziehung).

3. Entscheidung des EGMR

Der EGMR erinnerte im Zusammenhang mit Artikel 5 Absatz 1 EMRK zunächst an die allgemeinen Rechtsprinzipien, die bei der Zwangsunterbringung einer psychisch kranken Person zu beachten seien. Hierzu führte er aus, dass eine zwangsweise Unterbringung grundsätzlich unzulässig sei, es sei denn, die psychische Störung sei überzeugend nachgewiesen und derart schwerwiegend, dass sie eine zwangsweise Unterbringung rechtfertige. Darüber hinaus betonte der EGMR, dass eine psychische Krankheit nicht als alleiniger Grund für eine rechtmäßige Zwangsunterbringung ausreichend sei. Es müsse daneben eine Gefahr seitens der betroffenen Person bestehen, die die zwangsweise Unterbringung rechtfertige. Dies bedeute unter anderem, dass ein Freiheitsentzug ohne vorherige medizinische Beurteilung des Gesundheitszustandes der betroffenen Person nicht als rechtmäßig im Sinne von Artikel 5 EMRK angesehen werden könne. Nur in Notfällen, wenn die betroffene Person eine Gefahr für sich selbst oder andere darstelle, dürfe ein ärztliches Gutachten unverzüglich nach der Verhaftung nachgeholt werden. Im Fall anderer Schwierigkeiten, zum Beispiel wenn die betroffene Person eine Untersuchung verweigere, dürfe das Gutachten auf Grundlage der vorhandenen medizinischen Dokumentation angefertigt werden.

Bezogen auf C. B. bejahte der EGMR eine Verletzung von Artikel 5 Absatz 1 EMRK. Die Konventionsverletzung stützte er darauf, dass kein ärztliches Gutachten vorlag. Es habe auch keine Umstände gegeben, wie aggressives Verhalten oder frühere psychische Erkrankungen, die auf eine Gefahr durch C. B. gedeutet hätten. Besonders kritisch bewertete der EGMR, in welcher Art C. B. festgenommen worden sei, nämlich dass er durch die Polizei am sehr frühen Morgen mit Gewalt aus seiner Wohnung geführt und in ein psychiatrisches Krankhaus gebracht worden sei. Dieses Vorgehen sei unverhältnismäßig gewesen. C. B. sei nicht die Möglichkeit gegeben worden, sich dem Gerichtsbeschluss freiwillig zu unterwerfen.

Eine Verletzung des Rechts auf richterliche Überprüfung der Freiheitsentziehung (Artikel 5 Absatz 4 EMRK) sah der EGMR dadurch gegeben, dass im rumänischen Rechtssystem keine gerichtliche Kontrollmöglichkeit einer angeordneten Unterbringung existiert.

4. Bedeutung der Entscheidung

Das Urteil beschäftigt sich mit den Voraussetzungen einer rechtmäßigen Freiheitentziehung eines Menschen aufgrund einer psychischen Krankheit (siehe dazu auch andere Urteile des EGMR: "Storck gegen Deutschland", Beschwerde-Nr. 61603/00; "Shtukaturov gegen Russland", Beschwerde-Nr. 44009/05; "Stanev gegen Bulgarien", Beschwerde-Nr. 36760/06). Der EGMR macht in diesem Urteil sehr deutlich, dass die geistige Erkrankung und die Gefährlichkeit der betreffenden Person nicht nur durch ein objektives ärztliches Gutachten nachgewiesen sein muss, sondern dass ein solches Gutachten in aller Regel bereits vor der Zwangsunterbringung eingeholt werden muss. Dadurch sollen die betreffenden Personen vor willkürlichen Freiheitsentziehungen geschützt werden.

Die Entscheidung zeigt deutliche Bezüge zur UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), insbesondere zu Artikel 14 UN-BRK (Freiheit und Sicherheit der Person), der ebenso betont, dass die Freiheit nicht rechtswidrig oder willkürlich entzogen werden darf und dass "das Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall eine Freiheitsentziehung rechtfertigt".

Entscheidung im Volltext:

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