„Alle miteinbeziehen, die man bisher nicht gesehen hat“
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Meldung
Im Sommer 2018 hat der Fachausschuss für Entwicklungszusammenarbeit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ein neues Instrument eingeführt: die Kennung zu Inklusion und Empowerment. Wir fragten die Expertin Judith Striek, was das ist und welchen konkreten Nutzen dieses Instrument für Menschen mit Behinderungen haben kann.
Was verbirgt sich hinter der Bezeichnung Kennung zu Inklusion und Empowerment?
Judith Striek: Eine Kennung ist ein Instrument, das die Mitgliedstaaten der OECD bei der Planung ihrer Entwicklungszusammenarbeit einsetzen. Damit lässt sich darstellen, inwieweit bestimmte Themen finanziell unterstützt werden. Hierbei handelt es sich meist um Querschnittsthemen wie etwa Gender, Gute Regierungsführung oder Klimaschutz.
Ganz konkret geht es bei der Kennung zu Inklusion und Empowerment darum, zu identifizieren, in welchen Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit die Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen als Haupt- oder Nebenziel verfolgt werden soll. Ist beispielsweise beim Angebot von Gesundheitsdienstleistungen sichergestellt, dass alle Menschen in der Region erreicht werden – also auch Menschen, die eine körperliche Behinderung haben oder gehörlos sind? Müssen die Zielgruppen der Maßnahmen genauer bestimmt werden? Wie kann die Kommunikation so verbessert werden, dass alle daran teilhaben können? Wie lässt sich die Zugänglichkeit von geplanten Räumen gewährleisten? Welche Ansätze werden in dem Land bereits verfolgt?
Deutschland wie auch die meisten Länder des Globalen Südens haben sich mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) dazu verpflichtet, die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. Mit Artikel 32 der UN-BRK gilt dies insbesondere auch für Geber- und Partnerländer der Entwicklungszusammenarbeit.
Was genau lässt sich mit der Kennung erreichen? Wie lassen sich damit Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit besser in Richtung Inklusion steuern?
Striek: Wenn Institutionen die Kennung anwenden, können sie sich in den folgenden Monaten und Jahren ein Bild davon machen, welche Querschnittsthemen in ihrer Planung bisher zu wenig berücksichtigt wurden. Dies betrifft vor allem die Finanzierung: Die Beteiligten können ablesen, in welchen Sektoren das Engagement für Menschen mit Behinderungen besonders intensiv war und in welchen es bisher eher vernachlässigt wird.
So hätte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) endlich verlässliche Zahlen dazu, wie viele seiner Mittel beispielsweise zur Förderung von Inklusion verplant werden. Bisher kann das BMZ keine Angaben dazu liefern. Somit lässt sich auch nicht überprüfen, inwieweit Deutschland seinem Ziel gerecht wird, Menschen mit Behinderungen in einem zweigleisigen Ansatz – also in gezielten Projekten und im Mainstream – zu fördern.
Ein weiterer Vorteil der Kennung ist, dass sie im Idealfall durch weitere Maßnahmen und Instrumente ergänzt werden kann. So können etwa mit einer Zielgruppenanalyse die Bedarfe und Bedürfnisse von Frauen und Männern mit Behinderungen stärker ins Blickfeld gerückt werden und in die Planung von Vorhaben einfließen. Begleitende Maßnahmen können also viel dazu beitragen, dass das Ziel Inklusion sich in den Indikatoren von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit wiederspiegelt und bei der Steuerung und später auch bei der Evaluierung berücksichtig wird.
Wie steht es mit dem konkreten Nutzen für die Menschen mit Behinderungen? Nehmen wir ein Beispiel: In welcher Weise könnte etwa eine blinde Frau im Senegal oder ein gehbehindertes Kind in Myanmar davon profitieren, dass es eine Kennung zu Inklusion und Empowerment gibt?
Striek: Die Idee der Kennung ist, dass bereits in der Planung von Vorhaben darüber nachgedacht wird, wie eben die Frau, die blind ist, oder das Kind, das eine Gehbehinderung hat, von dem geplanten Angebot profitieren kann. Es geht darum, alle miteinzubeziehen, die man bisher nicht gesehen hat. Konkret heißt das: jeder Schulneubau wird so geplant, dass er uneingeschränkt zugänglich ist, beispielsweise über eine Rampe, und barrierefreie Toiletten gehören zur Standardausstattung. Die blinde Frau im Senegal will arbeiten gehen – dann sind Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung notwendig, die alle einbeziehen. Generell sollten bei der Planung und Durchführung immer Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen beteiligt werden, um sicherzustellen, dass diese von dem Vorhaben profitieren. Das ist auch ganz im Sinne des Leitprinzips der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) „Niemanden zurücklassen“.
Die Einführung der Kennung erfolgt freiwillig, es bleibt also den einzelnen Staaten selbst überlassen, dieses Instrument anzuwenden und mit Leben zu füllen, oder eben nicht. Wie hält es Deutschland damit - ist damit zu rechnen, dass verbindliche Regelungen geschaffen werden, um Inklusion auch in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit voranzubringen?
Striek: Während der Verhandlungen über die Kennung bei der OECD hat sich Deutschland dafür eingesetzt, dass die Kennung verabschiedet wird. Jetzt muss sich zeigen, ob der politische Wille im BMZ groß genug ist, um den nächsten Schritt zu tun. Insgesamt gibt es aus dem Ministerium bisher keine eindeutigen Signale. Dass die Kennung freiwillig ist, nimmt in der Tat etwas den Dampf aus dem Kessel. Wir würden es sehr begrüßen, wenn die noch ausstehende Inklusionsstrategie auch ein klares Bekenntnis zur Kennung enthält und erste Schritte zu deren Einführung einleitet.
Wenn das BMZ die Kennung zu Inklusion und Empowerment einführen sollte – reicht das aus, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen stärker in Projekte der Entwicklungszusammenarbeit einbezogen werden?
Striek: Wenn das BMZ die Kennung einführt, geht aus meiner Sicht die Arbeit erst richtig los. Denn wenn die Kennung mehr sein soll als ein Kästchen, in das ein Haken gesetzt wird, müssen neue Wege gefunden werden, wie die Rechte von Menschen mit Behinderungen wirkungsvoll umgesetzt werden können. Hierzu ist Informations- und Überzeugungsarbeit innerhalb des BMZ und ebenso in den Durchführungsorganisationen notwendig. Zentral ist dabei die Frage nach Inklusion bei konkreten Vorhaben. Was ist nötig, damit alle teilnehmen können? Welche guten Beispiele aus der Praxis gibt es bereits? Wie kann sichergestellt werden, dass schon in der Planungsphase darauf geachtet wird, dass auch Menschen mit Behinderungen von den Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit profitieren? Beispielsweise könnte die Entwicklung von Kriterien hilfreich sein, um zu überprüfen, ob Maßnahmen inklusiv oder exklusiv angelegt sind.
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