„Notwendig sind neben freiwilligen Ansätzen gesetzliche Vorgaben für die Textilbranche“
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Meldung
Heute hat das Landgericht Dortmund im Prozess gegen das Unternehmen KiK entschieden: Der Prozess, in dem ein Überlebender und drei Hinterbliebene wegen eines Brandes bei einem Zulieferer in Pakistan auf Schmerzensgeld geklagt hatten, sollte die Frage nach der Mitverantwortung des deutschen Unternehmens für den mangelnden Brandschutz klären. Ergebnis: Das Gericht sieht den Fall als verjährt an. Der Fall steht damit stellvertretend für die vielen Hürden, denen sich Betroffene von Menschenrechtsverletzungen in transnationalen Liefer- und Wertschöpfungsketten gegenübersehen. Wir sprachen mit Jan-Christian Niebank, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts, über die Hintergründe von Menschenrechtsverletzungen im Textilsektor.
Wie bedeutend ist der Textilsektor für asiatische Produktionsländer?
Jan-Christian Niebank: Weltweit hat die Textil- und Bekleidungsindustrie je nach Schätzung ein Volumen von bis zu 3 Billionen US-Dollar. Im Jahr 2014 stammten 59,5 Prozent der weltweiten Exporte von Kleidung, Textilien und Schuhen aus der Region Asien-Pazifik. Viele asiatische Länder sind wirtschaftlich abhängig von der Bekleidungsindustrie, da sie Arbeitsplätze, Exporte und damit Devisen generiert. Die meisten der bis zu 75 Millionen Menschen, die in der Branche weltweit beschäftigt sind, arbeiten in Asien. In der Bekleidungsindustrie herrscht ein harter Wettbewerb: Transnationale Händler_innen und Marken im Globalen Norden locken Kund_innen durch niedrige Preise und sichern sich so Marktanteile. Die Hersteller_innen im Globalen Süden konkurrieren um Kaufverträge mit abnehmenden Unternehmen, zum Beispiel aus Deutschland. Und Produktionsländer wollen durch „vorteilhafte“ Produktionsbedingungen ausländische Unternehmen anziehen – auf Kosten von Umwelt- und Sozialstandards.
Wieso kommt es gerade im Textilsektor zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen?
Niebank: Es gibt viele Gründe, unter anderem: Frauen stellen den größten Anteil an Arbeitskräften in der Branche. In Kambodscha zum Beispiel 80,8 Prozent, in Vietnam 76,3 Prozent. Weil Frauen in vielen der Produktionsländer generell stark diskriminiert werden, sind sie auch als Arbeitnehmer_innen besonders verwundbar, sei es durch Arbeitsausbeutung oder Misshandlung, Gewalt oder sexualisierte Gewalt. Diese Frauen verfügen meist über wenig Bildung und wenige Möglichkeiten, sich kollektiv zu organisieren. Anders ausgedrückt: es kommt zu so vielen Menschenrechtsverletzungen, weil die meisten Betroffenen junge Frauen oder Mädchen sind, deren Würde und Rechten in der Gesellschaft und in den Unternehmen kein Wert beigemessen wird.
Dazu kommt aber auch ganz maßgeblich: sowohl die Produktionsländer als auch die Heimatländer der transnationalen Händler_innen und Kleidungs-Marken achten und schützen die Menschenrechte nicht ausreichend. Unternehmen ihrerseits setzen ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht nicht ausreichend um. So entsteht eine Schutzlücke, die den Arbeitnehmer_innen und der Umwelt massiv schadet.
Welche Menschenrechte werden im Textilsektor verletzt?
Niebank: Im Textilsektor sind nahezu alle Menschenrechte gefährdet. Unabhängige Gewerkschaften sind in den Produktionsländern oft verboten, dadurch gibt es keine Tarifverhandlungen, sodass weder die schlechten Arbeitsbedingungen noch die niedrigen Löhne kollektiv thematisiert werden können. Grassierende Korruption verschlimmert die Situation noch, denn sie erschwert den Betroffenen auch den Zugang zu Abhilfe, wenn zum Beispiel Arbeits-Inspekteur_innen oder Gerichte korrupt sind.
Die Sicherheitsstandards in den Fabriken sind in der Regel sehr niedrig, oft fehlen Notausgänge oder wirksamer Brandschutz. In der Textilproduktion gibt es zudem eine hohe Feinstaubbelastung - nachgewiesenermaßen schädlich für die Gesundheit. Dazu kommen der Gebrauch von schädlichen Chemikalien, ein übermäßiger Wasserverbrauch und Umweltverschmutzung, unter anderem durch Pestizide, Insektizide, Düngemittel (in der Baumwollproduktion) und Treibhausgas-Emissionen. Dadurch werden wiederum grundlegende Menschenrechte, wie die Rechte auf Wasser und Nahrung, beeinträchtigt.
Für Arbeitnehmer_innen bleibt der Zugang zu Rechtsmitteln eine Ausnahme. Rechteinhaber_innen, deren Rechte verletzt worden sind, sind de facto vom Zugang zur Justiz ausgeschlossen - sowohl im Produktionsland, als auch im Heimatland der transnationalen Unternehmen und Marken. Auch außergerichtliche Beschwerdemechanismen des Staates oder der Unternehmen selbst sind für sie nur schwer zugänglich.
Der Prozess gegen das Unternehmen KiK sollte die Frage nach der Mitverantwortung des deutschen Unternehmens für den mangelnden Brandschutz in der Textilfabrik klären. Leider sieht das Gericht den Fall als verjährt an. Der Fall steht damit stellvertretend für die vielen Hürden, denen sich Betroffene von Menschenrechtsverletzungen in transnationalen Liefer- und Wertschöpfungsketten gegenübersehen.
Was muss sich ändern?
Niebank: Die Produktionsländer brauchen den politischen Willen und entsprechende staatliche Strukturen, um die Menschenrechte der Arbeiter_innen effektiv durchzusetzen. Der UN-Sozialausschuss betont, dass auch die Heimatstaaten alle notwendigen Schritte ergreifen müssen, um Menschenrechtsverletzungen im Ausland durch ihre Unternehmen vorzubeugen. Dazu gehört auch die Gewährleistung von Zugang zu effektiven gerichtlichen oder außergerichtlichen Abhilfemechanismen für diejenigen, die durch die Unternehmen in ihren Rechten verletzt worden sind. Eine intelligente Mischung aus freiwilligen Instrumenten und gesetzlichen Vorgaben muss gefunden werden, damit Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen. Nur wenn die menschenrechtliche Risikoanalyse zu einer betriebswirtschaftlichen Notwendigkeit wird, kann sie eine Verbesserung für betroffene Rechteinhaber_innen bewirken.
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Globalisierte Wirtschaftsstrukturen führen zu Lücken im Menschenrechtsschutz. Unternehmen – unabhängig von Größe, Sektor & Struktur – tragen Verantwortung, Arbeits-, Sicherheits- und Umweltstandards entlang ihrer Lieferketten einzuhalten.
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