Mely Kiyak las am 8. November in der Institutsbibliothek aus ihrem Essay „Haltung“
In Deutschland gehört es in rechtsextremen und populistischen Kreisen zum guten Ton, demokratische und rechtsstaatliche Standards öffentlich infrage zu stellen. Vehemente Antworten und Gegenargumente aus Zivilgesellschaft und Politik erfolgen meist sofort. Angesichts der Provokationen erscheint dieses entschlossene Eintreten für Demokratie und Menschenrechte als wichtige und angemessene Reaktion. Doch spielt man damit nicht letztlich den Provokateur_innen in die Hände und verschafft ihnen das Medienecho, das sie sich wünschen? Muss Protest tatsächlich immer laut sein?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Journalistin Mely Kiyak in ihrem neuen Buch „Haltung. Ein Essay gegen das Lautsein“. Der Essay kritisiert eben jenen Reflex, rechtsextreme Äußerungen sofort medienwirksam zu kommentieren. „Haltung manifestiert sich nicht, indem man sie zeigt, sondern hat“, betonte Kiyak. Und Haltung könne man auch haben, wenn man leise sei. Bei einer Lesung in der Bibliothek des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin erläuterte Kiyak am 8. November ihre Sichtweise.
Haltung statt Phrasen
Institutsmitarbeiter Deniz Utlu sprach mit der Autorin über die Frage, was eigentlich „Haltung“ bedeute. Kiyak sieht Haltung als die erlernte und zeitlich konstante Basis eigenen Denkens und Handelns. Sie müsse nicht permanent nach außen sichtbar sein. „Wir leben in einer Welt voller Imperative. In öffentlichen Reden wird ständig gefordert, gegen Rechts aufzustehen“, so Kiyak, „wo ist aber der Mut hinter der jetzt ständig vorgebrachten Aussage ‚Ich bin gegen Rechts‘?“. Es gelte vielmehr eine authentische und konsequente Haltung gegen Rechts zu haben.
Rechtsextremismus sei kein neues Thema. Genau dieselben Akteur_innen, die bereits in den 1980er-Jahren für rassistische, fremdenfeindliche und antidemokratische Positionen agitierten, seien mitunter auch heute noch aktiv. Und die Argumentationslinien blieben die gleichen. Um gegen diese starken rechten Strukturen anzukommen, brauche es mehr als eine engagierte Zivilgesellschaft, die – wie zuletzt in Berlin - mit rund 250 000 Menschen auf die Straße gehe. Kiyak sieht vor allem die Politik in der Pflicht, rassistische und demokratiefeindliche Organisationen und Parteien mit Gesetzen zu bekämpfen: „Wir müssen unsere gewählten Vertreter an ihre Verantwortung erinnern.“ Mögliche Mittel seien Beobachtung durch den Verfassungsschutz oder klare Verbote.
Kiyak las zwei Passagen aus ihrem Essay vor. Eigentlich mache sie das nicht so gern. „Ich schreibe die Texte, damit sie gelesen werden, nicht um sie öffentlich vorzutragen“, bemerkte sie augenzwinkernd. In klarer Sprache macht Kiyak deutlich, dass man sich auch das Recht vorbehalten sollte, zu bestimmten Themen zu schweigen. Denn wer sich immer wieder auf das radikale Dafür und Dagegen der Antidemokrat_innen einlässt, spielt ihr Spiel mit und lässt sie die Agenda bestimmen, unterstreicht Kiyak in ihrem Essay. Die Kunst bestehe darin, auch mal leise zu sein und sich so dem Kurs menschenfeindlicher und demokratiefeindlicher Parteien und Gruppierungen zu verweigern. Eine These, die im Anschluss an die Lesung rege diskutiert wurde.
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